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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Aufg’setzt.
Eine baierische Bauerngeschichte.
Von Herman von Schmid.
(Fortsetzung)
Nachdruck und Dramatisirung verboten,
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


In der einfachen, bequem und freundlich eingerichteten Stube hatte sich indessen zwischen den beiden Mädchen ein Gespräch völlig anderer Art angesponnen. Die gewaltsame, durch den festen Willen nicht schwach zu erscheinen, aufrecht erhaltene Kraft Lina’s hatte gerade bis über die Schwelle gereichte dort spannten sich die erregten Nerven plötzlich ab wie zurückschnellende Saiten, und ohne Gertl’s freundliche Hülfe wäre die zweite Anwandlung von Ohnmacht wohl eine stärkere geworden, als die erste; sie geleitete Lina nach dem unscheinbaren und alterthümlichen, aber bequemen Ruhebett, das damals die Stelle eines Sophas oder Divans vertrat; sie schob ihr ein Bettkissen unter das matte Haupt und befeuchtete ihr Stirn und Schläfe mit dem schon bereit stehenden Wasser. Lina ließ es ruhig geschehen; sie hielt die Augen geschlossen; ein tiefer, lang anhaltender Seufzer entlastete die gepreßte Brust, während Gertl, am Geländer des Ruhebetts übergebeugt, ihr das schöne Haar streichelte und tätschelte, etwa wie man ein leidendes Kind zu beruhigen sucht. Das Fräulein hatte gleich anfangs durch seine Freundlichkeit, sein leidendes Aussehen, sowie durch seine Geschicklichkeit das Mitleid und die Theilnahme des schlichten Mädchens erworben – seit der Begegnung mit dem Maler und deren Folgen hatte sie vollends Gertl’s Herz gewonnen; das einfache unverdorbene Gemüth war verständig genug, den Zusammenhang zu ahnen, der wohl all den fragenden und lärmenden Zuschauern verborgen geblieben war.

„Arme Fräul’n,“ sagte sie leise und zärtlich, „Du thust mir recht leid – ich glaub’ alleweil, jetzt kenn’ ich das Wetter, das das liebe Blüm’l so niedergeregnet hat. Aber sei nur ruhig! Du bist noch jung; da kann Alles noch recht werden.“

Das Mädchen war Lina vor wenig Stunden noch völlig fremd gewesen, aber in ihrer ungesuchten Zutraulichkeit, ihrer natürlichen kinderhaften Güte lag etwas so still Gewinnendes, daß auch die feine Städterin ihr Herz dem unbekannten Bauernkinde zuneigte und zwischen beiden ein unausgesprochenes Verständniß entstanden war. Als daher Gera allmählich neben dem Ruhebett in die Kniee glitt und ihre Tröstungen wiederholte, senkte Lina ihr Haupt wie unwillkürlich auf Gertl’s Schulter und Brust wie an die der ältesten und vertrautesten Freundin, und ein Strom von Thränen fand endlich Luft, das so schwere Herz zu erleichtern.

„Du meinst es gut,“ flüsterte sie, „aber ich habe keine Hoffnung; ich bin zum Unglück geboren.“

„So mußt nit reden, Fräul’n,“ erwiderte Gertl sanft. „So mußt nit reden – das ist ein Aberglaube. Die Leut’ sagen wohl diemal’ so: mir geht nichts hinaus, mir ist es so aufg’setzt, daß ich kein Glück haben soll, aber das ist unrecht und ein gar trauriger Gedanken. Wofür wäre denn nachher unser Herrgott da? Für was thäten wir denn zu ihm beten, wenn uns was aufg’setzt wär’, wenn er’s nit ändern könnte?“

Der Schall von Schritten, welche sich von der Treppe her dem Zimmer näherten, unterbrach das Gespräch und scheuchte Lina rasch von ihrem Lager auf. „Papa kommt,“ flüsterte sie Gertl zu, indem sie ihr herzlich die Hand drückte und sich anschickte, vor dem Spiegel ihr Haar zu ordnen und, so gut es anging, die Spuren der Thränen zu vertilgen. Als der Oberforstrath anpochte, öffnete sie ihm bereits die Thür und trat ihm mit erhelltem Angesicht und freundlichem Lächeln entgegen. – „Beunruhige Dich nicht, Papa!“ sagte sie, ihm beide Hände bietend, „Dein unfolgsames Kind ist wieder ganz wohl und wird in Zukunft gewiß dafür sorgen, daß es den Uebergang von der Hitze zur Kälte besser zu vertragen weiß.“

„Das wünsche und hoffe ich, mein Kind,“ sagte er mit bedeutsamem Ernst; „ich wünsche es um meiner und Deiner eigenen Ruhe willen … Jetzt aber – wenn Du Dich wieder wohl fühlst und der Komödie beiwohnen kannst, so folge mir! Nach der Bewegung im Volke zu schließen, wird der Anfang der Komödie nicht mehr lange auf sich warten lassen.“

Die Klänge heranziehender Musik bestätigten die Vermuthung. „Ist schon so,“ rief Gertl, die an’s Fenster geeilt war. „Jetzt machen die Musikanten ihren Umzug durch’s Dorf, und wenn sie wieder zum Komödienhaus zurück gekommen sind, geht’s an. Da kommt auch schon der Maler-Anderl auf’s Haus zu … wissen S’, das ist der, der das Stück gemacht hat und das Theater malt, den Wald und den Kerker … Der will gewiß die Hirschkuh – da muß ich helfen.“

Lachend eilte sie hinunter auf den Vorplatz, wo bereits der Bühnenkünstler, zu großem Ergötzen Karl’s, im vollen Costüm seiner Rolle erschienen war. Er hatte den Diener oder Leibknappen des Pfalzgrafen zu spielen, einen alten biederen Kauz, der zugleich die Stelle des Kasperl oder Lustigmachers vertrat, der in keinem, auch nicht dem ernsthaftesten Stück fehlen durfte. Dazu paßte er vollkommen mit dem gutmüthigen, immer lachenden rothen Angesicht, den weißen Augenbrauenbüscheln und der plumpen Kupfernase. Das lederne Knappen-Koller und die hohen Stulpstiefeln

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_473.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)