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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Seit dem Uebertritte des sächsischen Regentenhauses, das so lange der rühmlichste Vorkämpfer der deutschen Reformation gewesen, zum katholischen Glauben, um der unseligen Krone Polens willen, machte das rege Mißtrauen des protestantischen Volkes stets den katholischen Hof in erster Linie verantwortlich für solche Mißgriffe der Regierung. So auch im Jahre 1845. Unbegreiflicher Weise bezeichnete damals die öffentliche Stimme in erster Linie den Prinzen (späteren König) Johann von Sachsen, den Brüder des Königs Friedrich August, als Förderer der jesuitischen Umtriebe. Der Prinz hatte die reichste, humanste Bildung genossen. Als ganz jungen Mann hatte Jean Paul ihn kennen gelernt und ihm begeistertes Lob gespendet. Seine literarischen Neigungen und Studien waren weltbekannt. Von seinem ersten Auftreten an in der sächsischen Ersten Kammer hatte er sich als scharfsinniger Jurist, als wohlwollender und aufgeklärter Menschenfreund erwiesen. Seine ganze spätere Thätigkeit als Prinz, als König hat niemals den Schatten des Verdachtes aufkommen lassen, als sei er ein religiöser Fanatiker, für eine streitbare, von Grund auf unsittliche Ordensgewalt thätig. Aber wann wird jemals die Vernunft erfolgreich rechten mit vorgefaßten Meinungen des Volksglaubens? Genug, daß der Prinz im Jahre 1845 allgemein als Träger der ultramontanen Bestrebungen in Sachsen galt. Es fehlte nur der äußere Anlaß, um dieser Mißstimmung in grellen Dissonanzen Ausdruck zu verschaffen. Dieser Anlaß sollte sich leider finden.

Hans Blum.





Die Maffia auf Sicilien.

Es war wenige Tage nach Schluß des Carnevals 1876, als mir der Eigenthümer des rühmlichst bekannten „Albergo della Trinacria“ in Palermo mittheilte, daß ich an der Table d’hôte einen soeben angelangten Landsmann zum Nachbarn haben werde; in der That redete mich denn auch, nachdem ich kaum meinen Platz an der Tafel eingenommen, ein kleiner ältlicher Herr in deutscher Sprache mit der etwas seltsamen Wendung an: „Entschuldigen Sie, mein Herr – ich bin Hamburger.“ Nachdem ich ihm bemerkt, daß dieser Umstand in meinen Augen einer „Entschuldigung“ nicht eigentlich bedürfe, erwiderte mir mein Tischgenosse, welcher den wenig hamburgisch klingenden Namen „Cafetier“ führte, daß diese Form der Anrede ihm auf den weiten Reisen, welche er gemacht, stets ein höfliches Entgegenkommen gesichert habe, weil „Hamburg in der ganzen Welt eines guten Rufes sich erfreue“, hier aber gefalle es ihm durchaus nicht, weshalb er Stadt und Insel bereits am folgenden Tage wieder verlassen werde, wenn er auch von der „ganzen Herrlichkeit“ Nichts zu sehen bekommen sollte. Natürlich sprach ich mein Erstaunen über diesen mir seltsam erscheinenden Entschluß aus und erfuhr nun, daß ein im Laufe des Vormittags unmittelbar in der Nähe des Gasthofes stattgehabter Mordanfall den kleinen Mann derartig erschreckt habe, daß er in dieser Stadt, „in welcher man seines Lebens nicht sicher“, keine ruhige Stunde mehr genießen könne. Vergebens wurde ihm von den verschiedensten Seiten versichert, daß jener Mordanfall lediglich durch Privatrache verursacht sei, daß sonst gar kein Grund zu Besorgnissen vorliege, und namentlich ein Fremder durchaus unangefochten und unbehelligt bleiben werde; der weitgereiste Hamburger glaubte in jedem dunkelfarbigen Sicilianer einen „Briganten“ zu sehen, wollte bereits von Einigen derselben auf einem Spaziergange in höchst auffälliger und verdächtiger Weise fixirt worden sein; redete in geheimnißvoll-schauerlichem Tone von der blutigen „Maffia“ und reiste in der That am folgenden Tage, ohne Palermos Schönheiten nur eines Blickes gewürdigt zu haben, mit dem Dampfer nach Neapel ab, woselbst er hoffentlich nicht in die Hände der nicht minder blutigen „Camorra“ gefallen sein wird.

Meinem kleinen Hamburger hatten wohl die kommenden Ereignisse schwarze Schatten voraus in die Seele geworfen; denn zu jener Zeit befand man sich noch, wenigstens als Fremder, nicht nur in der Stadt selbst, sondern auch bei Ausflügen in die Umgegend vollkommen sicher; mir ist während eines mehr als halbjährigen Aufenthaltes auch nicht ein Fall zur Kenntniß gekommen, in welchem ein Fremder Gegenstand eines gewaltsamen Anfalles geworden wäre; nur von den Landbewohnern der Umgebung liefen zu Zeiten Klagen über freche Raubanfälle ein, welche in einzelnen Fällen bis in die Nähe der Stadtthore sich ausdehnten. Im Laufe des folgenden Winters erreichte das Brigantenwesen jedoch eine solche Höhe und trat auch in der Stadt selbst in solchem Umfange auf, daß die sonst überfüllten Gasthöfe fast völlig leer standen, und die so zahlreiche Fremdencolonie, welche das milde Klima während des Winters regelmäßig zu bilden pflegt, auf wenige Personen zusammenschmolz.

Während nach dem Erlöschen des sogenannten „politischen Brigantaggio“ das Räuberwesen im ganzen Königreiche Italien in verhältnißmäßig enge Grenzen zurückgedämmt worden ist, trieben eigenartige Verhältnisse in Neapel und einigen Provinzen Siciliens diesen Zweig des Verbrecherthums zu einer Blüthe, welche an Ueppigkeit Nichts zu wünschen übrig ließ. Neapel mit seiner „Camorra“ bei Seite lassend, beschränke ich meine Darstellung auf dasjenige Brigantenwesen, welches unter Beihülfe und Führung der „Maffia“ in der Provinz Palermo in eigenthümlicher Weise sich ausgebildet hat. Die Frage, was die Maffia eigentlich sei, welche Organisation sie besitze und wie sie sich gebildet habe, ist oft gestellt und niemals erschöpfend beantwortet worden. Dies gilt namentlich von der Organisation und den Führern; hier herrscht ein tiefes Dunkel und erst die Aufhellung desselben würde Aussicht auf eine endgültige Vernichtung des gefährlichen Geheimbundes gewähren, welcher gleich dem Aetna, ohne ein Lebenszeichen von sich zu geben, jahrelang zu schlafen scheint, um plötzlich in aller Kraft wieder zu erwachen.

Nach den Versicherungen der Sicilianer ist die Maffia eine sehr alte Institution, welche zur Zeit der spanischen Herrschaft gegründet wurde, die besten Patrioten zu den Ihrigen zählte, aus den verschiedensten Gesellschaftsclassen sich zusammensetzte, in erster Linie politische Zwecke im Sinne der Selbstständigkeit der Insel verfolgte, zugleich aber schon in jenen fernen Zeiten sich die augenscheinlich leicht auf Abwege führende Aufgabe gestellt hatte, die Interessen ihrer Mitglieder zu fördern und dieselben gegen die fremden Herrscher und deren Beamte zu schützen.

Zur Erreichung dieses Zweckes waren die Mitglieder, welche an bestimmten Zeichen einander erkannten, zu gegenseitiger Hülfeleistung und zur Ausführung der von den Oberen ertheilten Aufträge und Befehle verpflichtet. Ich muß dahingestellt sein lassen, wie lange und in wie weit der politische Zweck das für die Art der Thätigkeit des Bundes ausschlaggebende Moment gewesen ist; die heutige Maffia entbehrt des politischen Charakters durchaus, umfaßt dagegen, wie in früherer Zeit, die verschiedensten Gesellschaftsclassen und schützt auch heute noch die Interessen ihrer Mitglieder vornehmlich gegen die Staatsgewalt, wobei nur zu bemerken ist, daß es sich nicht sowohl um legitime, gesetzmäßige, als vielmehr um diejenigen Interessen handelt, welche wegen ihrer gesetzwidrigen oder doch nicht gesetzmäßigen Natur einer Hülfe und eines Schutzes gegen die Repräsentanten des Gesetzes, die Gerichtshöfe und die Obrigkeit bedürfen.

So hat der Dieb, der Räuber gewiß ein, wenn auch sehr ungesetzliches Interesse daran, durch Verbrechen in erster Linie einen Gewinn zu machen, in zweiter Linie in Besitze desselben und drittens mit Strafe verschont zu bleiben. Indem die Maffia diese Interessen ihrer Mitglieder schützt, tritt sie nach der Verschiedenheit der Fälle bald als Auskundschafterin, bez. Auftraggeberin in Bezug auf ein Gewinn versprechendes Verbrechen, bald als Vermittlerin zwischen dem Verbrecher und dem Verletzten, bald als Beschafferin von Entlastungszeugen auf; bald sucht sie auf die erkennenden Richter zu Gunsten ihres angeklagten Mitgliedes einen Druck zu üben; bald bereitet sie einem verurtheilten Mitgliede die Wege zur Flucht. Erwägt man nun, daß dieser Geheimbund, der sein Geheimniß vornehmlich dadurch bewahrt, daß die Mitglieder nur den Oberen, nicht aber als solche einander selbst bekannt sind, aus allen denkbaren Gesellschaftsclassen, aus Fürsten und Grafen, Richtern, Advocaten und Verwaltungsbeamten, Kaufleuten, Grundbesitzern aller Art, Bauern und Tagelöhnern sich zusammensetzt; daß die Mitglieder den Oberen zur unbedingtem Gehorsam verpflichtet

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 496. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_496.jpg&oldid=- (Version vom 11.8.2016)