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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

„Thun Sie das!“ sagte der Freiherr, dem weder der Eifer noch das erleichterte Aufathmen des Obersten bei der Absage entgangen war. „Ich bin überzeugt, Sie werden einen gehorsamen Sohn finden.“

Er wandte sich zum Gehen. Der Oberst begleitete ihn artig bis zur Thür und wollte ihm dort in gewohnter Weise die Hand zum Abschiede reichen, aber Raven zog die seinige zurück, verneigte sich kühl und verließ das Zimmer. Draußen auf der Treppe blieb er einen Moment lang stehen und warf einen Blick zurück, während er halblaut sagte:

„Also so weit ist es bereits gekommen! Man sucht die Verbindungen mit mir zu lösen – es müssen doch eigenthümliche Nachrichten sein, die Wilten empfangen hat.“

(Fortsetzung folgt.)


Zum hundertjährigen Jubiläum des Weimarischen Parkes.
Von Robert Keil.
Mit Abbildung.

Unter all den classischen Stätten, welche den Namen Weimars in der Geschichte deutscher Kunst und Literatur für alle Zeiten verherrlicht haben, nimmt der Park eine der ersten Stellen ein. Es giebt größere, schönere Parkanlagen in Deutschland, aber es giebt keine, welche eine solche Fülle von Poesie und bedeutsamen Erinnerungen in sich birgt, wie der Weimarische Park, – sind es doch die schönsten Dichtungen Goethe’s, die hier verkörpert uns entgegentreten, sind es doch die köstlichen Tage genialen Lebens und Schaffens, an welche hier jeder Baum, jeder Fels, jedes Gebäude erinnert. Am 9. Juli 1778 war es, als diese „Parkdichtungen“ begannen. Jenem Tage und den sich daran reihenden Schöpfungen eines Karl August und Goethe sei jetzt, nach hundert Jahren, dieses Erinnerungsblatt geweiht.

Wohl bestanden schon zu jener Zeit Parkanlagen bei Weimar, doch wesentlich anderer Art. Südlich vom Schloß war der italienische oder welsche Garten, welchen Herzog Wilhelm der Vierte im 17. Jahrhundert hatte anlegen lassen. Im Geschmack jener Zeit, mit verdeckten perspectivischen Bogengängen und grün durchwachsenen Pyramiden möglichst gradlinig und steif angelegt, hatte dieser fürstliche Lustgarten in seiner Mitte ein originelles Gebäude: einen hohen hölzernen Bau, der, ein Oval bildend, von innen und außen bis zur Spitze von künstlich geführten Lindenzweigen bekleidet war. Zwei sich schneckenartig über einander wegwindende, nirgends zusammen kommende Treppen liefen oben in zwei kleine Pavillons aus, von denen man eine weite Aussicht über den ganzen Garten und über die Stadt genoß. Von seiner Form hatte dieser Bau den Namen „Die Schnecke“ erhalten. Auf dem andern, dem rechten Ufer der Ilm, in dem Thalgrunde zwischen der Stadt Weimar und dem Dorfe Oberweimar, hatte früher ein großer und schöner Baum- und Lustgarten bestanden, bis die Gewässer der sogenannten Thüringer Sündfluth (1613) ihn verschlämmt und verwüstet hatten. An seiner Stelle war dort der Ilm entlang oder vielmehr auf der von der Ilm und dem sogenannten Floßgraben gebildeten Insel eine Parkanlage von mannigfaltigen Gängen und namentlich acht unter dem Schatten dichter Bäume sternartig zusammen laufenden Wegen entstanden, welche deshalb den Namen „Stern“ führte; es fanden sich dort, um mit den Worten Goethe’s zu reden, uralte gradlinige Gänge und Anlagen, hoch in die Luft sich erhebende stämmige Bäume, daher entspringende mannigfaltige Alleen, breite Plätze zu Versammlung und Unterhaltung.

Unmittelbar an den Stern, durch einen Steg mit ihm verbunden, grenzte der Garten und das Gartenhaus, welche der zunächst als Gast des Herzogs Karl August nach Weimar gekommene junge Dichter Goethe am 21. April 1776 „in Besitz genommen hatte“. Lebhaft theilte er die Neigung zum frischen Naturgenuß, zum Leben, Verweilen und Genießen in freier Luft, aber auch die Sympathie für die natürlich-schönen englischen Parkanlagen im Gegensatz zu den steifen Formen der Zopfzeit. Im Geiste jener freieren, schöneren Richtung sollte sich zunächst der eigene, ihm liebgewordene Garten umgestalten. Schon am 20. Mai konnte Goethe in sein Tagebuch notiren, daß die untere Anlage des Gartens angefangen war. Fleißig pflanzte er dort Bäume, die er mit dem sinnigen Wunsche begleitete:

Wachset wie aus meinem Herzen,
Treibet in die Luft hinein,
Denn ich grub viel Freud’ und Schmerzen
Unter Eure Wurzeln ein!

Als Muster einer englischen Parkanlage war der Wörlitzer Park unter Herzog Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau entstanden. Im December 1776 waren Goethe und Karl August in Wörtitz, und hierdurch angeregt, wurde in Beiden der Gedanke, in solcher Weise die Gegend zu verschönern und als eine Folge von ästhetischen Bildern darzustellen, rege und lebendig. Schon im Jahre 1777 kam es zu vorbereitenden Schritten. Am 23. Juli wurde, wie sich Goethe notirte, „die Mauer des welschen Gartens eingeworfen“, und es entstand daselbst „ein neuer Platz“. Am 11. Januar 1778 theilte Goethe seinem Freunde Merck vertraulich mit, „die Gegend um seinen Garten werde aufs Frühjahr unendlich schön werden, er habe einige seltsam romantische Fleckchen ge- und erfunden“. Ein betrübender Todesfall förderte die Ausführung. Ein Fräulein von Lasberg hatte aus unglücklicher Liebe zu einem Schweden, von Wrangel, im Januar 1778 an der Floßbrücke nahe dem Goethe’schen Gartenhause den Tod in der Ilm gesucht und gefunden; man erzählte sich, daß sie dabei „Werther’s Leiden“ in der Tasche getragen. Goethe war von dem Tode des jungen Mädchens tief ergriffen und trug sich mit dem Gedanken, der Unglücklichen ein Denkmal zu setzen. Er erfand, wie er an Frau von Stein schrieb, „ein seltsam Plätzchen, wo das Andenken der armen Christel verborgen stehen werde“, aber er setzte auch sofort hinzu „das war, was mir heute noch an meiner Idee mißfiel, daß es so am Wege wäre, wo man weder hintreten und beten, noch lieben soll. Ich habe mit Jentschen (dem Hofgärtner) ein gut Stück Felsen ausgehöhlt; man übersieht von da in höchster Abgeschiedenheit ihre letzten Pfade und den Ort ihres Todes. Wir haben bis in die Nacht gearbeitet, zuletzt noch ich allein bis in ihre Todesstunde.“ Am felsigen Ilmufer ließ er einigen Raum schaffen, um ein kleines Denkmal für die arme Christel anzulegen, und kam auch das letztere selbst nicht zur Ausführung, so wurde doch auf diese Weise die Felsen- und Uferarbeit gefördert, welche im März und April rasch vorrückte. Unermüdlich wühlte Goethe sich am Felsen und Ufer in der Nähe der Floßbrücke fort.

Oberhalb der Felsen des Ilmufers wurde nach Goethe’s Plan und Idee der Parade- und Exercirplatz angelegt, und unten am Wasser entstanden, wie Wieland es bezeichnete, „die neuen poëmata, die der Herzog nach Goethe’s Invention und Zeichnung anlegen ließ und die eine wunderbar künstliche, anmuthig wilde, einsiedlerische und doch nicht abgeschiedene Art von Felsen und Grottenwerk vorstellten, wo Goethe, der Herzog und Wedel oft selbdrei zu Mittag aßen oder in Gesellschaft einer oder der andern Göttin oder Halbgöttin den Abend passierten.“

Im Mai 1778 waren Karl August und Goethe wieder in Wörlitz. Seine Tour durch den dortigen schönen, im frischesten Grün prangenden Park vergleicht der Dichter in seinem Tagebuche und seinen Briefen mit dem Vorüberschweben eines leisen Traumbildes. Als er des Abends durch die Seen, Canäle und Wäldchen schlich, war er tief gerührt davon, wie die Götter dem Fürsten erlaubt hatten, einen Traum um sich herum zu schaffen. Auf Goethe und dessen jungen fürstlichen Freund übte der Wörlitzer Park auf’s Neue die nachhaltigste Anregung. Schon am Abend des 1. Juni 1778, des Tages seiner Heimkehr, weilte Goethe wieder in dem neugeschaffenen „Felsenwerk und Grottenwesen“ an der Ilm; Wieland traf ihn dort in Gesellschaft „der schönen Schröterin (Corona Schröter), die in der unendlich edlen attischen Eleganz in ihrer ganzen Gestalt wie die Nymphe dieser anmuthigen Felsengegend aussah“. Der Juli aber sollte, durch einen besonderen Zufall veranlaßt, ganz in der Nähe die weiteren Goethe’schen Park-Dichtungen und damit den Park selbst entstehen lassen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_450.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2016)