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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Möge sich also Niemand den Weg des Mannes als einen leichten und vergnüglichen denken, und mögen namentlich geschäftige Mittelmäßigkeiten seines Berufes, emsige Streber nach Geldgewinn und behaglicher Lebensfreude, die Bemerkung zu Hause lassen, es habe ihnen für eben solches Gelingen ihrer eigenen Projecte nur der „absonderliche Stern“ Keil’s gefehlt. Um eine Schöpfung wie die „Gartenlaube“ existenzfähig in’s Dasein zu rufen, dazu gehörten schon Voraussetzungen der Lebensrichtung und Erfahrung, innerliche Kräfte, Anlagen und Antriebe, wie sie nach der idealen und praktischen Seite hin nur äußerst selten in einer und derselben Persönlichkeit vereinigt sind. Als noch viel gewaltiger jedoch stellt sich die Aufgabe heraus, eine derartige Unternehmung Jahrzehnte hindurch wider die niemals ruhende Gegenarbeit feindlicher Mächte auf der Höhe ihres Einflusses und Fortganges zu erhalten, sie fort und fort mit frischer Lebenswärme zu durchhauchen und trotz aller Anfechtungen und schweren Hindernisse zum Gemeingut einer ganzen Nation zu machen. Wer das zu ermöglichen siegreich durchzuführen und dabei stets sich selber wandellos treu zu bleiben vermag, der muß mit der nöthige Macht des Blickes und dem erforderlichen Grade der Urtheilssicherheit und geistigen Begabung auch ungewöhnliche Charaktereigenschaften besitzen, namentlich eine stählerne Energie des Vorsatzes und eine Aufopferungs- und Entsagungsfähigkeit, die um des einen Zweckes willen alle sonstigen Wünsche und Neigungen des Herzens hintenanzustellen, alle sonstigen Interessen des Lebens diesem einen Zwecke unterzuordnen weiß. Das ist bekanntlich nicht Jedermanns Sache, aber gerade diese Vorzüge waren es, die den ungelehrten Sohn des schlichten Hauses von Langensalza zu einem großen Heerführer im deutschen Geisteskampfe seiner Zeit, zu einem Helden und Sieger auf seinem Felde des volksthümlichen Journalismus werden ließen, dem er neue Ziele gewiesen, neue Bahnen gebrochen, neue Kräfte erweckt und zu einer bis dahin nicht erlebten Macht und Wirksamkeit verholfen hat. Wollte ihm Jemand dieses hohe Verdienst bestreiten, so mag er nur einmal die früher so überaus kümmerlichen und untergeordneten Erzeugnisse des betreffenden Literaturzweiges mit der Darbietung Keil’s und mit dem großartigen Umschwunge vergleichen, der sich durch ihn und nach seinem Vorgange in den letzten fünfundzwanzig Jahren auf diesem so überaus wichtigen Gebiete unseres Culturlebens entwickelt hat.

Es ist richtig, daß ihm dafür die Anerkennung und der Lohn des Volkes verhältnißmäßig schnell und in reichem Maße zu Theil geworden ist. Man darf aber nicht vergessen, daß dieser Umstand zum Besten der Leser die Betriebsmittel des Unternehmens erhöhte, daß er ferner allen mit dem Buchhandel irgend zusammenhängenden Geschäftszweigen in der fühlbarsten Weise zu Gute kam, einer sehr erheblichen Zahl von Arbeitskräften dauernden Erwerb und reichliches Auskommen sicherte und unter Anderem auch in den Honorarverhältnissen der deutschen Schriftsteller eine folgenreiche Verbesserung herbeiführte. Aller Arbeit, besonders aber der schriftstellerischen Thätigkeit, fühlte sich Keil so nahe verbrüdert, daß er ihr auch als Verleger stets die herzlichste Würdigung und das Gefühl einer vollen Collegialität bewahrte. Hatte ihm selber das Geschick, wie er einmal sagte, „ein erkleckliches Mehr in die Krippe geworfen“, so freute er sich dessen wohl, weil es von selber als eine Frucht seiner Arbeit ihm zugewachsen war, ohne daß er es gesucht und danach gestrebt hatte. Alle, die ihm jemals nahe gestanden, werden aber zweifellos zugestehen, daß es nicht diese Seite seines Erfolges gewesen, die seinen Ehrgeiz befriedigt, seinen Schaffensdrang gespornt und ruhelos vorwärts getrieben hat. Ein mitleidiges Lächeln hatte er daher für die Menschen, die nicht ermüdeten, ihm immer nur die Höhe der Summen nachzurechnen, welche das Product seines heißen Mühens ihm eingetragen, als ob darin der Gewinn seines Daseins bestände. „Möchten sie doch nur einmal ein paar Wochen an meine Stelle treten,“ meinte er, „und dann urtheilen, ob wirklich das Geld mich hätte reizen können, ein solches Leben zu führen!“

Wahrhaft rührend und doch zugleich in hohem Grade ergötzlich war daher sein mit Empörung gemischtes Erstaunen, als in der Gründerzeit speculationsdurstige Genossenschafter verschiedener Börsenplätze auch seine Ruhe zu stören suchten und an ihn sich in dem Glauben wendeten, daß ihm seine „Gartenlaube“ um ganz ungeheuere, sofort baar zu erlegende Summe von Hunderttausenden feil sein werde. Nicht begreifen konnte er, daß es in Deutschland Leute gäbe, die ihn für so klein und jämmerlich hielten. Schriftliche Anträge dieser Art – sie fanden sich noch in seinem Nachlasse – beantwortete er gar nicht, aber man ließ nicht ab und sandte ihm wiederholt auch elegante und redegewandte Unterhändler in’s Haus, die noch höhere Preise boten, da man annahm, daß ihm die bisherigen zu gering erschienen seien. Mit einigen dieser Unterhändler ließ er sich in Gespräche ein, hörte aufmerksam ihre Auseinandersetzungen an und versagte sich dann das Vergnügen nicht, ihnen mit aller Drastik seiner Redeweise das Beleidigende und die komische Verächtlichkeit ihrer Mission vor die Seele zu führen. Namentlich wird ein junger Buchhändler, der von auswärts in solchem Auftrage zu ihm gekommen war, sich noch lebhaft erinnern, wie Keil ihm sagte: „In dieser Zeit, wo man Alles für käuflich hält, können die vereinigten Geldmacher auf alle möglichen und unmöglichen Gedanken kommen; es kann sein, daß sie es morgen für nutzbringend halten, die Frau oder das Kind eines Mannes zu erwerben. Würden Sie den Muth haben zu diesem Manne sich schicken zu lassen und ihm zu sagen: ‚hier ist Geld, viel Geld, das sollst Du haben, wenn Du uns Dein Weib oder Dein Kind überlieferst‘? Mit hohnlachender Entrüstung, so glaube ich, würden Sie eine so schamlosen Auftrag abweisen. Aber mit ganz unschuldiger Miene zu einem Manne zu kommen und von ihm zu fordern, daß er Ihnen ein Stück seiner Seele, das blühende Werk, den Beruf und die Freude seines Lebens hinwerfen soll wie eine todte und gleichgültige Sache, für einen Haufen Geldes – nicht wahr? – das haben Sie für schicklich und ganz in der Ordnung gehalten? Wer hat Ihnen denn gesagt, daß Keil die ‚Gartenlaube‘ um irgend einen Preis verkaufen würde?“ Der junge Mann hatte einfach eine Geschäftsvermittlung übernommen und sich die Sache nicht so ernst gedacht. Sichtlich erschreckt und erschüttert faltete er den bereits auf dem Tische ausgebreiteten Verkaufsvertrag wieder zusammen und schied mit den Worten: „Ich habe da eine tief beschämende Lehre erhalten, aber die Reise doch nicht umsonst gemacht. Die Hochachtung vor meinem Stande und seinem Beruf war mir abhanden gekommen, hier habe ich sie wiedergewonnen!“

An solchen lebhaften Auftritten mannigfachster Art fehlte es übrigens fast niemals im Bureauleben Keil’s, und mit Sicherheit kann man auch annehmen, daß eine minder bewegte Existenz ihm niemals genügt haben würde, seine ganze Natur war in der That nur für die Erregungen und Wechsel einer öffentlichen Laufbahn angelegt. Aber es gab doch auch weiche Stellen im Herzen dieses starken Mannes, die aus allem Sturme heraus nach grünen Fluren sich sehnten, nach idyllischem Frieden und ungestörterem Genusse des Familienglückes, das ihm so reichlich beschieden war. Dieser lyrische Zug, der auch in seiner „Gartenlaube“ zu so ansprechend warmem Ausdrucke gekommen ist, erzeugte in ihm einen Zwiespalt zwischen seinem Empfinden und Thun, den freilich der Humor scherzender Freunde zu mancher gelungenen Neckerei benutzte, der aber doch ernsthafter war, als man glaubte. Wie deutlich er wußte, daß die „Gartenlaube“, die Freude und der Stolz seines Lebens, zugleich ein tragisches Verhängniß für sein persönliches Glück geworden sei, dafür kann hier ein merkwürdiges Geständniß von ihm aus dem für den Aufschwung der „Gartenlaube“ so außerordentlich glanzvollen Jahre 1867 angeführt werden.

Ein Freund hatte ihn damals von der Reise aus im Auftrage und Interesse eines gemeinsamen Bekannten vertraulich gefragt, ob dieser wohl die ihm angetragene Leitung eines illustrirten Unterhaltungsblattes übernehmen solle. Keil beantwortete in seiner Menschenfreundlichkeit die an ihn gerichtete Frage sehr ausführlich und schrieb dabei über sich selber Folgendes: „Was die ‚Gartenlaube‘ betrifft, so war ihre Auflage von 5000 Exemplaren, die im ersten Jahre (1853) abgesetzt wurden, im Jahre 1863 auf 157,000 gestiegen. Infolge des damaligen Verbotes für Preußen war sie zwar auf 105,000 zurückgegangen, stand aber 1866 schon wieder auf 142,000 bis alle in demselben Jahre, nach Aufhebung des preußischen Verbotes binnen neun Monaten um 83,000 sich vermehrte, sodaß jetzt (1867) 225,000 Exemplare gedruckt werden. Das sind Erfolge, auf die ich wohl stolz sein könnte, da sie redactionell und geschäftlich mein alleiniges Werk sind. Fragt man mich aber, ob sie mich glücklich gemacht, so habe ich nur eine trübe Antwort. Fünfzehn Jahre lang habe ich nur den einen Gedanken gehabt, der mich Tag

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