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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Er drehte sich ab von dem lockenden Frauenantlitz und gewahrte stutzend das am Boden knieende Mädchen, dessen dunkler Kopf über ein offenes Buch gebeugt war.

Eine Wolke des Aergers bildete sich auf seiner Stirn – hatte sie ihn belauscht?

„Was thun Sie da?“ fragte er beinahe barsch.

Erschreckt sah sie empor in sein strenges Gesicht, dunkle Gluth bedeckte das ihrige, sie hob wie bittend die eine Hand und deutete mit der andern auf das Buch.

„Ich las –“ sagte sie stockend.

Es lag etwas in ihrem Blick und der Bewegung, was ihn rührte und ihn seine Heftigkeit sofort bereuen ließ.

Er trat näher und bot ihr die Hand, um sie emporzuziehen, aber sie stand blitzschnell neben ihm, ohne seine Hülfe zu beachten, ihre Augen senkend, als erwarte sie noch weiteren Tadel; das offene Buch hatte sie auf den Tisch gelegt. Ehrenfried griff nach demselben. „Goethe’s Leben,“ las er und blickte sie überrascht an; „interessirt Sie das?“

Sie wurde wieder roth. „Ich hörte davon – durch den Schulmeister, der es zu lesen wünschte, und als ich es vom Boden aufhob, mußte ich daran denken. Ich bitte um Verzeihung.“

„Nein,“ sagte er, „nein, so nicht, Gratiana!“ – es war das erste Mal, daß er sie so anredete – „wenn Sie lesen wollen, nehmen Sie, was Ihnen gefällt, und das dort bringen Sie dem Schulmeister sofort! Er ist Ihr Freund – nicht wahr?“

Ihre Augen leuchteten. „Ja, er ist mein Freund, und für ihn nehme ich es an – nicht für mich.“ Sie machte dem Professor eine rasche Verbeugung und verließ das Zimmer.

„Gratiana –,“ sagte Ehrenfried, „wie kommt der Name und das sonderbare Wesen hier unter die Bergleute? Sie ist so eigenartig und schön zugleich und doch sich dessen unbewußt – sie spricht gewählt und doch natürlich – und Goethe sogar hat eine Stelle in ihrem eigensinnigen Kopfe! Wahrscheinlich des Schulmeisters Verdienst …“

Er pfiff den Anfang eines lustigen Studentenliedes und lachte dann hell auf: „Wahrhaftig, ich ertappe mich da bei allerhand krausen Gedanken, welche nicht mehr in meinen würdigen Kopf gehören. Ja, wenn man noch ein sorgloser Bruder Studio und dieser Schönheit dort unten so zufällig genaht wäre, wer stände da für das junge Herz, das leicht Feuer fängt – aber jetzt?“ Er stieß einen tiefen Seufzer aus. „Was ich noch besaß an Glauben und Vertrauen auf die Menschheit, an Poesie – das hat sie mir geraubt, alles und für immer. Und wie spielend kindlich, wie grausam klug … o Constanze!“

Das hübsche Antlitz da an der Wand lächelte auf seinen Zorn herab, wie vorhin zu seinen Reflexionen. Ja, er hatte sie geliebt, die verführerische Frau, mit einer Schwärmerei, deren man ihn nie fähig gehalten, und über welche seine Freunde unter einander spotteten. Alle beurtheilten die kokette Wittwe richtig, welche in dem gelehrten Herrn nur ein pikantes Spielzeug erblickte, während Ehrenfried von ihr als seiner einstigen Gattin träumte. Das Erwachen war früh genug gekommen. Ganz unerwartet hatte ihm ein Billet Constanzens ihre Verlobung mit einem Ebenbürtigen angezeigt, und als er, bleich, verstört zu ihr geeilt, war sie lächelnd, wie immer, ihm entgegengetreten. Er solle ihr Beifall zollen für ihre kluge Taktik, hatte sie gesagt; ihn, wie sich, habe sie gerettet. Die Leute hätten ernstlich gemeint, sie habe Neigung, eine „kleine Frau Professorin“ zu werden – dem Gerede hätte ein Ende gemacht werden müssen. Er mußte etwas von „thörichten Einfällen“ erwidert haben, und das faßte sie sofort auf; die Menschen hatte sie leichtfertig hinzugefügt, seien oft von kindlicher Naivetät – sie, die an Glanz und Luxus gewöhnte Frau – und er, der strenge Gelehrte, welcher das Leben in der großen Welt, wenn nicht verachtete, so doch belächelte, wie das wohl in Einklang zu bringen gewesen wäre?

Als er dann endlich die Herrschaft über sich selbst wiedergewonnen, hatte er ihr in eisigem Tone gratulirt – zu ihrem Verstande. Sie war klug genug, um seinen Hohn zu fühlen, hatte ihm scherzend mit dem Finger gedroht, eine Rose und ein Vergißmeinnicht aus ihrem Strauße gezogen und, ihm dieselben hinhaltend, gemeint, sie blieben doch Freunde – genau, wie bisher. Sie sei nicht eifersüchtig auf seine Geliebte, die Wissenschaft, gewesen; er dürfe es auch nicht auf den zukünftigen Gatten, den „armen Sclaven“ sein. Er machte eine Verbeugung, übersah die sinnige Spende und verließ das Gemach.

So war das Ende – o, die bittere, häßliche Erinnerung!

„Bin ich denn noch der alte Thor?“ fragte er laut und schüttelte den ausdrucksvollen Kopf. „Nein, nein, ich bin ein Mann und will über meine Schwäche siegen.“ Dann faßte er nach seinem Hut und sprang die schmale Treppe hinab. Schon hielt er den Thürgriff in der Hand, als ihn die Stimme der alten Großmutter zurückrief.

(Fortsetzung folgt.)




Der Donnerstag in Sage und Culturgeschichte.

Aus der Umarmung des obersten Gottes der alten Deutschen, des Wotan, und der Göttin der Erde, Nirdu, entsproß der Gott des Luftkreises, des Wetters und der Geister, Donar. In seiner Person vereinigen sich also die Kräfte des Himmels und der Erde; er ist der starke Herr der ganzen Natur und zugleich auch der Schützer der Ehe, des Ackerbaues und der Viehzucht. Die goldhaarige Sippia, die Göttin des Getreidefeldes, nannte er seine Gemahlin; Ostara, die Göttin des Frühlings und Morgens, und Paltar, der Gott des ruhig strahlenden Sonnenlichtes, sind seine Geschwister.

Unsere Altvordern sahen in dem Gewitter mit Donner und Blitz, seinen Schrecknissen und Segnungen die Gegenwart eines Gottes, und dieser Gott war eben der Donar. Sobald die den Menschen und Göttern feindlichen Riesen, in denen die Mythologie der alten Deutschen die schädlichen Naturkräfte personificirt, sich aus ihren Höhlen und Schlupfwinkeln hinausbegeben, da spannt Donar eilig seine beiden stattlich gehörnten Ziegenböcke, Zahnknirscher und Zahnknisterer, vor seinen Donnerwagen, legt sich eine schwarze Wetterwolke als Gürtel um die starken Lenden, zieht die Eisenhandschuhe an und ergreift seinen Hammer. So ausgerüstet, zieht er gegen die Riesen los: mit zorniger Kraft schüttelt er seinen rothen Bart; Feuer flammt hellleuchtend aus seinen Augen und ein Unwetter mit zuckenden Blitzen und krachendem Donner bricht aus. Rasch, wie der Blitz selbst, durcheilt er die Luft und streckt mit wuchtigem Schlage seines Hammers die Riesen nieder, welche sich nicht zeitig genug vor seiner Alles zermalmenden Kraft geflüchtet haben. So ist er der Beschützer und Schirmherr der Menschen, der König der Erde und ihrer Bewohner, der Gott des Segens und der Fruchtbarkeit.

Aber Donar ist nicht nur dieses, er ist mehr: er ist wohl der volksthümlichste Gott der alten Deutschen. Sie stellten sich ihn als einen schönen, rothbärtigen Jüngling mit aufbrausender Jugendkraft vor, der leutselig sich unter die Menschen mischt, schlicht zu Fuße einhergeht und Hoch und Niedrig gleich achtet. Er treibt seine Scherze mit dem niederen Volke, läßt sich von ihm an seinem rothen Barte zupfen, schwingt seinen Hammer in der Schmiede und schmiedet gar herrliche Waffen. So hatte sich das deutsche Volk den Gott des Donners zu seinem Vertrauten gemacht. „Ein Volk aber,“ – um mit Th. Colshorn zu reden – „das im Donnerhall die Nähe eines Freundes erkennt, das sich wohl und heimisch fühlt im brausenden Tumult der flammenden und rollenden Wetterwolke, das bekundet rüstigen Sinn und urkräftiges Leben.“

Es ist daher kein Wunder, daß Vieles in Sitten und Gebräuchen der Deutschen an diesen Gott gemahnt. Vor Allem ist sein Name dadurch unvergänglich, daß der fünfte Tag in der Woche nach ihm benannt ist, der Donnerstag. Die ursprünglichen Namen für denselben lauten verschiedentlich: Donrestag, Donresdach, Donarestag, Donderdag, Dönderdag, woraus sich dann unser Donnerstag entwickelte. Im germanischen Norden aber nannte man den Gott Donar: Thor, und danach den ihm geweihten Tag: Tornsdei, Tongersdey, Thunoresdäg, Thursday, Thorsdagr, Thorsdag, wovon Thursday ja noch heute im Englischen vollständig erhalten ist. Als das Christenthum nach

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 590. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_590.jpg&oldid=- (Version vom 15.2.2019)