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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Schüler; der Herr ist Belgier und will recht schnell unsere Sprache lernen; ich gebe hier und da noch einige Stunden.“

Professor Winter betrachtete den Ankömmling mit einer Miene von Argwohn – war er Derjenige, welcher am gestrigen Abend Gratiana in den Weg getreten? Der Schreiber des Briefes, der am Morgen in seine Hand gefallen war?

Der junge Mann nahm wenig Antheil an dem fortgesetzten Gespräche, aber bei jedem Geräusche auf der Straße wandte er horchend und beinahe wie erwartend den Kopf; und da Ehrenfried durch einige geschickte und scheinbar gleichgültige Fragen von dem Lehrer erfuhr, daß dieser Jane heute noch erwarte, war er völlig überzeugt, daß er in der Person des jungen Akademikers sich nicht geirrt habe.

Als er sich erhob, stand auch Jener auf, und mit absichtslos klingender Freundlichkeit lud ihn der Professor ein, den Weg mit ihm zu machen; nur zögernd schloß der Baron sich ihm an.

Mit vielen Dankversicherungen und Bitten um Wiederkommen verabschiedete der Lehrer seine Gäste; es dunkelte schon, als Beide auf die Straße traten. Ein Gefühl von Schadenfreude bemächtigte sich Ehrenfried’s, als er dachte, wie sehr er des Ausländers Pläne in Bezug auf das junge Mädchen kreuzte; so nahe war der Marder dem Taubenschlage geschlichen und sah nun seinen Weg verlegt! Er trug im Gespräche über die Akademie, über Erträglichkeit der Gruben und viele andere Sachen an, erhielt aber nur kurze Antworten, aus denen eine gewisse Widerwilligkeit gegen das Reden überhaupt klang.

„Bitte, hier rechts!“ sagte der Professor, „wir haben ja denselben Weg.“

Der Fremde schleuderte die Cigarre fort und murmelte etwas vor sich hin.

„Sie sagten?“ forschte des Professors malitiöse Stimme. „Sehen Sie nur, wie einsam diese Straßen sind; man könnte hier ungestört ein Rendezvous halten – ob das in dem kleinen Orte wohl vorkommt?“

Der junge Belgier sah ihn von der Seite her forschend an. „O, hier,“ entgegnete er dann achselzuckend, „ich zweifle.“

„In der That? Aber all die schmucken Akademiker – sollte sich unter ihnen Keiner finden, der auf das Herz einer schönen Harzjungfrau Eindruck machte?“

In der Ferne wurden leichte Schritte hörbar – der Baron blieb unwillkürlich stehen, ebenso Ehrenfried.

„Sie glauben nicht daran? Freilich, diese Bergstädterinnen sollen sehr eigensinnig sein.“

Eine weibliche Gestalt, rasch heranschreitend, wurde sichtbar – ja, es war Jane. Des Professors Auge suchte die Dunkelheit förmlich zu durchbohren – wenn sie jetzt ihre Schritte mäßigte, sich umschaute? Nein, flüchtig wie ein Reh huschte sie auf der andern Seite der Straße dahin, dem kleinen Hause des Schullehrers zu; enttäuscht sah Negris ihr nach und dann zu dem Begleiter, dem Zerstörer seiner Pläne, auf. Unbekümmert um den Blick grimmigen Zornes, der ihn getroffen, ging Jener weiter, ja, er war augenscheinlich sehr heiter gestimmt, denn er pfiff einige Tacte, ehe er sich wieder zu dem Baron wandte.

„Lernten Sie diesen Eigensinn noch nicht kennen, mein Herr?“

„Nein!“ stieß der Andere kurz heraus.

„Ah, aber ich meine, das ist die beste Sprachübung, die Sie habe könnten; einer Schönen den Hof machen, alle ihre Vorzüge aufzählen, von Liebe und Treue sprechen – ich sage Ihnen, die Wendungen und Vocabeln finden sich da wie von selber – eine solche Uebung fördert mehr, als stundenlange Discussionen mit Herrn Anton.“

„So – ich glaube aber, daß ich nicht Gelegenheit habe werde …“

„Nichts leichter als das – sollte Ihnen noch kein hübsches Gesicht aufgefallen sein? Und dann müssen Sie sich im Briefschreiben üben – –“

„Mein Herr –“

„Sie wünschen?“

„Ihre Art, mit mir zu verkehren, ist so sonderbar!“

„In wiefern? Fühlen Sie sich durch etwas getroffen?“

„Mein Herr!“

„Nun, das könnte ja sein. Und in dem Falle würden Sie auch entdeckt habe, daß es Lagen giebt, in welchen plötzlich so etwas wie ein Beschützer auftaucht, den man nicht ungestraft herausfordern möchte. Im Uebrigen aber wünsche ich Ihnen eine recht gute Nacht; hier trennen sich unsere Wege. Schlafen Sie wohl, mein Herr Baron, und nehmen Sie meine besten Wünsche für die Fortsetzung Ihrer Sprachstudien!“

Der Andere zog verwirrt sein Mützchen mit dem blanken Schirm. Der Professor bog schnell in eine Querstraße und fing wieder lustig zu pfeifen an; in der fröhlichsten Stimmung gelangte er nach Hause.

Diesmal konnte er auch unmöglich so schnell an der Thür der alten Großmutter vorübergehen, ohne ihr guten Abend zu sagen, und dann spann sich das Gespräch mit ihr und Vater Gottlieb so sehr aus, daß er zur Würze desselben noch eine Flasche Wein herabholte und fröhlich sein Glas an das des alten Bergmanns klingen ließ. Es war nicht weit mehr von der Zeit entfernt, um welche die Alten ihr Lager aufzusuchen pflegten, als Jane in Begleitung der blassen Lehrersschwester und des strammen Conrad in’s niedere Zimmer trat. Wie schön sie aussah mit den frisch gerötheten Wangen, wie ihre Augen leuchteten – vielleicht des Conrad’s wegen, der dort wieder verlegen seine Kappe in der Hand hin und her drehte. Nein, das war ja nicht möglich, der Mensch konnte ihr nicht genügen; das wäre die biederschlichte Einfalt gewesen neben – ah, er athmete erleichtert auf, der Herr Professor Ehrenfried Winter, und brachte eigenhändig ein Glas Wein zu Conrad hinüber, stieß mit ihm an und sagte „Glück auf!“

Schullehrers Riekchen legte das Tuch nicht ab.

„Es war nur um durch die Luft zu kommen,“ sagte sie zur Großmutter, „der Bruder ist allein.“ Dann reichte sie dem Professor die hart gearbeitete Hand hin: „Kommen Sie auch wieder zu ihm? Er war so froh heute – und – er hat so wenig Frohes auf der Welt.“

Ehrenfried nickte. „Ich komme sogar mit Büchern, und gefällt’s ihm, lese ich ihm auch daraus.“

„Wie gut Sie sind – Gott lohne es!“ sagte das blasse Mädchen, während ihn ein Blick aus Jane’s Augen traf, so voll, so warm, daß ihm war, als schlage sein Herz schneller davon. Er lächelte – das war doch eine Täuschung – „alter Ehrenfried“!

„Gute Nacht mit einander!“ grüßte Riekchen.

Conrad schlürfte laut den letzten goldenen Weintropfen hinab und sagte verlegen:

„Ich bringe Dich hinunter!“

„Nicht doch –“ wehrte das Mädchen.

„Gewiß!“ rief Jane’s volle Stimme, „in der dunklen Nacht gehst Du nicht allein; schlaf wohl, Conrad!“ und damit hatte sie das Paar hinausgeschoben. Mit einem Scherzwort wünschte Ehrenfried den beiden Alten eine angenehme Nacht, dann streckte er dem Mädchen seine Hand entgegen. Zum ersten Male legten sich ihre warmen Finger in dieselbe.

„Gute Nacht, Gratiana!“

Sie bewegte nur die Lippen und senkte die Augen. Er griff nach dem Leuchter und stieg treppauf; das Zimmer war kalt; dennoch öffnete er das Fenster und blickte zum besternten Himmel auf.

„Ich weiß es nicht warum, aber mir ist heute so leicht, so froh, vielleicht treibt diese frische Bergluft mir alle Grillen aus, und ich bringe als Errungenschaft aus dem Harzleben mit heim: ein fröhliches Herz.“

Drunten öffnete sich nochmals die Hausthür, Jane trat heraus, um die kleinen Fensterläden zu schließen. Auch sie stand einige Secunden und sah zum Nachthimmel auf – was wird sie denken, wünschen? fragte sich Ehrenfried. War das nicht ein leiser Seufzer? Jetzt drückte sie die Läden an; die Schraube, welche drinnen Vater Gottlieb handhabte, kreischte, dann fiel die Thür zu, und der Schlüssel drehte sich in derselben.

„Gute Nacht, Gratiana!“ flüsterte Ehrenfried und schloß sein Fenster. Wie er das Haupt wandte, streifte sein Blick Constanzens Bild.

„Ah – sie!“ sagte er und hob den Leuchter, „sie ist nur noch ein Schatten in meiner Erinnerung; alle Farben verblassen.“ Näher tretend gewahrte er den Epheukranz und in demselben eine frische Rose.

„Gratiana – Du – Du glaubtest für mich ein liebes Bild zu kränzen, aber es ist Todtenschmuck geworden. Ich danke Dir

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_619.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2016)