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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Boote an’s Land Springende sinkt bis zum Knie in die Anschüttung loser, halbverwester Blätter, die kaum mit einer dünnen Schlammschicht bedeckt sind. Diese Pflanzenscenerie giebt uns ein, wenn auch nur annäherndes Bild von der Art und Weise, wie im ewigen Haushalte der Natur die gewaltigen Magazine jenes Brennstoffs gebildet wurden, ohne welche heutzutage unsere gesammte Industrie, in ihrer dermaligen Entwickelung wenigstens, unmöglich bestehen könnte.

Auch Brasilien ist reich an mächtigen Kohlenlagern, doch ist natürlich bei dem jetzigen Mangel an Arbeitskräften keine Rede von einer Ausbeutung derselben. Bleiben doch noch so viele andere Schätze des Landes unbenutzt im Schooße der Erde liegen oder verfaulen im Dunkel der Wälder, und führt doch sogar das im Allgemeinen so holzreiche Brasilien jährlich für viele Tausende schwedisches, russisches und canadisches Tannenholz ein, da dies bis jetzt billiger und leichter zu beschaffen war als das einheimische. Erst in neuerer Zeit hat sich eine Gesellschaft gebildet, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die mächtigen Nadelwälder der Südprovinzen in rationeller Weise auszubeuten und dem in seiner Weise ausgezeichneten Araucarienholz die gebührende Geltung zu verschaffen.

Das Palmholz, obgleich meist aus nicht allzu fest zusammenhängenden dunkeln, hornartigen Fasern bestehend, findet in der Form gerissener Latten bei der Construction der Palmblattdächer sowie bei derjenigen der leicht aufgeschnürten Fußböden der Hütten, eine viel allgemeinere Verwendung. Die Palmen haben die härtesten, dichtesten Fasern unmittelbar unter der Rinde und nach der Mitte zu eine weichere, porösere Masse, während die Nadelhölzer nach dem Kerne zu fester werden.

Bei alledem besteht eine gewisse Aehnlichkeit im Charakter, im ganzen Habitus der beiden sich eigentlich so fern stehenden Pflanzenformen. Sie ist wohl in dem ihnen beiden gemeinsamen, gerade aufstrebenden Stamm, der Einfachheit und Symmetrie der ganzen Anlage, sowie dem Erwecken einer schwermüthigen, elegischen Stimmung zu suchen, die ja auch, was die Tanne anbetrifft, bei uns in zahlreichen Volksliedern schon ihren Ausdruck gefunden hat.

Wer je einen einsamen Ritt über die lautlosen Campos gemacht hat und in der Ferne eine der eben beschriebenen Waldinseln aus dem einförmigen Graugrün der grasbedeckten Hügel auftauchen sah, der wird diese Aehnlichkeit herausgefunden haben und sich sicher auch einer gewissen poetischen Melancholie nicht haben erwehren können. Wie ein Meer dehnt sich die wellige Ebene ringsum: kein Haus, keine Hütte weit und breit, kein Vogel, kein sonstiges Thier zu sehen oder zu hören außer ein paar Grillen, die rastlos ihr Abendlied zirpen. Am fernen Horizont zeichnen sich die von der Abendgluth golden angestrahlten Kuppen der Araucarien scharf gegen das helle Firmament, während die Wipfel der weniger hohen Palmen schon halb im Schatten liegen, bis die schnell hereinbrechende Nacht Alles in ihren Schleier hüllt und der Reiter ein nothdürftiges Unterkommen in einer halb verfallenen Hütte findet oder sein Pferd am Waldrand anbindet, um sich auf die Satteldecken zu strecken, den klaren Sternenhimmel als einziges Schutzdach.




Aus der Barbierstube.
Von Schmidt-Weißenfels.

Die Ungleichheit der Menschen, wie sie in Eintheilung von Kasten, Ständen und Classen künstlich geschaffen, ist noch niemals von der Weisheit der Natur anerkannt und respectirt worden. Der Trost aller in der Niedrigkeit Geborenen ist es vielmehr, daß Glück, Fleiß, Talent, Genie, eigene Kraft sie zu den Höhen der Menschheit empor zur heben vermögen, wie anderseits erlauchte Geschlechter, welche Kronen getragen, sich in ihren Nachkommen wieder in das Dunkel der menschlichen Gesellschaft verloren haben. Der Letzte des alten kaiserlichen Geschlechts der Komnenen starb vor einigen Jahren zu Mailand in Noth und Elend auf einem Strohsacke; ein Urenkel König Edward des Zweiten war Schlächter, ein anderer Zolleinnehmer, und ein Urgroßsohn Cromwell’s ehrbarer Gewürzkrämer in London. Zahllos sind die Beispiele von Emporkömmlingen, die, aus elenden Hütten hervorgegangen, zu Ruhm und unsterblicher Größe gelangten. Was die Geschichte unter Anderem von solchen Menschen erzählt, die aus der Bescheidenheit der Barbierstube sich emporhoben oder gehoben wurden zu Macht, Glanz, Verdienst und schöpferischer Thätigkeit nach den verschiedensten Seiten hin, bietet überraschende Thatsachen dar.

Niedriger war noch bis in die neueste Zeit kein Handwerk angesehen, als das der Barbiere. Wie sie einst nur Sclaven und Diener waren, so wurde ihr Geschick im Bartscheeren, Haarordnen, im Reinigen der Körper Anderer, in allerlei Hülfsleistungen mit Bürste, Messer und Scheere, nicht anders denn als gemeine Bedientenarbeit aufgefaßt. Erst im elften Jahrhundert, als im westlichen Europa die Bärte so vervehmt worden, daß Niemand mit einem solchen in den Ritterstand erhoben werden sollte, entstand überall eine Vermehrung der Barbiere in den Städten, welcher Umstand dann nach Vorbild der anderen Handwerkszünfte zur Bildung einer corporativen Vereinigung auch der Barbiere führte. Mit ihrer Beschäftigung hing oft das Unterhalten von Badestuben zusammen, deren Benutzung ja im Mittelalter so allgemein war, daß jedes Gewerk an einem bestimmten Tage in der Woche seine Gesellen dahin schicken mußte. Indessen währte es doch bis 1548, daß in Deutschland die Barbiere und Bader vom Reichstage zu Augsburg für frei und zünftig erklärt wurden, wenn ihr Gewerbe auch für ein anrüchiges und niedriges weiter galt. Der Kaiser Leopold erst erklärte die Profession der Barbiere, nachdem sie auch einen ausgeprägteren chirurgischen Charakter angenommen, für eine Kunst und schrieb ihnen als Meisterstück nicht mehr das Scheerenschleifen, sondern die Salbenbereitung und ein anatomisches Examen vor. In Frankreich trennten sich Wundärzte und Perrückenmacher bald von einander; die einen durften ein gelbes, die anderen nur ein weißes Becken vor ihrer Stube aushängen. Doch in Deutschland blieb die Verbindung aller dieser Beschäftigungen zunftmäßig bestehen, und ein Wundarzt mußte z. B. sieben Jahre lang erst Barbier gewesen sein. Die Barbier- und Bader-Ordnungen in den verschiedenen Staaten umschlosen auch die Vorschriften für die Wundärzte, die „den zum Ebenbild Gottes erschaffenen menschlichen Leib unter Händen zu curiren“ haben.

Aus solch einem armseligen Baderstübchen zu Augsburg trat bekanntlich die liebliche Erscheiung der Agnes Bernauer hervor, um als Herzog Albrecht’s von Baiern Geliebte und Gemahlin auf Burg Straubing eine kurze Zeit fürstlichen Glückes zu genießen, bis die Tücke des herzoglichen Vaters sie überfallen und als Zauberin ihr den Proceß machen ließ. An einem Octobertage des Jahres 1435 schleppten die Henkersknechte das schöne Weib gebunden nach der Donaubrücke und warfen sie vor allem Volke in die Fluthen. In Grimm und Schmerz raste ihr Gemahl über diese Unthat seines Vaters, und zeitlebens weihte er ihr ein fromm Gedenken; noch bis heutigen Tages singt das Volk von der Liebe und dem tragischen Geschicke der Baderstochter von Augsburg, und von mehr als einem deutschen Dichter ist sie auf unseren Bühnen verewigt worden.

Fast um dieselbe Zeit wurde in Florenz ein Barbier Namens Burchiello berühmt, weil in seiner Stube sich ein gelehrtes und vornehmes Publicum einfand, das beim Rasirtwerden und Haarestutzen ähnliche interessante Gespräche mit dem witzigen Manne hielt, wie Sokrates und Perikles einst mit dem Schuster Simon in Athen. Der große Cosmo von Medici ließ diese Barbierstube sogar in einem Gewölbe seiner Gallerie bildlich darstellen; eine Seite dies Gemäldes zeigt, wie Burchiello barbirt, die andere, wie bei ihm musiciert und gedichtet wird. Denn er genoß auch als ein Dichter von Satiren, launigen Räthseln und Burlesken im lüsternen Charakter des Boccaccio eines allgemeinen Rufes.

In Deutschland lebte als Zeitgenosse Burchiello’s der Barbier Hans Volz in Nürnberg, welcher zu den berühmtesten der dortigen Meistersinger gehörte und den Fastnachtspielen eine vollkommenere Gestalt verlieh. In gereimten Volksschwänken wetteiferte er mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_430.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2016)