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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

und in der Nähe das volle, aber immer mehr verblassende Goldlicht, das um die Blätter des Spätherbstes spielt. Bisweilen freilich gewinnt es noch einen intensiven freudigen Glanz:

Im Spätherbstlaube steht mein Leben;
Zu Ende ging das frohe Spiel;
Die Sonn’ erblaßt; die Nebel weben,
Und bald, ich fühl’s, bin ich am Ziel.

Doch nicht in klagenden Accorden
Hinsterben soll mein Harfenschlag;
Zwei Freuden sind mir noch geworden,
Drum ich beglückt mich preisen mag:

Ich sah mit Augen noch die Siege
Des deutschen Volks und sah das Reich,
Und leg’ auf meines Enkels Wiege
Den frisch erkämpften Eichenzweig.

Die Sammlung ist reich an stimmungsvollen Naturbildern, wie „In der Frühe“, „Eine Sommernacht“, „Sonntagsmorgen im Walde“, das letztere ein Gedicht von echtem Waldduft durchweht und von warmer Empfindung durchdrungen. Die Ostseebilder sind kurzathmige Gedichte, ohne die Pointen der Heine’schen Nordseebilder, aber ungezwungen und klar gegliedert. Sehr zahlreich sind die Balladen der Sammlung; mehrere derselben sind in Schiller’schem Ton gehalten, besonders „Nausikaa“ mit ihrem Schmerz um den schönen Traum einer unerwiderten Liebe:

Ach, und als zu Nacht am Feuer
Seiner Rede Wohllaut floß,
Märchenhafter Abenteuer
Fremde Welt vor uns erschloß,
Wie berauscht an seinen Lippen
Hing mein Ohr, und froh und bang
Folgt’ ich ihm durch Schlacht und Klippen,
Sturmgeheul und Nixensang!

Tage dann in sel’gem Schweigen
Lebt’ ich, wie die Blume lebt,
Die, dem Helios zu eigen,
Nur zu ihm den Blick erhebt;
Wenn sein Lächeln mich getroffen,
Blühte stillbeglückt mein Sinn,
Und in heimlich süßem Hoffen
Schritt ich wie auf Wolken hin.

Auch Sinnsprüche und Epigramme fehlen in der Sammlung nicht; sie athmen den Zorn eines edelgesinnten Dichters über die modische Entweihung der Poesie und der Bühne, sie sind weniger scharf pointirt, als in dichterischem Lapidarstil gehalten.

Auch „Neue Gedichte“ (Stuttgart, Cotta) des verstorbenen Altmeisters Freiligrath sind erschienen, nicht eben mit dem Psychographen geschrieben, sondern eine Nachlese, meistens aus Gedichten bestehend, die das Familienleben feiern. Da giebt es keine Löwenritte, keine Wüstengespenster: da kehrt der Weltwanderer am häuslichen Herd ein und macht friedliche Hochzeits- und Kindtaufsgedichte, huldigt der Freundschaft und dem geselligen Leben mit heiterer Laune. Freilich, was Sie befremden wird, verehrte Freundin, diese „Neuen Gedichte“ enthalten sehr viele alte, und es ist nicht abzusehen, welches Princip bei der Auswahl tonangebend war; es finden sich dazwischen einige der wildesten und blutrothesten aus der Sturm- und Drangepoche des Dichters; da ertönt der Trauermarsch zum Sturmglockengeläute in der Hymne: „Die Todten an die Lebenden“; da berichtet der Dichter wiederum seine politische Bekehrung durch den nagelschuhigen Minnesänger Hoffmann von Fallersleben im „Riesen“ zu Coblenz; da werden uns wieder die Hübner’schen Genrebilder aus dem Harz und Riesengebirge vorgeführt; da fahren wir wieder auf dem Rheindampfer, dessen Heizer „das Proletariat von Gottes Zorn“ vertreten.

Diese Gedichte sind weder neu, noch passen sie in eine Sammlung, in welcher die neuen Gedichte uns den Poeten am häuslichen Herd, in der Stille des Familienglücks zeigen. Und doch sollte eine solche Sammlung nicht blos einen rechten Titel, sondern auch einen einheitlichen Ton, eine durchgängige Stimmung haben: wozu die bekannten Gedichte aus wildbewegter Zeit hier wiederholen?

In der That zeigt sich der Dichter in diesen häuslichen Gedichten von einer neuen Seite, der gemüthlichen, der humoristischen, und wenn auch hier und dort das Gelegenheitsgedicht, mit dem die Musen nur Halbpart machen, sich etwas zu wohlgefällig, zu banal giebt, so finden sich doch auch höchst anmuthige Bildchen darunter. So z. B. die Geburtstagsfeier der Mutter Freiligrath im December! Da redet der Dichter seine Kinder an:

Im Wintermond, und das ist wahr,
Da sind die Blumen gar zu rar,
Man sieht sie nirgends glänzen.
Wo nehmen wir die Blumen her
Und winden Kränze voll und schwer,
Die Mutter heut’ zu kränzen?

Wer hilft uns nun, wer giebt uns Rath?
– Ich, sagt der alte Freiligrath,
Und einen ganz famosen.
Habt ihr nicht Augen hell und klar?
Habt ihr nicht braun und blondes Haar,
Und Wangen wie die Rosen?

Der Himmel gab euch Licht und Thau,
Ihr seid auf dieser fremden Au
Wie Blumen frisch erwachsen.
So schlingt die Hände denn zum Tanz
Und tanzt, der allerschönste Kranz,
Um die Mama aus Sachsen.

Ebenso anmuthig ist das Gedicht, das er seiner Tochter Käthe zu ihrer Vermählung mit Eduard weiht, sowie das andere an Luise zu ihrer Vermählung mit Heinrich. Zu beiden leitet eine stimmungsvolle landschaftliche Scenerie die Verse ein, die dem häuslichen Ereignisse gewidmet sind. Seinen Enkeln, seinen Pathen dichtet er durchaus kindlich gehaltene Liederchen. Sehr rührend ist das Gedicht, welches er dem verstorbenen Bruder Otto in den Mund legt bei der Hochzeitsfeier Wolfgang’s. Heiter wechseln damit mehrere Carnevalsgedichte und schalkhafte gesellschaftliche Lieder ab. Auch der Kreis literarischer Freunde, an welche der Dichter poetische Episteln richtet, erweist sich als sehr ausgedehnt; es finden sich solche lyrische Briefe an Julius Mosen, an Hackländer, in Julius Rodenberg’s Album, an Karl Mayer’s dreiundachtzigstem Geburtstage. Scheffel’s fünfzigjähriger Geburtstag wird ebenfalls gefeiert; wie einst Grabbe wird Immermann verherrlicht; ebenso Hölderlin. Kurz, es ist ein gut Stück Literaturgeschichte, das sich in diesen Gedichten vor uns abspielt.

„Doch, ist denn dies auch der alte Freiligrath?“ werden Sie fragen, verehrte Freundin, „der Dichter mit dem bunten Farbentopf, den bizarren, fremdartigen Reimen, mit der ganzen Eigenart, die für ihn so charakteristisch ist?“ Natürlich kann er das fremdländische Colorit in solchen häuslichen Gedichten nicht verwenden; dennoch ist Ton und Stimmung bei ihm niemals alltäglich; verwaschene und abgetragene Reime vermeidet er; achten Sie nur auf Reime wie die folgenden in dem Gedichte bei Moritz Hartmann’s Abschied von Schwaben, wo es von diesem Lande heißt:

O du bist schön! Um deine Lauben
Die Blätter schimmern roth und falb.
Dein Neckar blitzt um deine Trauben,
Und kühn und hoch ragt deine Alb.
Rings deine Fülle, rings dein Segen,
Ringsum die Keltern, die du färbst;
Gesang und Lust auf allen Wegen
Verkünden weithin deinen Herbst.

Ein ganz anderer Dichterkopf ist Paul Heyse, der elegante feinsinnige Novellist und Dichter poetischer Erzählungen, der jetzt zum ersten Mal mit Liedern und Bildern als Lyriker vor das Publicum tritt. (Berlin, Verlag von Wilhelm Hertz.) Alle diese Gedichte sind von großer Anmuth der Form und bewegen sich mit Sicherheit in den verschiedenartigsten Metren. Alles Feuer der Leidenschaft, freilich damit auch alles Maßlose und Ueberschwängliche, liegt dem Dichter fern. Dagegen findet er für zarte Gefühle oft einen innigen und graziösen Ausdruck, und auch die größeren Erzählungen bewegen sich in künstlerisch gemessenem Schritte und feinem Tacte; das Packende, Gewaltige, dasjenige, was sich unauslöschlich dem Gedächtnisse einprägt, fehlt dieser Dichtermuse.

Als Liederdichter gehört Paul Heyse der Goethe’schen Schule an; einige der von ihm gewählten strophischen Formen erinnern unmittelbar an das Vorbild des Meisters. Sehr stimmungsvoll sind einzelne dieser Gedichte, z. B. das Lied am Kamin, wie man’s taufen möchte, dessen erste Strophe lautet:

Das sommermüde Jahr verklingt,
Im kahlen Wald kein Vogel singt,
Der Wind saust über die Haide.
Ein Feuerlein ist im Kamin entfacht,
Da singen wir sacht,
Mein Herz und die Flamme, wir beide.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 480. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_480.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)