Seite:Die Gartenlaube (1878) 488.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


denn sie sind in Gift getaucht – aber eben deshalb ist es nicht meine Art sie zu führen.“

„Das ist ohne Zweifel sehr edel gedacht, außerordentlich edel, aber ich meine doch –“

„Ich bitte, berühren wir die Sache nicht weiter!“ unterbrach der Doctor den Sprechenden. „Wozu diese längstvergangenen Dinge an das Tageslicht ziehen? Mögen sie begraben bleiben!“

Dieses plötzliche Abbrechen war nun allerdings nicht nach dem Sinne des Polizeidirectors. Er hätte gern das Gespräch fortgesetzt, sah aber, daß man ihm nicht ferner Rede stehen werde. Die Hauptsache war jedoch erreicht, er wußte, was er wissen wollte, und deshalb kostete es ihn keine allzugroße Ueberwindung, auf andere Dinge überzugehen und sich alsdann zu verabschieden. Brunnow blickte ihm unruhig nach. „Kam er wirklich nur, um mich zu dem Begnadigungsgesuch zu veranlassen?“ sagte er halblaut, „oder fand das Verhör Raven’s wegen statt? Ich fürchte es beinahe, das gespannte Aufhorchen dieses Polizeimenschen war mir verdächtig. Ich wollte, ich hätte mich ihm gegenüber nicht so fortreißen lassen.“




In den Straßen der Residenz wogte trotz der Abendstunde und der unfreundlichen Herbstwitterung noch das unruhige, rastlose Treiben der Großstadt. Die Wagen rollten und jagten nach den verschiedensten Richtungen hin, die Fußgänger drängten sich auf den Trottoirs und an den hellerleuchteten Kaufläden und nur in den vornehmeren Stadtvierteln, die abseits von den eigentlichen Haupt- und Verkehrstraßen lagen, herrschte Ruhe und Stille.

In dem Zimmer, das sie gegenwärtig im Selteneck’schen Hause bewohnte, saß Gabriele Harder allem und ganz jenem trüben Nachdenken hingegeben, das ihr jetzt so oft nahte und aus dem übermüthigen, lebensprühenden Mädchen eine völlige Träumerin zu machen drohte. Sie war bereits in voller Toilette, da man heute Abend in die Oper fahren wollte, aber sie dachte offenbar nicht daran und zerdrückte, in einen Fauteuil geschmiegt, achtlos die Spitzen ihres Kleides.

Wenn irgend etwas Gabriele hätte zerstreuen können, so wäre es dieser Aufenthalt in der Residenz gewesen, wo sie und ihre Mutter mit großer Liebenswürdigkeit empfangen wurden. Die Gräfin Selteneck war eine intime Freundin der Baronin; sie hatten früher viel im Harder’schen Hause verkehrt und war auch nach dem Tode des Barons mit dessen Wittwe in stetem Briefwechsel geblieben. Das Wiedersehen war für beide Damen ein gleich großes Vergnügen, und die Gräfin, die selbst keine Kinder besaß, verwöhnte und verzog die reizende Tochter ihrer Freundin in jeder nur möglichen Art.

Die Baronin hatte erst hier von dem gegen Raven geschleuderten Angriffe erfahren, aber sie war viel zu oberflächlich, um den Ernst und die Bedeutung der Sache zu würdigen, die in ihren Augen eine vorübergehende Verdrießlichkeit war, wie etwa die Revolution in R. Es fiel ihr nicht im Entferntesten ein, daß die Stellung des Freiherrn dadurch bedroht werden könnte; seine Angelegenheiten interessirten sie überhaupt nur insofern, als ihre eigene Zukunft dabei in Frage kam. Frau von Harder hegte bekanntlich nicht die mindeste Sympathie für ihren Schwager, sie fürchtete ihn höchstens. Allerdings war sie empört über die „Unverschämtheit“ dieses Winterfeld, in dessen Benehmen sie nur einen Act persönlicher Rache für die empfangene Zurückweisung sah, aber sie zweifelte nicht daran, daß der Freiherr dem Verwegenen die verdiente Züchtigung werde zu Theil werden lassen. Im Uebrigen sah sie keine Veranlassung, sich mit diesen unerquicklichen Dingen zu plagen, die jedenfalls längst abgethan waren, wenn man nach Hause zurückkehrte. Die Herbstmoden, die Soiréen und Opernvorstellungen waren weit interessanter.

Daß ihre Tochter es nicht wagen würde, nach der Beleidigung, die Assessor Winterfeld dem Freiherrn zugefügt hatte, die Beziehungen zu dem Ersteren wieder anzuknüpfen, galt der Baronin als ausgemacht. Ihre Sorge richtete sich nur darauf, eine zufällige Begegnung zwischen den Beiden zu verhindern, was in der That nicht schwer war. Georg verkehrte nicht in den Selteneck’schen Kreisen, und Gabriele war sich hier in den fremden Umgebungen nie allein überlassen. Sie hatte auch wirklich keinen Versuch gemacht, dem jungen Manne Nachricht von ihrem Hiersein zu geben, bebte sie ja doch selbst vor diesem Wiedersehen zurück. Wie sollte sie Georg entgegen treten, mit der Liebe zu einem Andern im Herzen! Was sich auch in der letzten Zeit zwischen sie und Arno gedrängt hatte, selbst seine Härte und Ungerechtigkeit vermochten es nicht, sein Bild zu bannen, und der Gedanke an die Gefahr, die ihn bedrohte, hob dieses Bild nur immer deutlicher hervor. Gabriele konnte besser als ihre Mutter die ganze Tragweite jenes Angriffs ermessen; sie folgte schon seit Wochen mit fieberhaftem Interesse der Entwickelung. Sie, die sonst kaum einen Blick in die Zeitungen that, suchte jetzt nach jeder Notiz, haschte im Gespräch nach jeder Bemerkung, die den Freiherrn betraf.

Winterfeld’s Schrift mit ihren Anklagen entrollte auch dem jungen Mädchen das wahre Bild Raven’s, das sie in jedem Zuge anerkennen mußte, enthüllte ihr all die Schattenseiten seines Charakters, und dem gegenüber erhob sich Georg’s Gestalt, so rein, so fest und edel in der muthigen Aufopferung einer ganzen Zukunft für das, was ihm Pflicht und Gewissen hieß – aber was half das alles! Die ganze Seele Gabrielens flog dem finsteren, despotischen Manne zu, stand an seiner Seite im Kampfe, bangte und ängstigte sich um seinetwillen, und gegen Georg regte sich ein Gefühl der Erbitterung, denn er war es ja gewesen, der den Geliebten angegriffen und beleidigt hatte.

Der Schlag der Uhr auf dem Kamin weckte Gabriele aus ihren Träumereien und erinnerte sie daran, daß es Zeit sei, sich für die beabsichtigte Fahrt nach dem Theater fertig zu machen. Sie warf das Spitzentuch um, zog die Handschuhe an und ging nach dem Salon hinüber, wo sich ihre Mutter bereits mit der Gräfin Selteneck befand.

(Fortsetzung folgt.)



Blätter und Blüthen.

Die Wände bekommen Ohren. „Daß man in dieses verwünscht schalldichte Conferenzzimmer nur ein winziges Mikrophon, still und klein wie ein Mäuschen, einschmuggeln könnte!“ so klagte in den ersten, an Enttäuschungen reichen Tagen der Berliner Conferenz einer der vielen, dazumal beinahe ganz auf ihr inneres Ohr – die Phantasie – angewiesenen Zeitungscorrespondenten. In der That, so ein kleines, unter dem Hufeisen-Tische, hinter dem Spiegel an der Wand oder einem Oelgemälde verborgenes Mikrophon hätte vermittelst zweier unter der Tapete verborgener Drähte Alles nach außen vermelden können und kein „Hum! Hum!“ Gortschakoff’s, kein Seufzer der Türkei wäre der Publicität verloren gegangen. Vor zweihundert Jahren hat sich der Jesuitenpater Athanasius Kircher die erdenklichste Mühe gegeben, Einrichtungen auszuklügeln, durch welche man die Gespräche eines geheimen Empfangs- oder Conferenzzimmers in der Nachbarschaft belauschen könnte; heute ist die Zeit gekommen, solche Einrichtungen mit der größten Sicherheit aufzuführen, und es ist am besten, daß dies Jedermann erfährt, damit er auf seiner Hut sein kann.

Herr James Blyth hat am 3. Juni c. vor der königlichen Gesellschaft zu Edinburgh eine Arbeit gelesen, die beweist, daß nichts einfacher ist, als die Herstellung von Wänden, die „Ohren“ haben. Ein Einmacheglas oder eine kleine Holzschachtel, mit gröblich zerkleinerter Gaskohle gefüllt, können schon als solche dienen, wenn man die beiden Enden einer von einem elektrischen Strome durchflossenen Metallleitung einander gegenüber in diesen Kohlengrus einschiebt. Jedes Wort, welches in einem Zimmer gesprochen wird, in dem ein oder mehrere solcher Behälter aufgestellt oder aufgehängt werden, ist in einem fernen damit verbundenen Telephon deutlich verständlich, und das Mikrophon hat sogar vor einem Absendetelephon noch den Vortheil voraus, daß es auch die Zischlaute deutlich übermittelt. Man ersieht daraus, daß jedes Wort, welches wir sprechen überhaupt jedes Geräusch, alle in dem Zimmer befindlichen Gegenstände in völlig gleichartige Mitschwingungen versetzt. Alles nimmt Theil an unserer Unterhaltung.

Noch merkwürdiger war die fernere Beobachtung Blyth’s, daß einige größere Kohlenstückchen, mit Wasser übergossen, sodaß dasselbe leicht darüberstand, einem fernen Telephon die in der Nähe ausgestoßenen Töne selbst ohne einen den Leitungsdraht durchkreisenden elektrischen Strom übermittelten, also Ströme aus sich selber erzeugten. Ja, statt des Telephons konnte ein zweites primitives Mikrophon dieser Art als Empfänger dienen, und nicht nur jedes Wort, sondern auch die Stimme der einzelnen Personen konnten unterschieden werden. Mehrere Versuche – um dies nebenbei zu bemerken – lassen vermuthen, daß selbst schwerhörigen Personen hier Hoffnungen erblühen, die das Mikrophon zu einem Wohlthäter für dieselbe machen werden. Wenn aber Jemand annimmt, er sei gegen einen heimtückischen Lauscher sicher, wenn er nach Abnahme der Tapete die Abwesenheit einer Drahtleitung festgestellt hat, so irrt er; denn was wird er sagen, wenn man ihm heimlich in’s Zimmer eine in einem Kästchen verborgene Verbindung von Mikrophon und Phonograph brächte, die brühwarm Alles aufschriebe, was in einem solchen Zimmer zu einer bestimmten Zeit gesprochen würde? Und wenn nun gar ein schlechter Mensch solche Vorrichtungen in einem Beichtstuhle anbrächte? Ist da nicht ein Grund mehr, den Katholiken die Frage nochmals näher zu legen, ob die Ohrenbeichte ein absolutes Erforderniß für die Seligkeit ist?

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_488.jpg&oldid=- (Version vom 11.8.2016)