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verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

fest in der Hand haltend; als er sich zum dritten Male wandte, hörte er die kleine Pforte knarren und sah das Mädchen, die Haare und ihren schlichten Anzug schon geordnet, in den Garten treten.

„Guten Morgen, Herr Professor!“ sagte sie und ging nach dem Gemüsebeet hinüber.

Wie schüchtern und unschuldig sie that! Und doch war sie mit dem Gedanken gekommen, einen Brief oder eine Botschaft entgegenzunehmen. Er konnte ihr um dieser Verstellung willen eine kleine Demüthigung nicht ersparen.

„Guten Morgen, Fräulein Jeanne!“ sagte er, scharf jedes Wort betonend und einen streng forschenden Blick auf sie richtend. Sie erröthete bis an die Schläfe, aber ihre Miene hatte dabei nichts Erschrecktes, und sie richtete ihre blauen Augen fragend auf sein Antlitz.

„Warum nennen Sie mich so?“

„Weil“ – welch wunderbare Bläue diese Augen hatten! - „ich der Ueberbringer einer Botschaft an Sie bin, die unter jener Adresse abgegeben wurde.“

Jetzt schien sie doch ein wenig unruhig.

„Ich wüßte nicht, daß ...“

„Man Sie so nennt?“

„Doch!“ sagte sie in einem Tone, der wieder nichts von Angst und dem Bewußtsein des Unrechts hatte.

„Darf man wissen, wer das Recht hat, Sie so anzureden?“

Sie richtete sich stolz auf und schien plötzlich gewachsen zu sein.

„Ein Recht – welches es auch sei – hat Niemand, Herr Professor, weder mich anzureden, noch zu fragen.“

„Ah“ – er stand fast demüthig vor ihr – „ich habe Sie nicht kränken wollen, Gratiana, aber so ganz im Unrecht war ich mit meiner Frage doch nicht. Dieses Briefchen gab mir ein Knabe, welcher Sie vorhin vergeblich heimlich suchte. ‚An Fräulein Jeanne‘.“

Sie nahm es nicht, obwohl er’s ihr entgegen hielt, sondern ließ beide Hände schlaff herab und in die Falten ihres Kleides sinken.

„Ich erwarte keinen Brief – und kann keinen empfangen,“ versetzte sie, und eine finstere Falte bildete sich zwischen ihren schönen Augenbrauen.

„Aber Sie wissen – Gratiana, das soll keine Neugierde sein – Sie wissen, wer das Briefchen schrieb?“

„Ja!“

„Und was soll damit geschehen, da Sie es nicht nehmen wollen?“

Sie blieb eine Weile stumm und sah vor sich nieder auf den Boden; dann griff sie nach dem zusammengefalteten Papiere und riß es heftig in unzählige Fetzen, die der Morgenwind lustig umherwirbelte.

„Da!“ sagte sie aufathmend und dann ihre weißen Zähne tief in die rothen Lippen grabend. „Da!“

Diesmal hatte der Professor keine Aufmerksamkeit für das Bild einer zürnenden Schönen, das sich ihm bot; er runzelte selber seine Stirn und sagte:

„Das war ein feiner Schachzug – in der That!“ Sie verstand ihn sofort und fragte mit blitzenden Augen:

„Halten Sie mich einer solchen Komödie für fähig – und was that ich Ihnen, das Sie dazu berechtigt?“

Ehrenfried entgegnete nichts auf diese ihn anklagende Frage, sondern deutete, spöttisch lächelnd, auf die umhergestreuten Papierstücke.

„Da ist kein Für und Wider, keine Frage und keine Antwort weiter nöthig – und der, welcher Ihnen schrieb, bleibt in der süßen Gewißheit, daß Sie seine Zeilen empfangen haben.“

(Fortsetzung folgt.)





Aus Robert Blum’s Leben.
8. Die Leipziger Augustereignisse 1845. Sturmschwalben. Die Jubelwochen der Revolution 1848.

Prinz Johann war der Generalcommandant der Communalgarden (Bürgerwehren) des Königreichs. In dieser Eigenschaft lag ihm ob, die Revüen über die Bürgerwehren abzuhalten, und zu diesem Zwecke traf er am 12. August 1845 Nachmittags in Leipzig ein. Er wurde frostig empfangen. Im „Hôtel de Prusse“ nahm er Wohnung und begab sich sofort zur Musterung nach dem Excercirplatze. Die Communalgarde war umgeben von einer dichten, erregten Menge. Als am Ende der Revüe der Commandant der Bürgerwehr dem Prinzen ein Hoch ausbrachte, bemerkte der Tambourmajor in Folge eines unglücklichen Zufalls das Zeichen zum Einfallen der Musik nicht und diesen Zufall benützte der pöbelhafte Theil der Zuschauer zu lärmendem Pfeifen und Zischen. In der gehobenen Stimmung, welche dieser traurige Erfolg bei dem schlechteren Theile der Massen erzeugte, umdrängte dieser nach der Revüe den Platz vor dem „Hôtel de Prusse“ während des Zapfenstreiches, den hier die Communalgarde dem Prinzen brachte, und blieb hier, unter den Fenstern des Hôtels, wogend und lärmend, als die Musik abzog. Der Prinz hatte sich inzwischen mit den Spitzen der Behörden der Stadt und seines Gefolges im Gartensalon zur Tafel gesetzt. Nur ein verworrenes Getöse drang von außen in diesen abgelegenen Raum.

Inzwischen war es halb zehn Uhr Abends geworden. Die Tausende vor dem Hôtel sangen „Ein’ feste Burg ist unser Gott“, das ehrwürdige Trost- und Schlachtlied der Reformationskämpfer. Lautlose lange Stille folgt dem begeisterten Gesang, der auch im Gartensaal vernommen worden war. Da fliegt mit einem Male ein Stein nach einem der vorderen Fenster des Hôtels - der Gartensaal, in welchem die Herrschaften tafelten, liegt etwa dreißig Meter hinter der breiten Außenfront des Gebäudes. Niemand konnte also hier durch das Bubenstück direct bedroht werden. Wiederum ein Augenblick stiller Ueberraschung, dann wild losbrechender Jubel, dann ein anhaltender Hagel von Steinen auf das Hôtel. Klirrend zerspringen die Scheiben.

Auch das hört man im Gartensaal. Die Unruhe und Bestürzung steigt. Bisher ist seitens der Polizei und der Communalgarde nicht der geringste Versuch gemacht worden, die Menge zu zerstreuen. Der Bürgerwehrhauptmann Dr. med. Heyner eilt nun von der prinzlichen Tafel nach dem Platz und verkündigt hier laut den Massen, daß er die Hauptwache der Communalgarde, vierzig Mann vom Naschmarkt holen werde. Unangefochten läßt ihn die Menge passiren. Aber Dr. Heyner bleibt länger, als man im Gartensaal wünschte oder ihm für seine Wiederkehr Zeit gab. Und da man fürchtete, jeden Augenblick werde das Volk, das in Wahrheit sogar noch einen Halbkreis um das Thor des Hôtels freigelassen, hereinbrechen, so schreitet nun auch der Oberstlieutenant von Süßmilch in ganzer Uniform durch die Massen, um das Militär herbeizuholen. Auch ihm macht man bereitwillig Platz. Fast gleichzeitig treffen dann die Communalgarde vom Naschmarkt mit Dr. Heyner und Süßmilch mit seinen Schützen ein. Letztere räumen, das Gewehr zur Seite, im Nu den breiten Platz vor dem Hôtel. Die Menschenmasse wogt neugierig, jedoch thatlos in den Promenaden oberhalb des Platzes. Unmöglich konnten die Tausende auf dem engen Raum sofort abströmen. Da kracht auf einmal vom Hôtel her Pelotonfeuer. Fürchterlich gellt durch die milde Nacht das Wehgeschrei der Sterbenden, der Verwundeten. Zwölf Menschen liegen in ihrem Blute; sieben sind sofort todt. Es ist halb zwölf Uhr Nachts.

Die Aufregung ist ungeheuer. Die abenteuerlichsten Gerüchte durchdringen die Stadt. Zorn und Schmerz steigt auch im ruhigsten Bürger auf, als er Namen, Stand, Alter und Geschlecht der unglücklichen Opfer festgestellt sieht. Unter den Todten ein Schriftsteller von fünfzig Jahren, ein hoffnungsvoller Jüngling aus gutem Hause, zwei Postbeamte, ein bejahrter Schriftsetzer, ein Markthelfer von Brockhaus, ein – Polizeidiener! Keinem von ihnen fiel irgend eine Betheiligung an den groben Excessen zur Last. Diese Excesse hatten überhaupt allen beunruhigenden Charakter verloren, als die Schüsse befohlen wurden. In gerechter Erregung verlangte man tausendstimmig sofortige strenge Untersuchung gegen die Urheber der blutigen That. Unter diesen wird ungescheut – und auch hier mit vollstem Unrechte – der Name des Prinzen genannt – selbst in der öffentlichen Stadtverordnetensitzung am Nachmittage des 13. August. Der Prinz hat nicht gewußt, daß man die Schützen hatte laden lassen, geschweige

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verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1878, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_604.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2016)