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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

die schwüle, erdrückende Luft war mit Miasmen geschwängert. In den Dörfern der Eingeborenen wüthete Krankheit und Tod, und auch auf der deutschen Station Tschintschotscho herrschte ein erschreckendes Hinsiechen und Sterben. Ein geheimnißvolles tückisches Leiden befiel ohne Unterschied Weiße und Schwarze und forderte, trotz aller Anstrengungen unseres Arztes, nur zu viele Opfer. Allenthalben in den umliegenden Ortschaften erschallten Tag und Nacht die Beschwörungsformeln der die Krankheit bannenden Nganga (Zauberärzte), die dumpfen Schläge der Holztrommeln, häufig untermischt mit dem langgezogenen Klagegeschrei trauernder Familien, dem Krachen der Steinschloßflinten und all dem bei Todtenbestattungen landesüblichen Lärm. Eine trübe Stimmung hatte sich unser Aller bemächtigt; die Sorge um die Zukunft der Expedition lastete schwer auf uns; wer konnte ferner wissen, ob und wie er selbst den nächsten Tag erleben würde?

In unserer Station wohnte als Oberaufseher und Dolmetscher der mächtigste und angesehenste Häuptling der Küste, der Muboma Liumba von Yenga, ein stattlicher Mann von vortrefflichem Charakter, der mit Recht unsere Achtung und unser Vertrauen besaß und durch seinen weitreichenden Einfluß unsere Beziehungen zu den Eingeborenen sehr günstig zu gestalten begann. Auch er wurde schließlich von der Krankheit ergriffen, während unser Arzt leider abwesend war. Der Zustand des Muboma verschlimmerte sich bald derartig, daß ihn seine Getreuen eilig nach seiner eigentlichen Residenz, dem Dorfe Yenga, eine Viertelstunde nördlich von unserem Gehöfte gelegen, überführten. Die Nachricht hatte sich schnell weithin im Lande verbreitet; von allen Seiten fanden sich Fürsten und Häuptlinge ein, um dem leidenden Oberrichter, einem Großwürdenträger des herrscherlosen Königreiches, ihre Theilnahme zu bezeugen.

Wir brachten und schickten dem Kranken das Beste, was wir besaßen, doch wurde sein Zustand immer hoffnungsloser. Eines Nachmittags stürmte denn auch ein Beamter aus Yenga in die Station, mit eigenthümlich modulirendem Geschrei und in höchstem Entsetzen verkündend, daß der Muboma soeben gestorben wäre. Sofort erschallte lautes Wehklagen aus der geräumigen Hütte, die er bei uns zu bewohnen pflegte, wo einige seiner Diener und Weiber zurückgeblieben waren. Wie sich die Nachricht verbreitete, wurde an allen Seiten das Geschrei aufgenommen, und von überall eilten erregte Menschen nach Yenga.

Auch wir gingen hin, die Ueberreste des besten schwarzen Mannes, den wir gekannt, durch einen letzten Besuch zu ehren. Dem Strande folgend, vernahmen wir, trotz des Getöses der Brandung, schon von weitem das Jammern im Dorfe. Ein verwirrender, betäubender Aufruhr empfing uns daselbst. Die Eingeborenen sprangen und taumelten wie außer sich umher, gesticulirend und die Haare raufend; einzelne Weiber schlugen die Brüste und wälzten sich sogar im Staube. Die Stimmen Aller mischten sich zu einem ununterbrochenen Klageton, der grell vibrirend die Luft erfüllte. Alle Gesichter waren von Thränen überströmt, von Schmerz verzerrt. Um das Schattendach, unter das man die Leiche geschafft, herrschte ein wildes Gedränge. Das jüngste, sehr hübsche Weib des Muboma, die sonst so heitere Ngalasi, umrannte schluchzend und jammernd die Stätte, die Arme erhoben, die Finger krampfhaft verschränkt, selbst in ihrer Verzweiflung noch anmuthig. Ein ebenfalls bedeutender Häuptling und Nachbar des Verstorbenen, der alte Mambuku, wandelte gemessenen Schrittes, sich leicht drehend und wendend, auf seinen langen Stab gestützt, in würdevoller Haltung einher, den einen ausgestreckten Arm leicht bewegend und mit thränenden Augen dem Abgeschiedenen sein Trauerlied intonirend. Verschiedene Nganga durchzogen einzeln und paarweise mit wie zum Gebet gefalteten Händen das Getümmel, bald mit leisem Murmeln, bald mit lautem Aufschreien ihre Beschwörungen recitirend.

Man begrüßte uns und schaffte uns Raum, während wir manchen Händedruck austauschten. Auf seinem Ruhebett lag der Muboma, die einst so mächtige, markige Gestalt abgezehrt und zusammengefallen. Frauen und Diener waren eben damit beschäftigt, die Nägel zu beschneiden und mit Hülfe von Rasirmessern das Kopfhaar zu entfernen, um den Körper zur Bestattungsfeier vorzubereiten. Es wurde nicht gesprochen; man hörte nur Stöhnen und abgebrochene Laute, während Einzelne, wie unfähig sich noch länger zu zügeln, plötzlich von ihrer Beschäftigung abließen und zwischen der die Stätte beständig umkreisenden Menge verschwanden, um sich auszutoben.

Ihre Trauer war gerecht; denn nicht nur einen angesehenen, braven Häuptling, den Patriarchen seines Gaues und Verwandten vieler Familien hatten sie verloren, auch mancherle1 neue politische Verwickelungen im alten Streite zwischen dem Innern und der Küste waren zu erwarten, und zunächst für viele Anklagen auf Leben und Tod wegen Hexerei. Der Muboma konnte nur in Folge bösen Zaubers geendet haben – das war Aller überzeugungsmäßige, oder doch wenigstens kund gegebene Meinung, und die Schuldigen mußten ausgefunden werden. Wer von Allen war aber sicher, daß schlimmer Verdacht nicht ihn selbst treffen könne?

Wir erhielten bald Gewißheit, daß mehrere Personen, namentlich verschiedene Häuptlinge des Districtes (die politische Intrigue lag für uns klar zu Tage), sowie Frauen des Verstorbenen beschuldigt worden seien, hüteten uns jedoch selbstverständlich in irgend welcher tactlosen Weise zu Gunsten derselben aufzutreten. Wir waren weder berufen, noch hatten wir die Macht, Eigenthümlichkeiten zu bekämpfen, die, weil sie so innig mit den gesammten Anschauungen eines Volkes verwachsen sind, sich gesondert gar nicht reformiren lassen, die sich ja bis noch vor nicht zu langer Zeit selbst bei Culturvölkern erhielten und theilweise auch heutigen Tages noch verstohlene Anhänger haben. Jede unüberlegte, rasche Einmischung in von Alters her ehrwürdige Landesgebräuche konnte uns nur Nachtheile, den Angeklagten aber keine Vortheile bringen.

Anders lagen die Verhältnisse in Rücksicht auf die möglichen politischen Umgestaltungen. Bei diesen waren wir, kraft unserer Verträge mit den Eingeborenen, als Grundbesitzer und Führer einer bedeutenden von uns abhängigen Menschenzahl, in directer Weise betheiligt, denn die Zukunft der Expedition wurde in nicht geringem Maße bedingt von der Haltung der im Districte herrschenden Häuptlinge. Es stand zu befürchten, daß die alte Eifersucht zwischen Küste und Innerem heftiger sich äußern würde, da der mächtigste Gegner der Häuptlinge binnenwärts liegender Gebiete, der Muboma, dieselben nicht mehr in Schach hielt. Vor wenigen Monaten erst war dieser mit den Küstenbewohnern offen auf unsere Seite getreten, als in Folge alter Mißhelligkeiten verschiedene Führer des Innern die uns benachbarte Handelsfactorei bedrohten, das Trinkwasser abschnitten, und auch uns zwangen Tag und Nacht zum Schutze der Station unter Waffen zu stehen. Jetzt war die Gelegenheit zu günstig für jene, um nicht zu versuchen, entweder auf diplomatischem Wege oder mit Kriegesmacht ihre Herrschaft bis nach der Küste auszudehnen. Kamen sie doch dadurch in nächste Fühlung mit den Weißen und ihren Schätzen, und konnten als Herren des Landes den Handel monopolisiren, die alten, von ihnen nicht abgeschlossenen Verträge mißachten und nach dem beliebten Ausnutzungs-System den Europäern neue Bedingungen aufzwingen, behaglich Tribut und reiche Sporteln erheben.

In Erwägung aller dieser Umstände hatten wir den Eingeborenen unsere Absicht kund gethan, an den zwischen ihnen bevorstehenden Verhandlungen theilzunehmen. War dies auch in Loango bisher nicht üblich gewesen, so sprachen doch viele gewichtige Momente für uns, und, mochten auch einzelne Parteien sehr unzufrieden mit der schließlichen Entscheidung sein, wir empfingen dennoch die gewünschte Einladung zu dem schon für den nächsten Tag anberaumten „Palaver“.

Palaver (ein an der Westküste im Verkehr zwischen Weißen und Schwarzen aus dem Portugiesischen eingebürgertes Wort) nennt man alle möglichen Zusammenkünfte von Europäern und Afrikanern, oder von letzteren allein (die selbstverständlich ihre eigenen verschiedenen Bezeichnungen dafür haben, je nach dem Zweck der Versammlungen), während welcher man Streitigkeiten schlichtet, Verträge abschließt, zu Gericht sitzt über Leben und Tod, sowie Verhandlungen über wichtige Staatsactionen führt. Palaver sind der Schrecken aller Weißen an der Küste, da sie gleichbedeutend sind mit unvermeidlicher Aussaugung der Händler. Allerdings muß man den Eingeborenen Loangos nachrühmen, daß sie selbst bei Streitigkeiten mit den Europäern, nach Landesgesetz, ohne Ansehen der Person im Schiedsgericht unbefangen und gerecht aburtheilen; dennoch weiß der schlaue Sieger seinen Vortheil gar zu vorzüglich wahrzunehmen und versteht es, dem Weißen gegenüber,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 628. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_628.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)