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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

hielt dann eine lange Ansprache, zuweilen in einen eigenthümlich singenden Ton verfallend. Schweigend hörte man ihn an.

Ihm folgte schnell ein Anderer, wieder mit dem Kriegstanze; vom weiblichen Geschlechte ebenfalls sorglich mit grünen Reisern geschmückt, leistete er das Beste, was ich je und nicht nur unter Naturvölkern gesehen. Er war ein junger Neger aus dem Binnenlande Tschintschotschos, der wohl die dunkle Haut, jedoch nur sehr wenig vom Gesichts-Typus seiner Race besaß, prachtvoll schlank gewachsen, geschmeidig wie eine Schlange, behend wie eine Katze. Seine Bewegungen waren im höchsten Grade dramatisch, von furchtbarer Wildheit; die Augen verdrehend, die Zunge aus dem offenen Munde bleckend, gab er seinem Gesichte einen wahrhaft abschreckenden Ausdruck, der etwas Medusenhaftes hatte, an gewaltsamen Tod erinnerte, doch trotz seiner Gräßlichkeit nicht gemein häßlich war. Ein großes Säbelmesser schwingend, tobte er umher, daß der Staub aufwirbelte; vor und zurück laufend, haltend, sich drehend, dabei wie rasend um sich hauend und stechend, vollführte er in schnellster Folge erstaunliche Sprünge, wie sie nur höchste Kraft und Gewandtheit ermöglichen können. Und als er dann durch die Reihen der Seinigen schritt und sprang, jede Muskel mächtig gespannt, die Waffe in der Linken, den rechten Arm mit zwingender Geberde ausstreckend, auf jeden Einzelnen zeigend, gleichsam fragend: Ist Der, Der, Jener schuldig? und drohend: Er wird gefunden, er muß sterben – da erreichte er eine überwältigende Wirkung. Bei dieser Macht des Ausdruckes mußte jeder sich schuldig Dünkende von Furcht befallen werden. Als der Mann seinen Platz wieder einnahm, erschien er seltsamer Weise nicht im Geringsten erregt und athmete durchaus nicht auffallend schneller.

Jede Abtheilung ließ nun von einem der Ihrigen den Kriegstanz wiederholen; stets waren es die stattlichsten jungen Männer von den Anwesenden, aber Erfolge wie Jener erzielte Keiner wieder. Besonders charakteristisch und wirksam wurden alle Kriegstänze insofern noch, als die jeweilige Partei während der Dauer der Pantomime mit aller Kraft ihrer Lungen das Kriegsgeschrei anstimmte, ein dröhnendes, fast schmetterndes Gellen, welches noch schallender gemacht wurde dadurch, daß Jeder der Mitwirkenden mit der flachen Hand schnell abwechselnd sich vor den geöffneten Mund schlug und auf diese Weise ein erschütterndes Tremoliren, erzielte. Der Lärm, den die starke Schaar von Muboma’s Leuten erzeugte, war geradezu betäubend.

Als der Tanz die Reihe umgegangen war, gebot der Obmann Ruhe; ein neuer Sprecher entnahm von ihm das Tschimpapa, vollzog wiederum in umständlicher Weise alle Ceremonien der Begrüßung und führte dann die Berathung fort. Inzwischen näherte sich aus dem Zuschauerkreis ein wohlgekleidetes junges Weib, rief ein paar Worte in die Versammlung, welche zusagend und einstimmig antwortete, und trat dann, ihre Gewänder zusammenraffend, leichten Schrittes in die Mitte des Vierecks. Prinzessinnen besitzen allerdings in Loango von jeher das Vorrecht, bei Berathungen der Männer mit Sitz und Stimme sich zu betheiligen, doch die so überraschend sich hier Einmischende hatte nicht einen so hohen Rang; sie war die Tochter eines einfachen Dorfchefs der Umgegend. Nach kurzer wohlbetonter und mit schönen Gesten begleiteter Ansprache ließ dieselbe ihr weites togaähnliches Obergewand zur Erde fallen, schritt zu einigen der Häuptlinge, beugte sich unter Beifallsgeschrei der Versammelten und der Zuschauer zu diesen nieder und schob einem Jeden schnell ihren rechten Arm unter seinen linken, dann den linken unter seinen rechten, nahm ihr Tuch vom Boden auf und verschwand. Mit solcher Ceremonie gab sie diesen vor allem Volke ein Zeichen höchsten Vertrauens und höchster Ehre, gewissermaßen in feierlicher Weise einen Bund bekräftigend. Mehrere andere junge und alte Frauen, darunter auch einige nach altem Brauche an ihrer vernachlässigten Toilette kenntliche Wittwen des Muboma, drangen nach jener, ohne erst anzufragen, ebenfalls in den Mittelraum; Einige krochen sogar wie Schlangen am Boden. Alle jammerten und schrieen, hoben die Hände empor, begrüßten verschiedene Würdenträger und zogen sich dann zurück.

Nach diesem eigenartigen Intermezzo lockerte sich die Ordnung in der Versammlung. Die Männer, gleichsam zu wilderen Anstrengungen vom weiblichen Geschlechte begeistert, begannen in gehobener Stimmung wieder ihre Kriegstänze in rascherer Folge. Hatte Einer kurze Zeit getobt, so lief ein Anderer herbei, kroch ihm geschickt zwischen den Beinen hindurch, von vorn nach hinten und wieder zurück, nahm ihm die Waffe aus der Hand und führte den Tanz weiter, bis ein Dritter ihn in gleicher Weise ablöste – und so fort. Der Staub wirbelte auf in der Arena; das Kriegsgeschrei hallte ununterbrochen; selbst Knaben fielen mit ein, während die umgebende Menge näher drängte.

Endlich trat wieder Ruhe und Ordnung ein. Noch einige Zeit führten verschiedene Sprecher, wie gewöhnlich, in ernster Weise die Berathung weiter. Die Angeklagten, die schon früher allgemein Beschuldigten von hohem und niederem Range, waren sämmtlich zugegen, saßen sogar größtentheils mit in den Reihen der Berathenden. Keiner derselben bekannte sich natürlich als böser Zauberer, denn dann wäre er sofort von dem abergläubischen und rachedürstenden Volke niedergeschlagen und verbrannt worden; jeder derselben zeigte sich jedoch bereit, seine Unschuld im Ordal durch Nehmen der Giftrinde zu erweisen. Die Verhandlungen wurden in Folge dessen außerordentlich vereinfacht, die politische Intrigue in den Hintergrund geschoben; über die Wahl eines einstweiligen Vertreters des verstorbenen Oberrichters vermochte man sich nicht zu einigen. Der erste Sprecher und Leiter des Palavers, der Oberst des Muboma, hielt nun unter allgemeinem Schweigen eine letzte Rede und vollführte darauf einen kurzen eigenthümlichen Reigen, einen sehr maßvollen feierlichen Kriegstanz. Dann begab er sich zu den anwesenden Parteien. Er trat dicht vor den höchsten Vertreter einer jeden; dieser legte seine rechte Hand an den Knöchel des vorgeschobenen rechten Beines des Sprechers und blickte sitzend zu dem vor ihm Stehenden auf, der ihm leise murmelnd das Tschimpapa mit leicht ausgestrecktem Arme horizontal frei über den Kopf hielt. Mit dieser letzten feierlichen Ceremonie, die ringsum in tiefstem Schweigen ausgeführt wurde, waren alle Parteien vorläufig bis zum nächsten Palaver zum vollsten Landfrieden gebunden, und das Parlament wurde endlich für geschlossen erklärt.

Die Zuschauer mischten sich unter die Deputirten. Die Kriegerschaar, welche Muboma’s Leute bildeten, erhob sich wie auf Commando und zog, die Führer voran, in langer Einzelreihe nach einem anderen Platze des Dorfes, um in einiger Entfernung unter sich weiter zu berathen. Wir hielten es nun auch an der Zeit aufzubrechen. Mit manchen wohlbekannten Eingeborenen noch Grüße austauschend, begaben wir uns auf den Heimweg zur Station.

Nicht lange währte es, und wir hörten wieder die Töne der Mpundschi; die versammelt Gewesenen gingen nach allen Seiten aus einander. Verschiedene Häuptlinge statteten uns mit ihrem Gefolge noch einen Ehrenbesuch ab und wurden mit einem Trunke gebrannten Wassers für ihren Rückmarsch gestärkt – eine unvermeidliche Höflichkeit der Küste, der sich der Europäer nicht wohl entziehen kann, wenn er mit den Landesbewohnern in freundschaftlichem Verkehre bleiben will.

Wie so häufig in Afrika und anderswo, war im Parlamente an diesem Tage nicht eigentlich Besonderes gethan und erzielt worden. Jeder hatte hauptsächlich seine persönlichen Anschauungen vorgetragen und seine weiter reichenden Wünsche nach Möglichkeit zu verbergen gesucht, obgleich dieselben im Grunde genommen ein öffentliches Geheimniß waren. Nur das Eine war unleugbar: die Küsten-Coalition hatte in ihrer festen Geschlossenheit einen moralischen Sieg errungen, der Partei aus dem Innern imponirt und ihr deutlich gezeigt, daß Herrschaftsgelüste sich vorläufig nicht verwirklichen ließen. Die ganze Angelegenheit wurde in Folge dessen auf die lange Bank geschoben und hörte endlich auf die Gemüther zu beschäftigen.

Die der Zauberei Beschuldigten verstanden es in ihrer Negerschlauheit vortrefflich, den Tag der Ordalien in eine ungewisse Zukunft zu verlegen; schließlich gerieth auch diese Angelegenheit in den Nebel der Vergessenheit. Die Häuptlinge des Innern beriefen allerdings mehrere Male die Abgeordneten der Provinz nach ihrem Hauptdorfe, doch wurde die Aufforderung von den Küstenleuten gar nicht beachtet, und jene mußten wohl oder übel allein tagen. Einige Versuche, sich in nachdrücklicherer Weise, namentlich in die Fischerei-Gerechtsame am Meere einzumischen, endeten in noch schmählicherer Weise.

So blieb es, so lange die deutsche Expedition in Loango verweilte, und es ist auch bis heute nicht wesentlich anders geworden. Nur den mächtigsten und einflußreichsten Häuptling des Innern,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 631. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_631.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)