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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

und Nacht und überall mit dämonischer Gewalt beherrscht hat, der mir alle übrigen Freuden des Lebens zuwider und mich zum einsamen Mann, oft genug auch in seinen Wirkungen mich und meine Familie unsäglich unglücklich gemacht! Fünfzehn Jahre – die schönsten des Lebens – habe ich nur gearbeitet, nur gegrübelt, nur geschaffen, keinen Sonntag gehabt, mich von den meisten Freuden zurückgezogen und nur dem Unternehmen gelebt. Trotz der mir zu Gebote stehenden Reisemittel habe ich mit Ausnahme einer Schweizer Reise – von der Welt Nichts gesehen, und wenn man morgen meine müden Gebeine hinausträgt, werden die Leute sagen: er war ein Narr und hat sein Leben nicht genossen! Die Leitung eines solchen Unternehmens ist ein Fluch, der mit eisernen Klammern gefangen hält und schließlich das Leben knickt, das nur noch in einer gelungenen Nummer Werth hat. In sechs Jahren sind mir drei Tage Erholung geworden, die ich in Thüringen zubrachte. Ein Nachlassen ist unmöglich, geradezu verderblich, und wenn unser Freund sich nicht ausschließlich dem Blatte widmen, wenn er nicht Alles vergessen kann, was sonst noch das Leben werth und lieb macht, wenn er nicht Tag und Nacht nur für das Blatt arbeiten kann und will, so soll er den Gedanken aufgeben, es in die Höhe bringen zu wollen. Der Ehrgeiz kann durch den Erfolg eines solchen Blattes befriedigt werden, aber glücklich – glücklich machen kann es nicht! Ich habe es erfahren!“

Das waren tief elegische Töne, die hin und wieder noch düsterer dem Innersten seines belasteten Gemüthes entquollen, je unaufhaltsamer in den nächsten zehn Jahren das immerwährende Steigen der „Gartenlaube“ die Anforderungen an seine Spannkraft erhöhete. Im Ganzen aber war er eine zu arbeitsfreudige und gesunde Natur, als daß solche Stimmungen einsamerer Stunden jemals die Art seines Wesens und Sichgebens hätten beherrschen können. Wer ihn sah und namentlich in seinen Wohnungs- und Geschäftsräumen mit ihm verkehrte – und nur da sah man ihn, wie er war – der fand sich jederzeit einer frisch und frei gearteten Mannhaftigkeit gegenüber, die mit ungezwungener Würde und fester, wenn es sein mußte auch derber Sicherheit der Haltung die lebhafteste und gesprächigste Theilnahme für Personen und Dinge und eine immer zu launiger Wendung aufgelegte Jovialität verband. Nicht leicht wird man ernsthafte Menschen finden, die zugleich so herzlich, so naiv und aus vollster Seele zu lachen vermögen, wie er es konnte, wenn mitten im Drange der Arbeiten ein drastisches Witzwort, eine gut erzählte Anekdote, ein komischer Vorgang, die Sonderlichkeit eines originellen Freundes seinen Humor erregte. Waren eine Zeit hindurch die Lasten und Verdrüßlichkeiten gar zu übermächtig geworden, so pflegte er zu sagen: „Ich muß wahrhaftig einmal in’s Theater gehen, in ein recht drolliges Lustspiel, um einmal wieder gründlich zu lachen. Das macht mich wieder auf Wochen flott!“ Bei vorwiegender Hingabe an grüblerische Melancholie würde er sich überhaupt nicht denjenigen Grundzug seines Verhaltens bewahrt haben, der ungemein bedeutsam für sein Wirken und seine Laufbahn geworden ist: den von ihm ausgehenden Zauber einer persönlichen Anmuth und Liebenswürdigkeit, unter dessen Bann Jeder stand, von dem Jeder zu erzählen wußte, der mit ihm in Berührung gekommen war. Diese Macht hätte eine dämonische werden können, wenn sie bei ihm nicht einem streng gerechten und humanen Sinn entflossen, gleichsam ein Extract seiner besten Eigenschaften gewesen wäre. Ihrem fesselnden Eindrucke hatte er viele seiner innigsten Beziehungen und Verbindungen, hatten Unzählige ihre ermunterndsten Anregungen zu danken. Mochte sie in Briefen oder Antlitz gegen Antlitz ihren Einfluß äußern, es lag etwas Unwiderstehliches in ihr und sie konnte in streitigen Fällen als Waffe eines starken Willens auch den Ueberzeugungen Anderer sehr gefährlich werden. Wollte er ernstlich etwas – und es bezog sich das immer auf redactionelle Fragen, alles Sonstige, Geschäftliches, Finanzielles etc. nahm er nicht leidenschaftlich – so wußte er es gegen widerstreitende Meinungen in einer Weise durchzusetzen, daß den Besiegten zuletzt oft nichts als ein herzliches Gelächter übrig blieb, in das er dann gemüthlich einstimmte. Schriftsteller z. B., denen er fortwährend erhebliche Aenderungen, Kürzungen, oft ganze Umstellungen ihrer Beiträge zumuthete, sobald er das im Interesse seines Blattes als nöthig erachtete, haben in dieser Beziehung für ihn gethan, was kein Mensch des weiten Erdballes von ihnen ohne Verursachung eines Bruches hätte verlangen dürfen. Nur äußerst klein wird die Zahl der Fälle sein, daß Leute dem vielfach in unausweichlichen Conflicten lebenden Manne dauernd gezürnt hätten, sofern es in seinen Wünschen lag, einen Groll nicht Wurzel fassen zu lassen. Er selber war nur unversöhnlich, wo ihm durch Untreue und Undankbarkeit bittere Erfahrungen bereitet wurden.

Viele Liebe und Hochachtung erwarb ihm in allen Volksclassen auch der Umstand, daß er in allem großen Umschwunge seiner Verhältnisse, bei allem Machtgefühl, das seine literarische Weltstellung ihm einflößen mußte, immer derselbe geblieben war, als den man ihn vorher gekannt hatte. In seinem Aeußeren war zwar mit dem reiferen Alter der ehemals schlanke Wuchs einer stattlicheren Fülle gewichen. Wie aber die Jahre seinem Blicke und seinen Zügen nichts von ihrem wohlthuenden und herzgewinnenden Ausdruck, seiner Gestalt, seinem Gange und seinen Bewegungen bis zu seinem Ende nichts von der gewohnten jugendlichen Straffheit und Elasticität genommen hatten,[1] so ist auch nach dem Wechsel der Glücksumstände niemals auch nur die geringste Aenderung in Bezug auf die strenge Schlichtheit und Anspruchslosigkeit seines Wandels an ihm bemerkbar geworden. Die noble Einfachheit in Erscheinung und Lebensführung stand ihm so wohl, weil in ihr nichts Enges, Eckiges und Philisterhaftes, wenn sie nicht erkünstelt und blos zur Schau getragen, sondern das naturwüchsige Ergebniß seiner ganzen Geschmacks- und Charakterrichtung, seines durchaus demokratischen Naturells und echten Bürgerstolzes war. Unter allen abgeschmackten Rollen, die ein Mensch in der Welt zu spielen vermag, erschien ihm das Prunken mit dem Besitz, die gemachte Vornehmheit eines sich aufblähenden Geldstolzes und Vergnügungslebens als die dümmste, lächerlichste und verächtlichste. Keiner seiner alten Freunde unter den Kaufleuten, Buchhändlern, namentlich den Schriftstellern und Künstlern hat in jahrelangem traulichstem Umgange jemals gespürt, daß Keil inzwischen ein mächtiger und sehr wohlhabender Mann geworden sei. Nur in diesen Kreisen suchte er Abends beim Bier gern seine gesellige Erholung, und das ewige Gerede, daß es seine Pflicht sei, „ein Haus zu machen“, schnitt er entweder mit der Bemerkung ab. „Ich habe ja aber gar keinen Frack“, oder er entgegnete ernster: „Das fehlte mir gerade, daß ich mich auch Abends noch in eine Zwangsjacke steckte, wenn ich todtmüde bin!“ Als sein Geschäft weit über den engen Miethsraum hinausschwoll, in welchem es die ersten sechszehn Jahre gehaust, hatte er demselben allerdings (1862) ein palastartiges Haus errichtet und in diesem auch sich und seinem musterhaften Familienleben ein schönes und sinniges Heim geschaffen. Diesen Aufwand – der große Bau wurde sofort bis auf den letzten Pfennig bezahlt – glaubte er im Interesse der beiden hohen Zwecke, denen sein Leben gewidmet war, sich im Angesichte der Welt gestatten zu dürfen, zugleich sollte das Haus als eine untilgbare Mahnung dastehen an die steigende Macht der Volksaufklärung und der freisinnigen Presse.

Im Uebrigen aber war es nur noch eine einzige Neigung, der er neben der besseren Förderung der „Gartenlaube“ mittelst des erlangten Ueberflusses eine ausgedehnte und über das gewöhnliche Maß hinausgehende Befriedigung verschaffte: dem Drange nach Beglücken und Wohlthun, nach Bethätigung seines weichen Erbarmens mit Elend und Unglück. Seine nächsten Umgebungen kannten diesen Zug genau, Niemand hat ein paar Stunden in seiner Nähe geweilt, ohne ihn nebenher noch mit einigen großen oder kleinen Angelegenheiten der bezeichneten Art ernstlich beschäftigt zu sehen. Sein Comptoir war zum Theil ein Wohlthätigkeitsbureau. Wenn Leute jedes Alters und Geschlechts, Familien oder Einzelne, irgendwo in Bedrängniß oder Verlegenheit waren, oder auch nur irgend einen dringenden Wunsch sich nicht erfüllen konnten, so schrieben sie an den allbekannten Gartenlauben-Redacteur, oder reisten direct nach Leipzig, um ihm ihre Bitten und oft recht curiosen Anliegen dringend an’s Herz zu legen. Nicht allen diesen fortwährend auf ihn einstürmenden Gesuchen konnte er entsprechen, aber fortwährend gab und half er nach allen Seiten hin mit vielfach sehr erheblichen Beträgen Bekannten und Unbekannten aus der eigenen Tasche, scheuete er beschwerliche Gänge und Schreibereien, selbst

  1. Das Original des unserer Darstellung beigefügten wohlgetroffenen Portraits, das er noch selber in der photographischen Anstalt von W. Höffert in Leipzig fertigen ließ, ist aus den letzten Monaten seines Lebens.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_578.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)