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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


die Strümpfe vielfach genäht, und es gehörte große Kunstfertigkeit dazu, sie faltenlos, gut sitzend „proprement et mignonnement“ herzustellen.

Allgemeiner dehnte sich ihr Gebrauch erst aus, als die höchst sinnreiche Strumpfwirkmaschine erfunden war (1589 von William Lee in Cambridge). Das charakteristische Leben und Emporblühen des Strumpfes, sein selbstständiges Dasein wurde erst hierdurch ermöglicht; erst jetzt konnte den Anforderungen in vollem Maße genügt werden, welche die Schönheit von Bein und Fuß an ihn stellte. Nicht allein dem Beine und Fuße des Mannes, nein, auch dem der Frau schenkte man die größte Beachtung, und ein schönes Bein, ein schöner Fuß einer eleganten Frau übte weit mehr als früher seine Anziehungskraft auf die Männer aus. Mit Vorliebe wurde darüber discutirt; man besang sie und schrieb sogar Bücher, wie der oben erwähnte Brantome, von dem man eine Abhandlung „über die Schönheit des Beins“ besitzt.

Was war natürlicher, als daß auch die Damen auf den Gedanken kamen, mit dem Strumpfe zu paradiren. Da das lange Kleid noch immer den Fuß bedeckte und gelegentliches kokettes Heben desselben der gefallsüchtigen Zeit nicht genügte, ein bedeutendes Kürzen aber den klimatischen Verhältnissen nicht entsprach, mußte anderweit Rath geschafft werden. Die in Sachen der Mode stets vorangehenden Höfe brachten Hülfe. Sie erfanden die allegorisch-mythologischen Schäferspiele. Kein größeres Zusammensein fand statt ohne à la Nymphale und zum guten Ton gehörte es, das Hauptamusement in dergleichen Aufführungen zu suchen. Bis gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts können wir diese Aufführungen in reichster Abwechselung verfolgen.

Dieses plötzliche Geltendmachen eines bestimmten Körpertheiles übte seinen merkwürdigen Einfluß auf die malende Kunst aus. Betrachten wir die Werke, hauptsächlich unserer deutschen Maler, vor der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts, so wird uns die wenige Beachtung ausfüllen, welche sie, im Gegensatze zum Kopfe, den unteren Extremitäten zollen. Letztere sind fast durchgängig äußerst stiefmütterlich, oft sogar kindlich naiv behandelt. Ganz anders gestaltet sich dies jetzt. Fuß und Bein ist nicht mehr Nebensache, und Accuratesse sehen wir auch dort, oft sogar mit einer gewissen Vorliebe, angewandt.

Der Strumpf ließ noch auf anderem Gebiet seine Macht fühlen.

Wir kennen Alle die Bedeutung, welche sich durch eine bestimmte Kleidung auf den Menschen überträgt. Es ist durchaus nicht gleichgültig, ob ich mich im bequemen Morgenrocke oder im gestickten Staatskleide bewege. Gang, Sprache, Benehmen wird darnach gemodelt, und der Ton, der durch mein ganzes Leben hallt, ist mehr oder minder davon abhängig. Die Männertracht gestattete bis zur Einführung des Strumpfes wenig Beweglichkeit. Steif, gravitätisch schritt man daher, sprach ebenso hölzern, tanzte mehr trippelnd oder hüpfend, und dem ganzen Sein fehlte die Grazie. Der Strumpf sollte hierin als Reformer auftreten. Die durch ihn geschaffene freiere Bewegung ging auf den ganzen Habitus des Menschen über. Der Gang wurde leichter, in den Tanz Grazie gelegt; der zierliche Pas trat an die Stelle des unbeholfenen Schrittes, der Galanteriedegen für das schwere Schwert ein, und die ausschmückende phrasenreiche Redeweise entsprach dieser Wandlung.

Nur einmal drohte der Herrschaft des Strumpfes Gefahr, als während des dreißigjährige Krieges der kolossale, herunterklappende, oft mit Spitzen besetzte Reiterstiefel ihn ganz zu verdecken suchte. Es blieb ein ohnmächtiges Streiten. Das tonangebende galante Frankreich schüttelte ihn nach dem Friedensschluß schnell wieder ab, und in noch weit schärferem Maße trat der Strumpf in sein altes Recht, und mit ihm spannte sich die Forderung, die man an ein wohlgeformtes Bein stellte, noch höher. Man verlangte von letzterem möglichst plastische Schönheit, und mit äußerster Sorgfalt wurde die richtige Bekleidung von Fuß und Bein zu einer Art Studium gemacht. Wo die Natur Lücke zeigte, half die Kunst nach. Stoff, Farbe und Ausstattung des Strumpfes mit Zwickel, Band oder Schnalle erforderte genaueste Uebereinstimmung, denn die Augen Aller ruhten zuerst dort; die Bewegung von Bein und Fuß zeigte beim Manne, ob er zur guten Gesellschaft gehöre.

So schritt der Strumpf über zwei Jahrhunderte, fast unberührt von allen Moden, ruhig seinen Weg, bis sich die französische Revolution auch an ihm vergriff. Seinem sichtbaren Dasein sollte ein Ende gemacht werden und des Strumpfes Mutter wieder zu Ehren kommen. Das Beinkleid des Mannes machte sich auf die Wanderung und begann in schneller Folge über seine bisherigen Endpunkte an Hüfte und Knie hinauszugreifen. Diese Halt- und Endpunkte rückten unter mancherlei Schwankungen immer weiter hinauf, am Ende bis unter die Achsel, und am Schienbein immer weiter hinab, bis eines Tages, um das Jahr 1796, das knappe Pantalon, die neue Stammmutter eines zahlreichen glücklichen Geschlechts, der Welt präsentirt wurde. Nicht lange währte es, da bekam es den langen anspruchsvollen blankgewichsten Stiefel unter sich uns ging nach kurzem Kampfe als unbestrittener Sieger über Schuh, Strumpf und Kniehose hervor. Das Pantalon und der Stiefel begruben beim Manne den eleganten Strumpf unter Stoff und Leder und jenes hüpfte süffisant in den Tanzsaal und an den Theetisch, wo wir es noch heute finden.

Die Zeit der Schäferspiele ist vorüber, und unsere Frauen lassen uns höchstens bei Regenwetter ein Streifchen des weißen Strumpfes zu Gesicht kommen. Ob sich die Geschichte des letzteren, bis hierher gelangt, ein für alle Mal der Forschung entziehen wird – wer kann es wissen? Betrachten wir die Damenmoden der letzten Jahrzehnte in ihrem raschen Wechsel vom ungeheuren Reifrocke bis zu dem anatomisch zeichnenden Gewande, von der langen Schleppe bis zum knappen Röckchen, von dem fußhohen falschen Haaraufbau bis zu den wunderbarsten Coiffuren – dann freilich sind wir nicht sicher, daß uns die Damen vielleicht auch einmal in Röcken à la Nymphale begrüßen und die goldene Zeit des Strumpfes von Neuem beginnt.



Blätter und Blüthen.


Der Teufel im Groß-Topp. Frisch und immer frischer wehte der Wind. Die Bram- und kleinen Stagsegel waren schon festgemacht. Ein feiner, dichter Regen vermehrte das Unangenehme einer finstern Nacht auf See. Das Schiff lief schnell durch die phosphorescirenden Wellen des atlantischen Oceans. Es war zwölf Uhr. Vom Achterdeck rief der wachthabende Officier: „Acht Glas und Reff in die Marssegel!“ Kurz darauf wurde die andere Wache mit dem gewöhnlichen aus voller Kehle gesungenen:

Rise,[1] Quartier is min Verlangen,
You mutten de Mann an’t Ruder verfangen,
Acht Glasen seind geschlahn.
Rise, Quartier in Gottes Namen!

und „Reff in die Marssegel!“ geweckt.

Alle Mann waren auf Deck; die Marsragen wurden heruntergeführt, und die Leute bekamen Befehl nach oben zu gehen. Kaum aber war der Erste bis unter den Mars, so kam er und mit ihm die ganze Gesellschaft in größter Hast wieder herunter. Ohne ein Wort zu sprechen, eilten Alle, wie auf Commando, nach dem Fockmast, und erst nach vielem Fragen wurde dem Officier die Antwort: „De Düwel is in’n Grot-Topp und he spreckt hollandisch.“

Kein Zureden, keine Vernunftgründe beruhigten die verstörte Mannschaft. Der Teufel ist im Groß-Topp, und noch einmal würden sie nicht nach oben gehen. Alle behaupteten deutlich die Worte: „wo mut yei natu“ gehört und Einige wollten sogar leuchtende Augen gesehen haben.

Der Wind nahm mehr und mehr zu; die heruntergeführten Segel schlugen und klatschten immer stärker. Statt des seinen Segels prasselte das Wasser in Strömen auf Deck. Die Segel mußten durchaus festgemacht werden.

Kurz entschlossen sprang der Officier die Strickleitern in die Höhe, um endlich Aufklärung in die Sache zu bringen und die Leute wieder zur Arbeit zu bekommen. Oben angekommen, wurde er mit dem Rufe: „Wo mut yei natu,“ empfangen. Unwillkürlich zusammenfahrend blieb er stehen. So sehr er auch seine Augen anstrengte, nichts Verdächtiges war zu entdecken. Da blieb also nichts Anderes übrig, als dem sprechenden Gespenst mit Licht auf den Leib zu rücken. Die Webeleinen hinab nach unten gehend, befahl er dem Koch, die Ankerlaterne anzuzünden, und so bewaffnet, stieg er wieder allein nach oben, da keiner von der Mannschaft den Muth hatte, ihn zu begleiten.

Nach einer Weile rief er den unten ängstlich zu ihm Aufsehenden lachend zu: „Nu kamt mal rup und helpt mi den Düwel fangen, sünst geit he uns noch äver Burd.“ In Lee, hinter dem Besansstengestagsegel saß, geschützt vor Wind und Regen ein niedlicher grüner Papagei. Der Teufel hatte diesmal eine besondere Gestalt angenommen und war ohne

  1. Rise, aus dem Englischen aufstehen. Vier Stunden (Quartier) dauert eine Wache auf Deck. Jede halbe Stunde wird durch Glockenschläge angezeigt, die in vier Stunden von eins bis acht zunehmen, sodaß z. B. einhalb ein Uhr ein Glas, zwei Uhr vier und vier Uhr acht Glas sind. Dann ist Quartier; die Wache wird abgelöst und die Rechnung fängt von vorn an.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_455.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)