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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

und einen ihrer nachhaltigsten, ihrer fröhlichsten und stolzesten Siege erlebt. Mögen immerhin Manche oder Viele den Vorgang nicht mit dem Auge der Liebe betrachten, so werden sie bei einiger Unbefangenheit doch zugeben müssen, daß die Erhebung des Keil’schen Unternehmens zu einer literarischen Weltmacht viel mehr als der glückliche Geschäftserfolg eines Einzelnen, daß sie zugleich ein deutliches Beispiel und imposantes Zeugniß war von der volksthümlichen Macht der demokratischen Strömung und des nationalen Einheits- und Freiheitsgedankens. Diese so wunderbar dem Bedürfnisse der Seelen entsprechende, Hunderttausende zu sich heranziehende, weithin in alle Lande duftende Geistes- und Herzensblüthe aber hatte sich direct aus der Genialität des gesinnungsvollen Leipziger Buchhändlers entfaltet, und von diesem Gesichtspunkte aus wird ein heller Streifen warmen Frühlingslichtes auf seine ganze Lebensbahn geworfen. Es ist erklärlich, wenn jetzt so viele Leser dieses Blattes wenigstens einigen Spuren des Weges nachgehen möchten, auf dem ein solcher Mensch gewandelt, auf dem er geworden ist und für seine Bestimmung sich herangebildet hat.


Eine thüringische Kleinstadt vor sechszig oder fünfzig Jahren! Die meisten dieser Orte, selbst die in der Ebene befindlichen, zeichnen sich bekanntlich durch den frisch aus den Bergen wehenden Hauch einer reinen und stärkenden Luft, sowie durch den idyllischen Reiz anmuthiger Umgebungen aus. Dazu kam aber in jener regungslosen Epoche nach den Napoleonischen Kriegen noch die tiefstille Weltabgeschiedenheit und der harmlose Friede patriarchalischer Verhältnisse, in deren lauschig-traulicher Enge die rührig gewerbfleißigen, wohlgesitteten und ehrenfesten Bürgerschaften ihre Tage ohne ungewöhnliche Wechselfälle dahinlebten. Alle diese Einflüsse, mit denen sich oft auch das stolze Bewußtsein einer einstmals größeren Bedeutung und Herrlichkeit des uralten Gemeinwesens verband, mußten der körperlichen und geistigen Gesundheit der hier anwachsenden Jugend förderlich sein und dieselbe für ihren etwaigen Eintritt in eine bewegtere Welt mit einem Vorrath tüchtiger, ruhig und naturgemäß entwickelter Leibes- und Seelenkräfte ausrüsten, durch welche in der That die Sprößlinge der thüringischen Lande sich draußen vielfach ausgezeichnet haben. Eine sehr dankbare Anhänglichkeit hat daher Keil auch allezeit dem ansehnlichen Städtchen Langensalza bewahrt, wo er am 6. December 1816 geboren war. Das Haus seiner Eltern gehörte zu den besten Häusern des Ortes, ein hinlänglich behagliches Nest, dem die herabdrückende Noth fern blieb wie der verweichlichende Luxus. Ein sauberer Geist der Ordnung, der feiner gearteten Bildung und züchtigen Sitte beherrschte diese freundliche Heimstätte. Der Vater, ein wohl schon damals in den Ruhestand getretener Gerichtsbeamter, genoß unter seinen Mitbürgern den Ruf eines wackeren Biedermannes, er war auch geistig angeregt, in verschiedenen Wissenschaften bewandert, ein Freund guter Lectüre, dabei weichen und bedächtigen Wesens. Die (erst nach 1868 langjährigem Wittwenstande verstorbene) Mutter wird als eine verständige und liebreich besorgte Hausfrau geschildert, und man rühmt ihr eine entschieden durchgreifende Seelenstärke nach, die jedoch unter Umständen nicht ohne einen Zug herber Strenge geblieben zu sein scheint. Wer Keil gekannt hat, wird nicht zweifelhaft sein, daß diese gegensätzlichen Eigenschaften der Eltern in der Gemüthsart des Sohnes sich wiedergefunden und unter dem Hinzutritt neuer Elemente zu einem eigenthümlichen Charaktergepräge verschmolzen hatten. Ernst war wohl unter seinen fünf Geschwistern das begabteste Kind und der Vater überwachte seine Erziehung mit sorgfältigster Aufmerksamkeit. Auch auf seinen jeweiligen Fußreisen durch das Gebirg nahm er den Knaben mit, wodurch demselben schon im zartesten Alter der Sinn für das Naturschöne erschlossen wurde. Für seine wissenschaftliche Ausbildung aber fehlte es in Langensalza an einer höheren Lehranstalt, und schon frühzeitig mußte er das trauliche Elternhaus verlassen, um das Gymnasium in Mühlhausen zu besuchen. Ein Herzenswunsch wäre dem Vater erfüllt worden, wenn er diesen Sohn hätte studiren lassen können, für eine solche Laufbahn aber reichten die vorhandenen Mittel nicht aus. Ernst faßte daher den Entschluß, Buchhändler zu werden, weil dieser Beruf seiner früh erwachten Neigung für Poesie und Literatur entsprach und ihm die volle Befriedigung eines unbezwinglichen Lesedurstes in Aussicht stellte, dem er bisher mit seinen ersparten Pfennigen nur aus dürftigen Leihbibliotheken und nur in versteckten Winkeln der Hausböden und Ställe hatte genügen können. Sein guter Stern führte den Zögling des Mühlhäuser Gymnasiums in die Hoffmann’sche Hofbuchhandlung in Weimar, deren Besitzer ihm ein gewissenhafter Lehrherr wurde.

Das goldene Zeitalter Weimars war damals bereits im Erlöschen, aber die stille, lieblich umgrünte Residenzstadt an der Ilm war doch noch so recht die Atmosphäre, in welcher der ideale Hang des dichterisch gestimmten Jünglings die geeignete Nahrung und Anregung finden konnte. Oft und gerne erzählte er später von den unbeschreiblichen Gefühlen ehrfurchtsvollen Schauers, die ihn durchrieselt hatten, wenn er allwöchentlich das Arbeitszimmer Goethe’s betrat, um demselben die eingelaufenen Novitäten vorzulegen, und der greise Dichter dann freundlich scherzend mit ihm sprach, ihm mit der Hand über das blühende Gesicht und das reiche blonde Lockenhaar strich. Um die Sonne des großen Altmeisters aber kreiste damals in Weimar noch eine Anzahl literarischer Männer und Frauen aus der classischen Glanzperiode, mit denen der Buchhandlungslehrling in vielfach sehr nahe und für ihn förderliche Berührung kam. Doch nicht blos diese Erinnerungen an eine entschwundene Blüthe deutschen Geistes gewannen Einfluß auf seinen Bildungsgang. In den stillen Buchladen des alten Kranachhauses am Weimarischen Marktplatze drang aus der Ferne auch der heiße Athem, klangen auch die aufrüttelnden Töne jener sogenannten jungdeutschen Literatur, in welcher gerade damals eine neu aufsprießende Ideenwelt sich ankündigte, eine Wendung des stockenden deutschen Lebens zu lebhafterem und freierem Aufschwunge. Diese zunächst rein literarische Bewegung übte eine mächtige Anziehungskraft auf das Gemüth und die Denkungsart des jungen Mannes. Heine, Börne, Gutzkow, Laube etc., Alles was kritisch oder in Romanen und Dichtungen die hochwogende Blutwallung des neuen Geistes zeigte, wurde nach dem Schlusse des Geschäfts, Nachts oft im ungeheizten Zimmer, mit so leidenschaftlichem Eifer von ihm gelesen, daß es entscheidend ward für die fernere Richtung seiner Anschauungen, seines Geschmackes, seines von Natur aus allem Unfrischen und Pedantischen abgewendeten Formensinnes.

Auch in Erfurt, wo er nach Beendigung der Lehrzeit seiner preußischen Militärpflicht als Freiwilliger genügte, widmete der schmucke und stramme Soldat den größten Theil seiner Mußestunden den literarischen Studien und Beschäftigungen, ohne durch die meist sehr erhebliche Ebbe in seiner Casse sich herabstimmen zu lassen, da er während der Militärzeit nichts erwerben und der liebreiche Vater ihm nur ein knappes Auskommen ermöglichen konnte. Der romantische Humor dieser peinlichen Situation sagte seinem munteren Sinne sogar zu. Er schlug sich durch, so gut es gehen wollte, und hat diese Erfurter Zeit stets als die lustigste und sorgenloseste seines ganzen Lebens bezeichnet. Unter seinen zahlreichen Freunden versorgte ihn der Sohn eines Leihbibliothekars täglich mit dem ersehnten Büchervorrath, während die Freundschaft mit dem Sohne eines Restaurationsbesitzers ihm die Gelegenheit bot, seine Abende munter in guter Gesellschaft zu verleben und an den Clavier- und Gesangsproductionen der Gäste sich zu betheiligen, ohne daß seine gänzliche Enthaltung von Speise und Trank auffällig wurde. Gewöhnlich hatte ihm vorher sein karges Abendessen zu Hause schon vortrefflich gemundet, ein Glas Bier im Wirthshause jedoch durfte der sonst immer stolz und stattlich auftretende Freiwillige sich nicht häufig erlauben.

Aber der „Rock des Königs“, in dem er sich ganz wohl gefühlt, mußte nach Ablauf der Frist endlich ausgezogen werden, und dieser Act bedeutete nunmehr den Eintritt in den vollen Ernst und Kampf des Lebens. Noch ein kurzer Besuch bei den Eltern, dann zog der Einundzwanzigjährige nach Leipzig, wo er mit der damals üblichen geringen Besoldung als Gehülfe in die Weygand’sche Buchhandlung trat. Einige kurze Reisen ausgenommen, hat er diese Stadt seitdem niemals wieder verlassen. Die Mächte, welche ihn hierher gezogen, schlangen auch bald fesselnd ihre Fäden um ihn. Für die jungdeutsche Bewegung, als deren eifrigen Jünger er sich fühlte, war Leipzig damals in gewissem Sinne ein Mittelpunkt, so weit sie in einem zwar noch vorwiegend belletristischen, aber doch schon beweglicher gewordenen Journalismus sich äußerte. Gerade der Journalismus aber war dasjenige Feld, welches dem jugendlichen Neuling

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 571. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_571.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)