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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

aufwarten kann, so besaß es doch und besitzt noch Männer, deren Wirken und Wesen allgemeine Beachtung verdient.

Als ersten derselben nennen wir den Dr. Johann Christian Sulzberger. Der Mann hat das Seltene geleistet, ein von ihm erfundenes Geheimmittel nicht zu seinem, sondern zum Besten einer in ihrer dermaligen Entwickelung bedeutenden wohlthätigen Stiftung auszubeuten. Er war dreißig Jahre lang (seit 1773) Stadt- und Landphysikus in Salzungen. Seine Landpraxis mochte ihn in manchen einsamen Waldort geführt haben, wo er die Noth der Leute kennen lernte, die in Krankheitsfällen stundenweit nach Arzt und Apotheke schicken müssen. Hier war ein Bedürfniß zu befriedigen, welches in früher Zeit auch schon die Olitätenfabrikanten und Balsamsträger in’s Leben gerufen und den „Hoffmännischen Tropfen“ zur weiten Verbreitung geholfen hatte. Er erfand seine sogenannte „allgemeine Flußtinctur“, die als „Salzunger Tropfen“ noch jetzt zu den

Der Hünische Hof in Salzungen.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von H. Heubner.

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beliebten Hausmitteln gehört und, wie er selbst in seiner „Gebrauchs-Anweisung“ auseinandersetzt, „zur Erhaltung einer guten Gesundheit durch Beförderung der Verdauung, Absonderung und Abführung, sowie durch Verhütung und Heilung aller aus einer Störung derselben entspringenden Krankheiten“ bestimmt sind. Das Recept dieser Tropfen ist, als Geheimniß bis heute bewahrt, bei der Stadtbehörde niedergelegt und wird für die „Sulzberger’sche Stiftung“ verwerthet, ein Krankenhaus, in welchem einheimische und fremde Arme unentgeltlich Pflege und ärztliche Behandlung erhalten und mit welchem neuerdings eine Kleinkinderbewahranstalt verbunden worden ist. An der Straße nach Lengenfeld liegt das massive Gebäude mitten in einem Garten und zeugt von der einzig würdigen Benutzung eines Geheimmittels.

Auch für die Freunde der Tonkunst ist in der kleinen Stadt ein großer Genuß erwachsen: der „Salzunger Kirchenchor“ unter der Leitung des Musikdirectors Bernhard Müller, ein Seitenstück zu dem „Riedel’schen Verein“ in Leipzig (vergleiche „Gartenlaube“ 1869, S. 564 f.) und, wie dieser, durch die Aufführung der schwierigsten Stücke von der altitalienischen Schule bis zu den jüngsten deutschen Meistern der Kirchenmusik in weiter Ferne hoch gewürdigt. Der kunstsinnige Herzog von Meiningen gewährte seiner Zeit dem Begründer des Chors die Mittel, nicht nur alle hervorragenden musikalischen Kunstinstitute Deutschlands kennen zu lernen, sondern auch in Rom den Gesang der Sixtinischen Capelle zu studiren. Gleich dieser singt der Salzunger Kirchenchor nur a capella, das heißt ohne obligate Instrumentalbegleitung. Müller ist gegenwärtig auch mit der Oberleitung über alle Kirchenchöre des Landes betraut.

Sollen wir neben diesen beiden Männern, Sulzberger und Müller einen dritten verschweigen, weil nicht ragende Gebäude und bewunderte Töne für ihn sprechen? Hat doch die „Gartenlaube“ schon vor dreizehn Jahren ihn ihrem Leserkreise genannt und sein tragisches Schicksal erzählt. Noch lebt der „blinde Wegweiser, Sagenforscher und Dichter“, der einundsiebenzigjährige Ludwig Wucke, der, nun achtundvierzig Jahre lang blind, nachdem er vorher mit ganzer Seele in der Farbenwonne der Landschaftsmalerei geschwelgt, in seinem treuen Gedächtniß das Bild seiner Heimath noch heute so bestimmt in sich trägt, daß er für ihre Schönheit sich und Andere zu begeistern vermag. Unserem Artikel von 1865 (S. 496) über ihn haben wir nachzutragen, daß er seitdem seine Sagenforschung auch über das Rhöngebiet ausgedehnt hat. Auch diese ihm wildfremden Gegenden durchwanderte er meist ohne Führer, nur auf seinen langen Stab sich verlassend und freilich auch von manchem Abenteuer überrascht. Seine in Henneberger Mundart erschienenen Poesien sichern ihm einen hohen Rang unter den deutschen Dialektdichtern.

Folgen wir nun unserm „Wegweiser“ in die Umgebung der Stadt! Der schönste Schmuck derselben ist im Südosten der Burgsee. Man sieht es den Anlagen und Gärten, Villen und öffentlichen Gebäuden, welche die Ufer umrahmen, an, daß dieses „schönste lebengebende Auge der Stadt und Umgegend“ als ein Kleinod betrachtet wird. Der Wasserspiegel des Sees nimmt 10,5 Hektare ein; man umwandelt denselben binnen einer Viertelstunde auf einem Wege, welcher bei jeder Wendung ein neues reizendes Landschaftsbild vor uns entrollt, sowohl hinsichtlich der Formen, wie der Farben.

Eine eigenthümliche Erscheinung dieses „Burgsees“, der, nebenbei gesagt, nirgends die Tiefe von hundert Fuß erreicht und seine Entstehung einem gewaltigen Erdfall verdankt, ist sein sogenanntes „Kochen“ und „Blühen“. Jenes soll von Schwefelwasserstoffgas herrühren, ist besonders an der Westseite bemerkbar und zu allen Zeiten möglich, während das Blühen nur von Juni bis August stattfindet, wo eine Algenbildung die Seefläche mit einer grünen, dünnen Haut überdeckt. Mancherlei Vermuthungen über einen unterirdischen Zusammenhang des Sees mit dem Meer rief die Wahrnehmung hervor, daß derselbe an dem großen Erdbeben von Lissabon, am 1. November 1755, betheiligt gewesen zu sein schien. Wie die Quellen von Teplitz und der Mühlstädtersee in Kärnthen, gerieth auch der Salzunger Burgsee zur Zeit jenes Erdbebens in starke Bewegung. Das Wasser wurde nach der Mitte hin in einem trichterförmigen Wirbel so weit hinabgerissen, daß aus der Tiefe die Felsen des Grundes emporstarrten, und als es wieder heraufdrang, war es mit einem schwarzen Schaum bedeckt.

Niemand sieht es dem klaren Auge der im Sonnenlicht spielenden Wasserfläche an, daß so Seltsames mit ihr geschehen konnte. Wer aber eine Strecke südwärts vom See in der sogenannten „Grube“, einem in lauschige Anlagen umgewandelten ehemaligen Sandsteinbruch, ein kleines Seitenstück desselben, die Teufelskutte, und eine, halbe Stunde weiter, bei Wildprechtsrode, einen dritten Erdfall, den Buchensee, besucht und ihre unheimlichen dunklen Gewässer gesehen hat, den wird die Nachricht von geheimnißvollen unterirdischen Beziehungen ihres freundlicheren Nachbars nicht mehr befremden. Jetzt zeigt uns sein Friedensbild auf unserer Illustration zur Linken das Curhaus, rechts davon einige Villen, dann auf dem Plateau der steil zum Gestade abfallenden Felswand, der Stätte einer ehemaligen sehr starken Burg, der „Schnepfenburg“, gegen welche sogar deutsche Kaiser, wie Otto der Vierte und Adolph von Nassau, hart zu ringen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die Photographie ist von einem Bilde abgenommen, welches Herr O. von Alvensleben gemalt hat. Vergl. Nachträgliches in Heft 49.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 484. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_484.jpg&oldid=- (Version vom 7.12.2019)