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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Oberst Wilten verkündete, daß jetzt Alles bereit sei, und die beiden Gegner traten auf den Kampfplatz. Raven stand hochaufgerichtet da, das Auge klar und voll aufgeschlagen und die Waffe lag so fest und sicher in seiner Hand, als könne sie ihr Ziel gar nicht verfehlen. Brunnow’s Fassung war augenscheinlich eine gewaltsam erzwungene. Wenn der Augenblick der Entscheidung und die Furcht vor Mißdeutungen ihm auch seine Haltung zurückgaben, seine Hand war doch unsicher und bebte leise, als er das tödtliche Geschoß auf die Brust des einst so leidenschaftlich geliebten Freundes richtete.

Wilten gab das Zeichen. Die beiden Schüsse krachten gleichzeitig, und einen Augenblick lang standen beide Gegner noch fest auf ihrem Platze. Dann entfiel dem einen die Waffe; er preßte die Hand auf die Brust, trat einen Schritt zurück und stürzte dann lautlos zusammen. Arno Raven lag am Boden, und der weiße Reif auf dem Rasen ringsum begann sich dunkel zu färben.

Max überzeugte sich hastig, daß sein Vater unverletzt sei, und eilte dann zu dem Verwundeten, an dessen Seite sich bereits der Oberst befand. Brunnow stand regungslos da, die Pistole noch krampfhaft festhaltend; er blickte mit starren Augen zu jener Gruppe hinüber. Sein Secundant trat an seine Seite.

„Was soll denn das bedeuten?“ fragte er leise. „War es denn nicht der Freiherr, der Sie forderte? Er hat in die Luft geschossen.“

Das Wort schien die Erstarrung zu lösen, welche Brunnow gefesselt hielt. Er warf die Pistole weg und stürzte hinüber.

„Arno!“ rief er aus – es war ein Schrei der wildesten Verzweiflung. Max machte soeben den Versuch, das Blut zu stillen, aber der Vater drängte ihn ungestüm zurück, als habe er allein ein Recht auf diesen Platz, entriß ihm das Tuch und drückte es auf die Wunde. Der junge Mann zog sich schweigend zurück, während er dem Oberst und dem anderen Secundanten, die betreten dieser Scene zuschauten, einen Wink gab, mit ihm seitwärts zu treten.

„Können Sie dem Freiherrn keine Hülfe leisten?“ fragte der Oberst halblaut.

„Hülfe ist nicht mehr möglich.“ versetzte Max. „Der erste Blick auf die Wunde zeigte mir, daß sie tödtlich ist. Es handelt sich nur noch um Minuten, und da wird mein Vater das Nöthige thun. Bitte, lassen Sie ihn allein mit dem Sterbenden!“

„Es fiel überhaupt nur ein Schuß, der tödlich werden konnte,“ sagte der Secundant Brunnow’s bedeutsam.

Der Oberst nickte. „Ich habe es gleichfalls gesehen. Raven wandte im letzten Moment die Pistole – seltsam!“

Die drei Männer sahen sich schweigend an; sie begannen zu ahnen, weshalb dieses Duell provocirt worden war, aber Keiner lieh seinen Gedanken Worte. Sie fühlten, daß dort drüben, wo der Gegner an der Seite des Gefallenen kniete, sich etwas vollzog, was von den gewöhnlichen Vorfällen bei einem Duell weit abwich, und die Bitte des jungen Arztes ehrend, blieben sie in einiger Entfernung stehen.

Brunnow hielt mit dem linken Arme den Verwundeten umfaßt, dessen Haupt an seiner Brust ruhte, während er mit der Rechten das Tuch auf die Wunde preßte. War es der Schmerz dieser Berührung oder der Aufschrei: „Arno!“ der dem Ohnmächtigen das Bewußtsein zurückgab – er schlug die Augen auf und machte eine matte, abwehrende Bewegung.

„Laß das!“ sagte er. „Du hast gut getroffen – ich wußte es.“

„Arno, warum hast Du mir das gethan!?“ stöhnte Brunnow. „Warum mußte es gerade meine Hand sein? O, ich weiß es jetzt, weshalb Du mich gezwungen hast.“

Es lag ein so qualvoller Schmerz in diesen Worten, daß sie selbst den tödtlich Verwundeten erschütterten; er versuchte es, dem Sprechenden die Hand zu reichen.

„Verzeih’, Rudolph!“ sagte er kaum hörbar. „Mache Dir keine Vorwürfe! Ich danke Dir.“

Die Stimme versagte ihm, aber er richtete sich mit einer letzten Anstrengung halb empor, und sein Blick schien in der Ferne irgend etwas zu suchen. Brunnow stützte ihn; er versuchte mit Todesangst, das Blut zu hemmen, den rothen Lebensstrom, den seine eigene Hand entfesselt hatte, und der Arzt wußte doch, daß es hier nichts mehr zu hemmen, zu retten gab. Soeben brach die Sonne durch den Nebelschleier; drüben stand das Schloß auf seiner Höhe in leuchtender Morgengluth. Seine Mauern und Thürme schimmerten in rothem Lichte, und seine Fenster schienen Flammenblitze wie Grüße herüberzuwerfen. Arno’s Auge hing unverwandt an diesem einen Punkte; sein letzter Blick wandte sich dem „Sonnenstrahl“ zu, der ihn von dort her grüßte. Dann begann es zu dämmern; das leuchtende Bild wich weit und weiter zurück, und endlich versank es ganz. Es legte sich um den Sterbenden wie düstere Schatten, wie kühle Wasserschleier und er wurde fortgezogen, weit fort, in geheimnißvoll dämmernde Tiefen, wohin kein Laut des Lebens mehr drang, wo alles Ringen und Sehnen, alles Glück und Weh in einem tiefen Traum erstarb, und in den Traum verflocht sich ein fernes Rieseln, das leise geisterhafte Singen eines Quells, das wie aus endloser Ferne herniedertönte. –

Brunnow legte den Körper des Todten sanft nieder. Er wollte sich erheben, aber die Kraft versagte ihm, und fassungslos brach er an der Leiche des Jugendfreundes zusammen.




Eine neue Zeit war für das Land angebrochen. Die letzten vier Jahre hatten viel, beinahe Alles geändert; die einst verfolgte und unterdrückte Partei stand jetzt an der Spitze der Regierung, und mit diesem Umschwunge vollzogen sich auch tief eingreifende Veränderungen in allen Kreisen des öffentlichen Lebens. Bestrebungen, die einst gehemmt und bekämpft wurden, durften sich jetzt frei und offen regen, und mit den neuen Verhältnissen traten auch neue Persönlichkeiten auf den Schauplatz.

Unter denen, welche die jetzige politische Richtung ungewöhnlich schnell emportrug, befand sich auch Georg Winterfeld. Er nahm als Ministerialrath bereits eine für seine Jahre sehr bedeutende Stellung ein. Der Gouverneur, welcher gegenwärtig an der Spitze der -schen Provinz stand, war in allen Dingen das Gegentheil seines Vorgängers, liberal, nachsichtig und ohne jede Hinneigung zum Despotismus; ein energisches Durchgreifen war seine Sache nicht, und doch that dies bisweilen noth.

Brunnow hatte unmittelbar nach jener Katastrophe die Stadt verlassen. Er gab den dringenden Bitten seines Sohnes nach, sich nicht einer neuen Haft auszusetzen, der er nach den Duellgesetzen des Landes verfallen war, und die der alternde, durch die letzten Vorfälle so schwer gebeugte Mann wohl kaum ertragen hätte. Der Doctor war ja ohnehin entschlossen, sein Vaterland für immer zu verlassen. Noch ehe das Duell in der Stadt bekannt geworden war, kehrte er nach der Schweiz zurück, trat aber von dort aus öffentlich mit mit vollem Nachdrucke für das Andenken des Gefallenen ein. Er erklärte, unter dem Einfluß eines Irrthums gestanden zu haben und durch eine letzte Eröffnung Raven’s darüber aufgeklärt worden zu sein. Jene Beschuldigung sei unwahr und ein schweres Unrecht gegen den Todten. Dieses Zeugniß des Gegners, von dessen Hand der Freiherr gefallen war, fiel natürlich schwer in’s Gewicht, wenn auch die Sache jetzt so wenig erwiesen werden konnte wie früher. Der Tod erwies sich auch hier als der beste Vertheidiger. Was man dem Lebenden nie geglaubt haben würde, das glaubte man dem Todten, der gewissermaßen noch mit seinem letzten Atemzuge die ihn schändende Verleumdung für eine Lüge erklärt hatte.

Raven hatte seine Dienerschaft mit sehr reichen Legaten bedacht; im Uebrigen fiel sein ganzes Vermögen nach dem Testamente der jungen Baroneß Harder zu. Gabriele war nach dem Tode des Freiherrn lange und schwer krank gewesen und erholte sich nur sehr langsam. Gegenwärtig lebte sie mit ihrer Mutter in der Residenz, wo sie das Ziel unausgesetzter Bewerbungen war, aber sie schien den Gedanken an eine Vermählung weit von sich zu weisen, zur Verzweiflung der Baronin, die oft ihre ganze Beredsamkeit erschöpfte, nur die Tochter umzustimmen. Gabriele war vor Kurzem mündig und damit freie Herrin ihres Vermögens geworden; es war also nach Ansicht ihrer Mutter die höchste Zeit, ihre Wahl zu treffen. – –

Hofrath Moser hatte schon vor vier Jahren seinen Abschied genommen. Einerseits bestimmte ihn der Tod seines Chefs dazu, diese langgehegte Absicht auszuführen; andererseits ging es nicht gut an, im Staatsdienste zu bleiben, wenn man sich mit einer Demagogenfamilie verschwägerte, und dieses Schicksal hatte den Hofrath nun doch ereilt. Er sträubte sich zwar mit Händen und Füßen dagegen, aber das half ihm nichts; Max Brunnow lief so lange Sturm gegen ihn, bis er sich ergab. Dieser unverwüstliche

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