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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

War nun die Minne in die verschlossene Mädchenbrust eingezogen, so fehlte es auch damals nicht an jenen süßen Boten der Liebe, die als „duftige Büchleins“ (Liebesbriefe) oder als Schärpenband, Schleife, oder auch nur eine „Handvoll Seidenfäden“ hin und wieder gingen. Auch der erfinderische Sinn bei deren Beförderung fehlte der Liebe nicht. Da schlüpfte wohl der liebedürstende Jüngling, wie es in einem Minnelied des Meister Johannes Hadlaub zu lesen, in ein Pilgergewand, schlich sich so an die aus der Mette kommende Geliebte heran und heftete ihr in der Dämmerung den an einem Haken befestigten Brief heimlich an’s Kleid. Oft entstand freilich um diese zarten Büchleins große Verlegenheit, denn weder der vornehme Ritter noch das edle Fräulein, jener meist noch weit weniger als dieses, konnten die zierliche Wiedergabe des Griffels auf dem Pergament-, Elfenbein- oder Wachsblatt entziffern, sondern mußten sich erst nach einem der Schrift und des Lesens kundigen Schreiber umthun. So trugen sie wohl harrend in Sehnsucht die räthselvollen Boten tagelang mit sich herum.

Endete Minnen und Werben mit wirklichem Verspruche, so wurde derselbe wesentlich beurkundet durch die Darreichung des Ringes, die bei feierlicher Werbung mittelst des Schwertes oder eines Stabes erfolgte. In ältesten Zeiten oder in den niederen Ständen genügte wohl schon ein Band oder bunter Faden, um den Schwur der Treue symbolisch zu bekräftigen. An die Ringgabe schloß sich Umarmung und Kuß. „Geruht Ihr mich zu minnen, viel schönes Mägdelein, mit allen meinen Sinnen will ich immer bei Euch sein.“ Mit diesen Worten leitete der Bräutigam wohl den Act ein, und die Braut erwiderte das überschwängliche Gelöbniß mit gleicher Münze, indem sie ihm gelobte: „Du sollst immer mit mir haben Wonne“ (Gudrun und Herwig). Als ein weiteres Symbol der Verlobung galt auch die Verabreichung von ein paar Schuhen als Bräutigamsgabe zum Zeichen des Eintritts der Braut in das „Mundium“, das heißt den Schutz und die Herrschaft des Mannes. In seltsamer Umkehr der Dinge verwandelte sich freilich oft genug das männliche Regiment der Schuhe in das gefürchtete Frauenregiment des Pantoffels.

Die Verlobung dauerte der Regel nach ein Jahr, und mit dem Ablaufe des zweiten Jahres verlor sie ihre Gültigkeit. Und wenn die Zeit des Herzensfrühlings vorbei war, kam der Regel nach im Herbst- oder Winterbeginn die Hochzeit. Den Hauptschmuck der Braut bildete das lange lose Haar, das – ein Zeichen jungfräulicher Reine – „frei und ungebunden den Rücken hinabwallte“. Der Brautkranz ist nicht deutschen Ursprungs; erst die Kirche führte ihn ein als eine Reliquie des classischen Heidenthums. Im dreizehnten Jahrhundert war er jedoch bereits vollständig im Gebrauch. An der Hochzeitstafel tranken die Brautleute gemeinsam aus einem Becher. Junker und Jungfrauen geleiteten, wie es im „Parcival“ heißt, die Liebenden zum Brautgemach.

Am Morgen aber nach der Hochzeit band sich die Braut das wallende Haar am Haupte auf und barg es züchtig unter einer Haube. Die Zeit ihres Magdthums war nun vorüber; sie war eine Frau.


2. Des Hauses Wirthin.


Die Frau des Mittelalters stand, wie wir bemerkten, rechtlich in der Herrschaft des Mannes, aber diese scheinbare Härte wurde ausgeglichen durch die hohe Verehrung, welche sie genoß im Leben und im Liede. Der Mund der Dichter floß über von ihrem Lobe.

Wer Tugend liebt und Ehre,
Der merke sich die Lehre:
Er soll zu allen Zeiten
Der Frauen Lob verbreiten.
Manch wonniglicher Segen
Beginnt wohl sein zu pflegen,
Wenn er sie fröhlich grüßt
Und fein die Rede süßt,
Nie kalt und nie verwegen,

singt Christian von Hamle, der besten Sänger einer. Allen aber thut es zuvor Walther von der Vogelweide, der weder „in Lüften, noch auf Erden, noch auf allen grünen Auen etwas Wonniglicheres weiß zu finden, als wie holde Frauen“. Und wenn Mann und Weib, nach den Worten Reinmar’s von Zveter, galten als: „Ein Herz, Eine Liebe, Ein Mund, Ein Muth und Eine Treue und Eine Liebe wohlbehut, wo Furcht entschleicht und Scham entweicht: Zwei Eins geworden ganz“ –, so trug diese schöne Anschauung wohl nicht am geringsten mit dazu bei, der Frau im Leben eine höhere Stellung zu verleihen, als sie es im Rechte besaß.

Zudem war sie in einem Theile des Hauses Alleinherrscherin, in der „Kemenate“, in den Frauen- und Mägdekammern, die bei größeren Gehöften zu einem eigenen Frauenhause sich erweiterten, das besonders umfriedet und geschützt war. Hier in der „Frauen Heimlichkeit“ befinden sich die Insignien ihres herrschenden Waltens: Webstuhl, Stickrahmen, Kunkel und allerlei Werkzeug. Hier bergen sich in mächtigen Truhen die Schätze des Hauses, „die schimmernde Wolle, der schneeige Lein“; hier hingen in besonderen Kammern auf langen Stäben gebreitet Kleider und Gewänder. Sie alle verdankten ihre Erzeugung meist vom ersten Faden an der spinnenden, webenden, nähenden und strickenden Hand der Hausfrau und ihrer weiblichen Genossinnen, denn noch gehörten Schneider, Putzmacherinnen und Nähmamsellen, wie Manufactur- und Modewaarenhandlungen zu den unbekannten Dingen. Zwar brachten wandernde Händler die Stoffe – namentlich Tuch, Sammet und Seide – in’s Haus; auch bildeten sich, besonders nach Erschließung des Orients, größere Stapelplätze, Messen und Märkte, trotzdem aber tanzte die kreisende Spindel selbst im fürstlichen Frauenhause noch durch das ganze Mittelalter hindurch, und die Hand „lind und weiß, daran gelegt war Gottes Fleiß“, zog den Faden noch emsig aus dem flachsenen Rocken. Und dann heischte das Anfertigen und Ausschmücken der Gewänder noch manch fleißiges Mühen. Dafür bestand aber auch die Mode noch nicht, dieses Geschöpf moderner Cultur, mit den tollen Sprüngen ihrer Laune. So konnte ein großer Theil der Gewandung mehrere Generationen hindurch im Schreine liegen, wobei eine inzwischen unbekannt gewordene Güte und Dauerhaftigkeit der Stoffe die Entwickelung ihres conservativen Charakters wesentlich begünstigte. Um so größer war da auch die Fülle des Vorhandenen, denn es handelte sich dabei nicht blos um die vielerlei Insassen des Hauses bis hinab zum Knappen und Troßbuben, auch für die Kleidung der Fremden, die gastliche Herberge nahmen, mußte vorgesorgt sein. Sie konnten auf der Reise nicht große Koffer mit sich führen. Auf dem schmalen Bug ihres Rosses war oft kaum Platz für einen bescheidenen Mantelsack. Dafür hatten der Staub und die Hitze der Landstraße ihnen weidlich zugesetzt. So war es eine der hausfraulichen Pflichten, die Ankömmlinge nach einem erquickenden Bade mit frischen Gewändern aus ihrem eigenen Vorrathe zu versehen. Vorher hatte sie gegenüber dem Gaste, dem sie wohl mit dem Herrn vom Hause bis vor die Thore der Burg oder des Hauses entgegengegangen war, noch eine andere hauswirthliche Pflicht zu erfüllen gehabt. Eine strenge Sitte, deren Vernachlässigung übel verargt worden wäre, gebot ihr, dem ebenbürtigen Ankömmling „den rothen Mund zum Willkommskusse“ zu reichen. Zeigte der Baum ihres Lebens schon reiche Jahresringe oder war die Natur ihr zur bösen Stiefmutter geworden, so lag die Herbe der Pflicht auf dem Gaste; war aber im Prangen der Schönheit und Jugend ihr „Mund noch heiß und rund und roth“, so „erging wohl ein Kuß, bei dem man das Maß des Begrüßungskusses ein wenig vergaß“, wie es einmal im „Parcival“ heißt, als Ritter Gawan bei der jungfräulichen Königin Antikonie im Lande Ascalon seine Einkehr hielt.

Das künstlerische Walten der Hausfrau machte sich überall im Hause geltend. Besonders häufig war dort die Verwendung von Teppichen. Sie bedeckten nicht blos den Estrich des Fußbodens, sondern wurden auch an den Wänden aufgehangen und über und vor die Polsterbetten gelegt, die als Ruhesitze rings an den Wänden herum standen, in so reicher Anzahl, daß der Dichter in dem Hofe des Königs Artus im Prunksaale deren Hundert aufzählt. In diese Teppiche stickte man mit bunter Wolle und Seidenfäden allerlei Muster und ganze Figuren, ja selbst vollständige Scenen und Bilder. Ueber die am Boden liegenden Teppiche streute man – wohl um der lieben Schonung willen? – Gras und Binsen („grün und thauig naß“, wie es im Liede heißt), im Sommer und an hohen Freudentagen nicht selten Blumen, besonders Rosen.

Auch gewirkte Wandtapeten gingen aus Frauenhänden hervor, oft fein durchschlungen von Seiden- und Goldfäden, zierliche Handtücher kunstvoll gestickt und bunt gerändert, die nach beendeter Tafel mit Wasser zum Waschen der Hände herumgereicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_445.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)