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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

sind, der durch die Furcht vor grausamer Strafe aufrecht erhalten wird: so ist leicht einzusehen, welche mächtige Unterstützung der Bund seinen Mitgliedern zu gewähren im Stande ist, so begreift man, wie unter seinem Schutze das durch besondere Verhältnisse begünstigte Räuberwesen zu einer Macht anwachsen konnte, gegen welche der Staat nach jahrelangem, vergeblichem Kampfe durch ungeheuere Anstrengungen und mit Hülfe von Ausnahmegesetzen schließlich doch nur einen Erfolg errungen hat, dessen Dauerhaftigkeit von Niemandem verbürgt werden kann.

Neben der Maffia, vielleicht unter der Oberleitung derselben, finden sich auch geheime Verbindungen verschiedener Art, die ausschließlich aus praktischen Verbrechern bestehen; in der unweit Palermos gelegenen Bergstadt Monreale allein wurden deren mehrere entdeckt, welche in ihren Aufnahmebestimmungen sogar für den Fall Sorge getragen hatten, daß ein bereits im Gefängniß Befindlicher um Aufnahme nachsuchen sollte. Die Tendenz dieser kleineren Verbände ist im Allgemeinen derjenigen der Maffia gleich und hat im Wesentlichen die Ausführung von Verbrechen auf gemeinschaftliche Rechnung und die gegenseitige Hülfeleistung bei und nach Verübung des Verbrechens, namentlich die Sicherung gegen eine Verurtheilung und die Vollstreckung der etwa erkannten Strafe zum Zweck.

Natürlich ist die Thätigkeit der ausführenden Räuber eine verschiedenartige; es giebt deren, welche nur auf eigene Hand arbeiten; andere, welche zum Zwecke eines bestimmten Verbrechens mit mehreren Genossen, jedoch lediglich „ad hoc“, und endlich solche, welche in der Zahl von fünf bis zwanzig zu festorganisirten Banden unter dem Oberbefehl eines Räuberhauptmanns sich vereinigen. Eine nicht minder große Verschiedenheit herrscht in der Art und Weise der Betreibung des eigentlichen Räuberhandwerkes; jedoch mögen hier nur die drei Hauptarten erwähnt werden: der Raub in freiem Felde oder auf offener Straße („rapina“); der in einem bewohnten Hause ausgeübte Raub („grassazione“) und endlich die eigenthümlichste Art, der „ricatto“. Die beiden ersten Verbrechensarten unterscheiden sich nicht von dem auch in anderen Ländern Geübten; nur die Frechheit, mit welcher die Sache betrieben wird, hat eine beispiellose Höhe erreicht. So wurde z. B. ein Eisenbahnbeamter, welcher in Begleitung von acht bis zehn Personen mittelst einer durch ein Trittwerk in Bewegung gesetzten Maschine zum Zwecke der Auszahlung von Arbeitslöhnen auf der Verbindungsbahn vom Hafen noch dem Bahnhofe fuhr, während der Vormittagstunden mitten in der Stadt von einer mit Revolvern bewaffneten Bande angehalten und zur Auslieferung der Casse gezwungen. Auf den üblichen Ruf: „A basso!“ (Nieder!) legte der Beamte nebst seinen Begleitern sich mit dem Gesichte auf die Erde, und sie wagten sich erst wieder zu erheben, nachdem die Bande mit der Casse verschwunden war.

Weit eigenthümlicher und gefährlicher gestaltet sich der sogenannte „ricatto“, das heißt die schon so viel (auch in früheren Jahrgängen der „Gartenlaube“, vergl. Jahrgang 1866, Seite 137 ff.; 1875, Seite 723 ff.) besprochene Gefangennehmung und Entführung einer Person zum Zwecke der Gelderpressung in Form einer möglichst hoch gestellten Lösegeldforderung. Die Gefangennehmung selbst wird in der frechsten Weise, meist durch Androhung von Gewalt, durch eine mit Schießgewehr bewaffnete Bande, häufig am hellen Tage, auf offener Straße, ohne Rücksicht auf die Zahl der Begleitung des Opfers, nicht selten unter Zuhülfenahme einer Equipage oder von Pferden, auch wohl durch falsche Bestellung ausgeführt; hierauf wird das Opfer in irgend einen unzugänglichen Schlupfwinkel der Bande, eine Felsenhöhle, einen Wald, vielleicht auch ein abgelegenes Haus geführt. Droht Gefahr, so wechselt man den Aufbewahrungsort des Gefangenen, welcher letztere oft schwer genug an Unbilden der Witterung, Hunger und Durst und den wechselnden Launen seines Gefangenwärters zu tragen hat. Ist der Gefangene im Besitze eigenen Vermögens, so muß er entweder selbst eine Anweisung oder einen Wechsel auf die festgesetzte Lösegeldsumme ausstellen, oder er wird, wie stets bei demjenigen geschieht, der über eigenes Vermögen nicht zu gebieten hat, angehalten, wegen der Zahlung an reiche Verwandte oder Freunde sich zu wenden. Die Einziehung des Lösegeldes erfolgt durch Mitglieder der Maffia, welche auch die Unterhandlung über die Höhe der zu leistenden Zahlung führen.

Wenn die Räuber, was auch nicht selten geschieht, nach der bewirkten Entführung nichts von sich hören lassen, so wird der ängstlich forschenden Familie über kurz oder lang ein Wink gegeben, daß sie sich behufs Befreiung ihres Verwandten an die oder jene namhaft gemachten Persönlichkeiten zu wenden habe, welche dann sofort die Unterhandlungen beginnen. Fast niemals ist es vorgekommen, daß die Familien zum Zweck der Befreiung ihres Angehörigen sich an die Behörden gewandt haben, weil die Einschlagung dieses Weges nicht nur für erfolglos, sondern auch als das Leben des Gefangenen gefährdend angesehen wird. Ja, die Familie eines in Palermo als Geschäftsmann lebenden Engländers, Namens Rose, dessen Gefangennahme durch die Briganten namentlich in Folge der Einmischung der englischen Regierung in die Sache seiner Zeit großes Aufsehen erregte, hat nicht nur während der Dauer der Gefangenhaltung des Rose den Behörden jede Auskunft über das Schicksal ihres Verwandten verweigert, sondern der gedachte Rose selbst hat nach seiner Freilassung sich nicht zu einer Zeugenaussage bereit finden lassen, dieselbe vielmehr unter dem Bemerken abgelehnt, daß die Behörden, wenn er über seine Gefangenhaltung, über den Ort derselben, die mitwirkenden Personen etc. eine Aussage mache, nicht im Stande sein würden, ihn vor der für den Fall solcher Zeugenaussage angedrohten Rache der Briganten zu schützen.

Der „ricatto“ ist nicht selten mit den rohesten Grausamkeiten verbunden; um einen Druck auf die Familie auszuüben, hat man dieser wohl ein dem Gefangenen abgeschnittenes Ohr, als Mahnung zur Beschleunigung der Zahlung das zweite Ohr übersandt; ja, wenn die Zahlung sich zu lange verzögerte oder gar verweigert wurde, so wurde unerbittlich mit der Ermordung des Gefangenen vorgegangen – eine Grausamkeit, welche von den Briganten durch ihre Nothwendigkeit gerechtfertigt zu werden pflegt, weil nur durch die Gewißheit der bei mangelnder Zahlung erfolgenden Tödtung die für Bestand und Gedeihen des Geschäftes erforderliche Furcht erzeugt werde.

Zu Zeiten entwickeln die Briganten sogar einen gewissen Humor. Der berühmteste unter den sicilianischen Briganten, der Räuberhauptmann Leone, erbat sich, als er nach Berichtigung des Lösegeldes von einem Gefangenen Abschied nahm, von diesem einen Kuß, als Zeichen seiner Zufriedenheit mit der Haltung des Gefangenen. Dieser Leone hat auch einmal der Polizei einen Streich gespielt, der vielen Anlaß zum Gelächter gegeben. Kurz noch der Freilassung des schon erwähnten Engländers Rose, also noch unter dem unmittelbaren Eindrucke der von der italienischen Regierung sehr übel aufgenommenen englischen Einmischung, ließ ein englischer Reisender die Polizei um Gewährung einer sicheren Escorte zum Schutze seiner Person und seines Reisegepäckes gegen den Räuberhauptmann Leone, der zu jener Zeit Palermos Umgebung unsicher machte, ersuchen. Die Polizei ging bereitwillig auf die Gewährung der gestellten Bitte ein; man soll jedoch auf dem Polizeibureau sich sehr unangenehm berührt gefühlt haben, als wenige Tage nachher ein Schreiben einlief, in welchem der Räuberhauptmann Leone der Polizei seinen warmen Dank dafür aussprach, daß sie ihn und seine zusammengeraubten Schätze sicher durch die Palermos Umgebung wegen Ergreifung des Leone durchstreifenden Patrouillen der Soldaten und Carabinieri (Gensd’armen) geleitet habe.

Als später zur Unterdrückung des Räuberwesens nach Palermo ein neuer Präfect mit ausgedehnten Vollmachten gesandt wurde, hatte Leone die Insel mit einem beträchtlichen Vermögen, der Frucht seiner Räuberlaufbahn, bereits verlassen; der Ruf der Energie jedoch, welcher dem neuen Präfecten voranging, die vielfach ausgesprochene Ueberzeugung, daß derselbe der Räuber Meister werden würde, weckten den Ehrgeiz des kühnen Briganten; er kehrte noch Sicilien zurück, übersandte dem Präfecten seine Visitenkarte und fand sich bald wieder an der Spitze einer neuen Bande. Aber das Glück verließ ihn; seine Leute wurden bis auf den letzten Mann niedergemacht, und schließlich wurde er selbst in einem heldenmüthigen Kampfe gegen eine Patrouille erschossen. Ueber seinen Tod herrschte großer Jubel; seine vielberühmte Büchse, ein Repetirgewehr, aus welchem fünfzehn Schuß hinter einander abgegeben werden konnten, wurde von dem damaligen Minister Nicotera dem König Victor Emanuel zur Aufnahme in die berühmte königliche Waffensammlung in Turin angeboten; der König lehnte jedoch die Annahme der Waffe ob. Vielleicht hat er es nicht als passend betrachtet, daß das Räubergewehr an

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 497. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_497.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)