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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Mitternacht etwa im 20. Grade eine große graue Wolke, die sich ganz niedrig herabließ und der Maschine eilends näherte. Sie theilte sich aber, wovon ein Stück zurück in der Nähe bliebe das andere vereinigte sich mit einer gegen Mittag beinahe im 50. Grade stehenden Wolke, nachdem sie gegen einander ein wenig geblitzet hatten. Dann blieben beide über Brenditz stille stehen und lösten sich in einen sanften Regen auf.“

Mag diese Schilderung immerhin mit Voreingenommenheit von dem für seine Erfindung begeisterten Manne niedergeschrieben sein, sie muß in der Hauptsache auf Richtigkeit beruhen, denn der Pfarrer Diwisch war nicht der einzige Zeuge dieser Vorgänge und hätte nicht wagen dürfen, Phantasiegebilde zu Papier zu bringen, sie an Dr. Scrinci, den damaligen Professor der Experimentalphysik an der Prager Universität, abzuschicken und durch dessen Vermittelung im nämlichen Jahre in der „Deutschen Prager Zeitung“ zu veröffentlichen.

Es ist fast überflüssig die Unterschiede zu erwähnen, welche zwischen Diwisch’s und Franklin’s Erfindung bestehen, da heutzutage Jedermann einen Blitzableiter nach Franklin’s Theorie kennt. Die modernen Blitzableiter bestehen aus einer einfachen zugespitzten Eisenstange, welche gelegentlich noch mit einigen Seitenspitzen versehen ist. Derartige Stangen ruhen in einem schlechten Leiter, z. B. Holz; dagegen ist die Stange selbst nicht durch Ketten, sondern durch eiserne Bänder oder geflochtenen Kupferdraht mit der Erde verbunden und möglichst tief in feuchtes Erdreich oder noch besser in einen Brunnen, Wasserbassin u. dergl. geleitet. Da derartige Stangen auf den Umkreis ihrer eigenen doppelten Höhe, nach anderen Angaben sogar bis achtzig Fuß weit wirken, sind sie, wenn in genügender Anzahl auf den Gebäuden angebracht, für den Schutz ausreichend. Man geht neuerdings sogar so weit, daß man am Blitzableiter die Fangstange ganz wegläßt, weil man ihre Wirkung für unbedeutend hält; man glaubt, es genüge zum Schutze eines Gebäudes, wenn alle hervorragenden und alle Metalltheile, die Ecken und Spitzen des Daches und die Dachrinnen durch ein Kupferdrahnetz unter sich mit der Erde verbunden sind.

Das große Problem war nun gelöst, da es aber galt, die erprobte Erfindung zum Nutzen der Menschheit zu verbreiten, erinnerte sich Diwisch seines Gönners, des Kaisers Franz, und hoffte von ihm Unterstützung zu dem Vorhaben, in verschiedenen Gegenden des Reiches derartige Wetterleiter aufzurichten. Allein die Wiener Gelehrten, welche der Kaiser um ihr Urtheil befrug, erklärten, sie könnten die Möglichkeit eines Erfolges und den Nutzen eines solchen Geräthes nicht einsehen. Wie Diwisch schon früher in Berlin und Franklin einige Jahre vorher in London, so traf auch hier die Kühnheit eines selbstgebildeten Geistes mit den eingewurzelten Vorurtheilen einer engherzigen und kurzsichtigen Coterie zusammen und mußte unterliegen.

Das hätte aber gewiß unseren thatkräftigen Gelehrten nicht gehindert, seine Ideen durchzusetzen und der Welt zugänglich zu machen, wenn nicht ein anderes Ereigniß seine schönsten Hoffnungen zertrümmert hätte. Der zweite Sommer nach Aufrichtung des Blitzableiters war ein außerordentlich trockener, und die mißvergnügten Bauern der Umgebung von Brenditz schrieben die eingetretene Dürre der zauberischen Wirkung der geheimnißvollen Maschine zu. Die Dummheit siegte über den Respect vor dem geistlichen Herrn. An einem verabredeten Tage rotteten sich die tollsten Köpfe, von weit und breit zusammen, zogen nach Brenditz, rissen den ganzen Apparat nieder und zerstörten ihn. Was vermochte der einzelne Mann gegen die aufgebrachte Bande? Er mußte machtlos geschehen lassen, was geschah, und als der Befehl seiner geistlichen Oberen zur Verhütung weiterer Unruhen und Uebelstände ihn an der Wiederaufrichtung seines Werkes hinderte, da endigte die äußere Thätigkeit des schwer gekränkten Mannes auf dem Gebiete der Elektricitätslehre.

Daß der einsame Denker nach solchen Erfahrungen etwas verschlossen und mürrisch gegen seine Umgebung wurde, ist natürlich. Es schien lange Zeit, als ob er seine Studien aufgegeben habe, aber Diwisch hatte das Bedürfniß zu schaffen und zu grübeln, und sein ruheloser Geist warf sich nun auf ein weniger gefahrvolles, aber um so angenehmeres Gebiet. Eine Idee, welche den Physiker schon vor seinen Experimenten mit dem Blitzableiter beschäftigt hatte, kam nun zur Ausführung.

Es war ein musikalischer Apparat, welcher in sich alle denkbaren Blas- und Saiteninstrumente vereinigen sollte, eine Maschinerie, welche fähig sein müßte, wie die Orgel, mit Händen und Füßen von einem einzigen Manne dirigirt zu werden und doch ein vollständiges Orchester zu ersetzen. Diwisch’s Plan gelang; er nannte sein Instrument mit 130 Mutationen Denisd’or und hatte die Freude, mit demselben so viel Anerkennung zu erwerben, daß Prinz Heinrich von Preußen dem Erfinder eine bedeutende Summe dafür bot. Allein während der Unterhandlungen endigte das Leben unseres strebsamen Gelehrten und seine gesammte Hinterlassenschaft fiel dem Kloster Bruck zu, wo das große Instrument noch eine Reihe von Jahren durch einen eigens angestellten Künstler in Thätigkeit gehalten wurde.

Merkwürdig, daß sich auch in diesem letzten Lebensabschnitte Anklänge an Franklin’s Leben und Streben vorfinden! Auch Franklin beschäftigte sich mit der Tonkunst, indem er die Glasharmonika verbesserte. Ein von ihm gefertigtes und der unglücklichen Königin Maria Antoinette gewidmetes Instrument wird jetzt noch gezeigt.

Während Franklin’s Ideen, verschwenderisch ausgestreut als Samen in der jungfräulichen Erde nordamerikanischer Unabhängigkeit und Bürgerfreiheit, aufsproßten und gediehen und noch heute im Herzen und Andenken aller Culturvölker leben, scheint ein unabwendbares Verhängniß auf Diwisch’s Thätigkeit geruht zu haben. Die furchtbare Macht der „todten Hand“ übertrug ihre lähmende Wirkung auf ihre Angehörigen. In seinem Sterbejahre veröffentlichte Diwisch bei Cotta in Tübingen „Die längst verlangte Theorie von der meteorologischen Elektricität“ (1765, 8°), von welcher Schrift eine zweite Auflage erschien (Frankfurt 1768, 8°) herausgegeben von Friedrich Christoph Oettinger, württembergischem Superintendenten. Ein größeres Werk, welches Diwisch über die Elektricität schrieb, ist nicht vollendet worden, scheint aber nach Privatmittheilungen des Herrn Custos Trapp wenigstens teilweise im mährischen Landesmuseum zu Brünn erhalten zu sein.

Im letzten Jahre hat endlich lobenswerter Bürgerstolz dafür gesorgt, daß unseres Erfinders Name nicht mehr in Vergessenheit gerathe; die Stadt Znaim hat einem öffentlichen Platze den Namen Diwisch-Platz gegeben. Hoffentlich wird auch noch die Zeit kommen, daß man Diwisch’s Grabhügel auf dem Friedhofe zu Brenditz wieder durch eine einfache Tafel kenntlich macht und vor der Zerstörung schützt.

Der Ruhm Franklin’s wird nicht geschmälert durch die Thatsache, daß auf diesem einen Gebiete vor ihm ein Anderer ähnliche Bahnen gewandelt. Zu allen Zeiten wird mit der Erfindung des Blitzableiters auch der Name Benjamin Franklin genannt werden. Aber andererseits sollte man einen Mann nicht vergessen, der sein ganzes Leben dem großartigen Gedanken weihte, die Schrecknisse des Gewitters zu mildern und die zerstörende Kraft des Blitzstrahles aufzuheben. Möchten zuvörderst die deutschen und österreichischen Fachmänner die Bestrebungen des vergessenen mährischen Gelehrten würdigen! Dann erst können wir erwarten, daß andere Nationen die Verdienste des bescheidenen Prämonstratensers Procop Diwisch neidlos anerkennen.



Ein Palaver in Loango.
Von Dr. Pechuel-Loesche.[1]

Es war eine böse Zeit für den Küstenstrich des Districtes Tschintschotscho, die Zeit vom März bis Mai des Jahres 1875. Die Regenzeit ging zu Ende, und die letzten großartigen Gewitter schütteten ihre Wassermassen auf Loango herab. Des Nachts deckten übelriechende Nebelschwaden die Erde; am Tage brütete die Sonne in voller Gluth über der Landschaft. Von den vermodernden organischen Substanzen in den Wäldern und Savannen, aus den Lagunen und Tümpeln stiegen mephistische Dünste auf;

  1. Die folgende Schilderung wird in dem bei Paul Frohberg in Leipzig erscheinenden Werke der Loango-Expedition nicht enthalten sein.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_627.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)