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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Thiercarricaturen mit Buckel und zur Erde herabhängendem Kopf gezogen werden. Die Kunst, welche sie hervorruft, steht freilich, wenn ich so sagen darf, an Geschicklichkeit noch beträchtlich über der Farbenzüchtung, nimmer aber an Streben nach dem Schönen und Vollkommenen, welches doch, abgesehen von der Rücksicht auf den Nutzen das Hauptziel eines jeden Thier- und Pflanzenzüchters sein soll.

Ein tadellos pfefferfarbener Canarienvogel ist in der That eine allerliebste Erscheinung - und es liegt wohl ein ganz besonderer Reiz darin, diese künstliche Züchtung nachzuahmen. Daher brachte ich ein Männchen der reinen dunkel orangegelben Norwichrace mit mehreren Weibchen der schlicht gelben gemeinen deutschen zusammen. Zu meiner Verwunderung fraßen die letzteren bald eifriger von dem vorgesetzten Pfeffergemisch als das Männchen, ohne daß durch die doch so plötzlich bewirkte Futterveränderung ein übler Einfluß hervorgebracht wurde. Krankheitshalber mußte ich in jenem Sommer für längere Zeit mein Heim und desgleichen die Vögel verlassen, und unter fremder, wenn schon aufmerksamer Pflege war das Männchen doch eingegangen. Der weitere Verlauf des Versuchs ergab zur Genüge, wie schwer überhaupt Erfolge zu erzielen sind. Die alten Weibchen in meiner Vogelstube hatten in Folge der Pfefferfütterung zwar eine auffallend dunkler gelbe Färbung erlangt, zwei flügge gewordene Junge aber zeigten sich nur wenig gelb und nahmen auch bei reichlichem Pfeffergenuß während der Mauser keine kräftigere Färbung an. Die rationelle Zucht in England hüllt die jungen Vögel während des Federwechsels in Baumwolle oder Watte, sodaß das zarte hervorsprießende Gefieder unter Luft- und Lichtabschluß sich zur vollkommenen Ausbildung entwickelt. Zu derartigen mehr oder minder künstlichen Hülfsmitteln mochte ich aber nicht greifen, weil dieselben denn doch zu sehr an Thierquälerei streifen.




Die Insel der Aphrodite.
(Schluß.)

Eine große vollbrachte Thatsache ist auch die englische Annexion Cyperns. Man braucht nicht für die Ländergelüste Englands zu schwärmen; man kann die Gründe und die Art und Weise der Annexion der Insel Perim am Eingange in’s Rothe Meer, der Annexion der südafrikanischen Transvaal-Republik in recht frischem Gedächtniß haben und doch zugleich der letzten Annexion gerne zustimmen. Man braucht auch nicht zu glauben, daß England Cypern annectirt habe, um von hier aus dem „kranken Mann“ als barmherziger Samariter die moskowitischen Fliegen abzuwehren. Die Größe des Areals, die Bevölkerung, der Reichthum der Bodenproduction waren es nicht, welche Englands Gelüste nach diesem Eiland gereizt haben. Unzweifelhaft spinnt Englands hier größere Pläne, deren Bedeutsamkeit und Tragweite noch gar nicht zu bemessen sind. Früher oder später wird Cypern für Englands Besitz ein hohes weltgeschichtliches Gewicht erlangen und eine tiefe, nachhaltige, folgenreiche Einwirkung nicht allein auf das Schicksal des Osmanenreiches, sondern auch auf die Verhältnisse der von dem Mittelmeer bespülten Staaten ausüben. Erst durch den Erwerb von Cypern, im Verein mit dem Besitz von Gibraltar und Malta, sind die Engländer unbestreitbar Herren des Mittelländischen Meeres geworden. Wie wichtig auch Gibraltar und Malta für England sein mögen, beide Bollwerke werden von Cypern weit übertroffen. Nur dadurch, daß Gibraltar und Malta mit Cypern in eine strategische Vereinigung treten, erlangen sie erst ihre ganze militärische und politische Bedeutsamkeit.

Vor beiden aber hat Cypern den Vorzug seiner beträchtlichen Größe, die es besonders geeignet macht zur Basis und zum Ausgangspunkt für bedeutende kriegerische Unternehmungen. Es ist ein vortreffliches Militärdepot, eine Etappenstation, um hierher und von hier aus zahlreiche Truppen von und nach Indien leicht und schnell zu dirigiren. Auch können Famagusta im Osten, Larnaka im Süden leicht zu großen, starken Kriegshäfen befestigt werden. Cyperns Annexion ist daher ein unschätzbares Mittel zur Ausführung von Zwecken, die weit über den bloßen Landbesitz hinausgehen. Cypern ist seit der Landung Wolseley’s das Heerlager Albions geworden zur scharfen Beobachtung Rußlands in seinen stillen Plänen gegen die asiatische Türkei, wie in seiner Bedrohung der wichtigsten asiatischen Interesse Englands in Indien.

England wird daher auch wohl bald die alten schon in den dreißiger Jahren geplanten Entwürfe zu Eisenbahnen am Euphrat und Tigris wieder aufnehmen und ausführen, denn Cypern beherrscht nicht nur die Südküste Kleinasiens, ganz Syrien, die Mündungen des Nils und des Suezcanals, sondern es giebt seinem Besitzer auch noch den Schlüssel zu dem Gebiete der genannten Ströme Asiens. Die Entfernung der Insel nordwärts und ostwärts zu den Häfen von Kleinasien und Syrien ist nur etwa zwanzig geographische Meilen, die von der ägyptischen Küste etwa fünfzig. Wie schnell und leicht ist also von hier aus jede Einsicht in die örtlichen Vorgänge, jedes militärische Eingreifen in dieselben! Die Eisenbahnverbindung aber zwischen Indien und dem Mittelländischen Meere würde den Abstand der Insel Cypern von der vorderindischen Küste um fast die Hälfte vermindern. Jetzt beträgt er von Bombay aus auf dem Wege über die arabische See, das rothe Meer und durch den Suezcanal achthundertfünfundzwanzig geographische Meilen. Der Weg von Kuratschi an der nördlichsten der Mündungen des Indus, wo die britisch-ostindische Regierung während der letzten Jahre großartige Hafenwerke anlegen ließ, durch den nördlichsten Theil des Arabischen Meeres, den Golf von Oman, den Persischen Meerbusen und das Euphratthal bis nach Cypern ist nämlich dreihundertfünfzig geographische Meilen kürzer als der ersterwähnte. Das Zeitersparniß des kürzeren Weges führt aber selbstverständlich noch weitere Vortheile mit sich.

Eine Euphratbahn an der Grenze Persiens würde, wie sicher zu erwarten, auch den englischen Einfluß auf die Regierung von Teheran sehr wesentlich erhöhen.

Der Umstand aber, daß England durch seinen Vertrag mit der Türkei sich zum Schutze der asiatischen Besitzungen derselben verpflichtet hat, wird England auch in Indien zum Vortheil gereichen. Die fünfundvierzig Millionen Mohammedaner nämlich, welche hier dem britischen Scepter unterworfen sind, werden es England eben so hoch anrechnen, daß es als Beschützer des Padischah der Osmanen angetreten ist, welcher ihnen, wie allen übrigen Mohammedanern, noch immer als Haupt und vornehmster Fürst des Islams gilt, wie sie es schwerlich gleichgültig hätten geschehen lassen, wenn England direct zum Untergange der Türkei beigetragen hätte.

Was bisher gesagt worden, ist ein Ausdruck der allgemeinen Stimmung, welche die große, überraschende That der Annexion Cyperns hervorgerufen hat. Es ist hier nicht der Ort und nicht die Aufgabe, Erschöpfendes über die Natur und Geschichte des Eilandes und die politische Bedeutung des große Tagesereignisses zu geben. Nur einzelne orientirende Fingerzeige sollten geboten werden. Und so mögen denn schließlich hinsichtlich der Zustände Cyperns in der Gegenwart auch nur einige Blicke genügen.

Wie sehr auch die Bevölkerung sich verringert hat und verwahrlost ist, die Erzeugnisse des Bodes, die Cultur desselben sind noch mehr verkommen. Große Strecken des fruchtbaren Landes sind außer aller Cultur. Wer sollte wohl nach Erwerb arbeiten, wenn er weiß, daß ihm derselbe von den Behörden genommen wird; denn nach türkischer Algebra wird von den Feldfrüchten der vierte Theil als „Zehnter“ erhoben. So beschränkt sich die Ausfuhr der Landeserzeugnisse auf etwas Getreide, Wein, Krapp, Johannisbrod und Salz, und was hinausgegangen ist, kommt nicht in Form dafür eingehandelter anderer Güter zurück, sondern es wandert als Steuer etc. in die Cassen des Sultans, in die Taschen der Zwischenpersonen.

Für Auge und Gefühl, für stimmmungsvolle landschaftliche Schönheit sind indeß die verwilderten Strecken durchaus keine beklagenswerte Sache. Da zieht sich dichtes Gebüsch von Lorbeer und Myrthe, Klatschrosen und blühenden Oleander über Aecker, die einstmals sorgsam gepflegt waren. Wo das größere Gebüsch zurücktrat, da ist ein unvergleichlicher Blumenteppich ausgebreitet; Tulpen und Hyacinthen, Mohn und Orchideen in den reichsten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_566.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2022)