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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Selim, einem Schlemmer, der stündlich süßen Weines voll, genügte es, zu wissen, daß die Insel die edelste Traube der Welt hervorbringe, und der Türkenzug nach Cypern wurde ausgeführt. Die Belagerung von Famagusta, welches der Venetianer Bragadino heldenhaft vertheidigte, und der endliche Fall der festen Stadt entschieden das Schicksal Cyperns. Der Sultan brach die Bedingungen der Capitulation, metzelte zwanzigtausend Einwohner nieder und ließ Bragadino bei lebendigem Leibe rösten. Die Türken blieben im Besitze. Venedig verlor sein reichstes Gut, seine nie versiechende Schatzkammer für die heimischen Zecchinenbeutel; auch der Sieg des Juan d’Austria bei Lepanto konnte das Verlorene nicht wiederbringen. Mit dem Verlust Cyperns begann der Verfall Venedigs.

Cypern war während dieses letzten Zeitraums von vierhundert Jahren in den Händen christlicher Abendländer. Was ist aus jener Zeit der abendländischen Herrschaft geblieben? Wo sind die Spuren derselben noch heutzutage sichtbar? Die große Lawine, welche in den nachfolgenden Jahrhunderten in dem verwüstenden Strom der türkischen Eroberungen über die Länder des Orients dahinbrauste, hat Alles verschlungen. Von den Feudalherzogthümern und Baronien giebt es keine Erinnerung mehr; die abendländische Bevölkerung ist bis auf einige tausend Katholiken die auf mehreren Inseln des griechischen Archipelagus, z. B. auf Naxos, noch gegenwärtig leben, verschwunden.

Drei Jahrhunderte des türkischen Despotismus sind über die Insel gerauscht; Land und Leute wurden verwahrlost, sie verkamen und verwilderten. „Cypern,“ sagt Löher in seiner eben zur rechten Stunde erschienenen vortrefflichen Schrift, „Cypern glich, seitdem die Türken vorüber kamen, einem Thier, dem gewaltsam das Rückgrat verrenkt und zerbrochen ist; es lebt nur so dahin. Auch ihre kleinen Mordfeste haben die Türken auf der Insel gefeiert. Denn – so denken sie – eine vollbrachte Thatsache hat immer Verstand; die Todten beißen nicht mehr, und wer noch lebt, den lähmt heilsamer Schrecken. Gegenwärtig ist in Cypern, einige wenige Familien ausgenommen, jeder Sinn des Aufschwunges gelähmt, erloschen jede höhere sittliche Kraft; nichts rührt sich mehr in den Geistern und Armen.“

(Schluß folgt.)



Um hohen Preis.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und Uebersetzungstrecht vorbehalten.

Brunnow trat zurück. „Ich Dir Genugthuung geben? Was soll das heißen?“

„Was das heißen soll? Ich dächte, das bedürfte keiner Erklärung. Die Beleidigung, die Du mir zugefügt hast, läßt nur eine Sühne zu. Du wirst sie mir doch nicht verweigern?“

Ueber die Lippen des Doctors kam kein Wort.

„Schon als wir uns das erste Mal wiedersahen,“ fuhr der Andere fort, „an jenem Abende in meinem Arbeitszimmer, sprachst Du Worte, die mein Blut sieden machten. Damals warst Du ein Flüchtling, warst heimlich an das Krankenlager Deines Sohnes geeilt, und jede Stunde des Aufenthaltes hier brachte Dir Gefahr. Damals war keine Zeit, Erklärung von Dir zu fordern. Jetzt bist Du frei – bestimme Zeit und Waffen!“

„Ich soll mich mit Dir schlagen?“ brach Brunnow aus.

„Nein, Arno, das kannst, das darfst Du nicht verlangen.“

„Ich bestehe darauf – Du wirst meine Forderung annehmen.“

„Nein.“

„Rudolph, ich sage Dir, Du wirst es thun.“

„Und ich sage Dir nochmals: nein! Mit jedem Anderen will ich mich schlagen, wenn es sein muß, aber mit Dir nicht.“

Zwischen den Augen des Freiherrn zeigte sich eine tiefe Falte. Aber er kannte den einstigen Jugendfreund, der sich trotz seiner grauen Haare noch den alten Feuerkopf bewahrt hatte und dessen Leidenschaftlichkeit, einmal gereizt, ihn über alle Besinnung und alle Schranken hinwegriß. Es galt, den verwundbaren Punkt zu treffen.

„Ich habe nicht geglaubt,“ entgegnete Raven mit unverhaltenem Hohn, „daß Du seit unserer Trennung zum Feigling geworden.“

Das traf – der Doctor fuhr auf und seine Augen begannen zu funkeln.

„Nimm das Wort zurück!“ rief er drohend. „Du weißt es, daß ich kein Feigling bin; ich brauche es Dir nicht erst zu beweisen.“

„Ich nehme nichts zurück,“ erklärte Raven. „Du hast eine entehrende Anklage gegen mich ausgesprochen, hast sie einem Fremden gegenüber wiederholt, von dem Du wußtest, daß er sie der Welt preisgeben würde, und willst Dich jetzt der Rechenschaft entziehen – nenne Du’s, wie Du willst – ich nenne es Feigheit.“

Es war um Brunnow’s Fassung geschehen, als ihm abermals das verhängnißvolle Wort entgegengeschleudert wurde.

„Halte ein, Arno!“ stieß er hervor. „Ich ertrage das nicht.“

Der Freiherr schien völlig unbewegt; nicht eine Muskel seines Gesichtes zuckte. Mit eisiger Ruhe stand er da und reizte seinen Gegner, den er Schritt für Schritt vorwärts trieb, bis zum Aeußersten.

„Das also ist Deine Rache!“ sagte er im Tone der Verachtung. „Zwanzig Jahre lang hast Du den Streich zurückgehalten. So lange ich hoch und mächtig dastand, wagtest Du es nicht, mich zu treffen. Freilich, dem Manne, dem der Sturz droht, ist leichter beizukommen. Winterfeld war wenigstens ein ehrlicher Gegner. Er griff mich an, aber er bat mir offen den Kampf und trat mir Auge in Auge gegenüber. Du zogst es vor, mich aus dem Hinterhalte zu verwunden, und brauchtest fremde Hände dazu. Du bedachtest Dich nicht, dem Polizeidirector und den Zeitungen die Waffen gegen mich zu liefern, aber Dich meiner Waffe zu stellen, die den Schimpf rächen soll – dazu fehlt Dir der Muth. Wahrlich, Rudolph, ich habe Dich einer solchen Niedrigkeit und Erbärmlichkeit nicht fähig gehalten –“

„Genug!“ unterbrach ihn Brunnow mit halb erstickter Stimme. „Kein Wort weiter! Ich nehme Deine Forderung an.“

Seine Brust hob sich in kurzen, stürmischen Athemzügen, er war leichenblaß geworden und stützte sich, bebend am ganzen Körper, auf die Lehne des nächsten Stuhles. In dem Auge des Freiherrn schimmerte etwas wie Mitleid mit dem furchtbar erregten Manne, den er vor eine so schreckliche Wahl gestellt hatte, aber seine Stimme verrieth auch nicht den leisesten Anklang dieser Empfindung, als er erwiderte:

„Gut. Ich werde Oberst Wilten, den Commandanten der hiesigen Garnison, ersuchen, mein Secundant zu sein; er wird mit dem Deinigen das Nöthige ordnen.“

Brunnow machte nur eine zustimmende Bewegung. Der Freiherr nahm seinen Hut vom Tische und trat dann nochmals vor den Doctor hin.

„Noch Eines, Rudolph!“ sagte er langsam, aber mit Nachdruck. „Die Sache ist mir blutiger Ernst, und ich erwarte, daß Du den Zweikampf, der nach dem, was Du mir zugefügt hast, auf Tod und Leben gehen muß, nicht etwa zu einer Komödie gestaltest. Du wärst im Stande, in die Luft zu schießen. Zwinge mich nicht, das, was ich Dir soeben sagte, vor unseren Zeugen zu wiederholen. Mein Wort darauf: ich thue es, wenn Dein Schuß absichtlich fehl geht.“

Brunnow hatte sich emporgerichtet, und aus seinen Augen flammte jetzt nur wilder, glühender Haß.

„Sei ruhig,“ antwortete er. „Was Du mir vorhin anzuhören gabst, begräbt den letzten Rest der Jugenderinnerungen. Du hast Recht, wir Beide können uns nur noch auf Tod und Leben gegenüber stehen. Auch ich weiß einen Schimpf zu rächen.“

Beide standen einen Moment lang Blick in Blick. Sie redeten eine stumme, aber furchtbare Sprache; dann wandte sich Raven zum Gehen.

„Auf morgen denn! Ich gehe, den Oberst aufzusuchen.“

Er schob den Riegel von der Thür zurück und verließ das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_547.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2019)