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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Aus Robert Blum’s Leben.
6. Liebe und Ehe. Ein Capitel für unsere Leserinnen.

Es ist ein bemerkenswerther Zug in Robert Blum’s Wesen, daß er, sobald er nach langem hartem Ringen den festen Boden einer gesicherten Existenz unter den Füßen hatte, mit sehnsüchtiger Eile danach strebte, ein geliebtes Weib zur Genossin seines bescheidenen Glückes zu machen. Der erste Versuch mißlang. Ein reizender Mädchenkopf (Aquarelle) in Etui unter convexer Glasdecke, eine bräunliche Locke, die das Oval des Bildes umschließt, einige leidenschaftlich unglückliche Gedichte an Auguste (Forster) sind die einzigen Erinnerungen, die Robert Blum an seine erste tiefe Herzensliebe bewahrt hat. Um die Mitte der dreißiger Jahre, eher später, ist dieser Traum entstanden und dahingegangen zwischen dem Morgenroth zweier Tage. Der Inhalt der Gedichte läßt keinen Zweifel darüber zu, daß das schwere Wort „Untreue der Geliebten“ den Hoffnungen seines Herzens ein Ziel setzte.

Im Herbste 1837 wurde Blum durch einen Freund, Ferd. Mey, in dessen elterliches Haus in Leipzig eingeführt. Dieses Haus lag an der Dresdener Straße, unweit des äußeren Grimmaischen Thores, das vierundzwanzig Jahre zuvor die Königsberger Landwehr unter Friccius gestürmt hatte. Noch hafteten überall die Kanonenkugeln der Völkerschlacht in den Mauern der Häuser. Jenseits des Thores, wo das Mey’sche Haus zur Rechten lag, war damals fast Alles noch Garten. Mit der Rückseite stieß das Besitzthum an das üppig-grünende Heiligthum des Johanniskirchhofes. Wer konnte ahnen, daß auch der jungen Liebe, die dort emporkeimte, die Trauerweide des Friedhofes in so furchtbarer Nähe erwachsen sollte!

Ein achtzehnjähriges Mädchen (geboren 1. Mai 1819) war Adelaide Mey, als Robert Blum sie zuerst kennen lernte; in kleinbürgerlichem, leidlich wohlhabendem Hause, unter den Blumen und Bäumen des Vaters war sie aufgewachsen, ein Naturkind, schlicht, offen in allen Empfindungen und Gedanken, gleichgültig fast gegen alle tiefsten Zweifel des Menschenherzens, da keiner dieser Zweifel noch den Frieden ihrer Seele getrübt hatte, bis der geistvolle neue Freund leise tastend ihrem Glauben, ihrer Erkenntniß nachspürte. So zog ihr Wesen, ihre Erscheinung den Vielgeprüften mächtig an, gerade wegen des Gegensatzes ihrer Art und Entwickelung zu der seinen. „Jeder Schritt in das Leben war ihr neu, reizend,“ schreibt Blum später an seine Eltern, „es war mir vorbehalten, sie jeden dieser Schritte zu führen, und ihr freudiges Erwachen zu einer höheren Erkenntniß, zu einem geistigeren Lebensgenusse war mein süßester Lohn. Auch erhob sie sich in geistiger Beziehung mit jedem Tage; ich sah sie gedeihen unter meiner Leitung wie eine sorgsam gepflegte Blume und freute mich so innig an ihrer immer reicheren Entfaltung.“ Sehr bald schloß sich der Bund der jungen Herzen. Die Eltern und Brüder der Braut waren der Werbung gewogen; der Vater liebte Blum wie seinen besten Sohn, und bis an Blum’s Ende hat der kreuzbrave schlichte Mann große Stücke auf den Schwiegersohn gehalten. Das Bild Adelheid’s steht vor mir in Lebensgröße, vom Maler Storck in Oel gemalt, in ihrem blaßblauen Brautkleide, das dunkle Haar kunstlos und kurz in Locken um die Stirn ausgehend, das braune Auge lebhaft, die Lippen üppig, Gesicht und Gestalt lieblich, aber in Nichts ungewöhnlich; Maler Storck war kein Schmeichler.

Ein einziges Gedicht an Adelheid hat Robert Blum uns erhalten. Es ist der Braut zu ihrem neunzehnten Geburtstage (1. Mai 1838) gewidmet. Es beginnt: „Ein schöner Maitag gab Dir einst das Leben,“ und endet mit der Frühlingshoffnung des Bräutigams, der in wenig Wochen Gatte werden sollte: „Und unser Leben wird ein Maitag sein.“ Ja – ein Maitag, ein kurzer Frühlingstag, in der That! Am 21. Mai fand die Hochzeit statt. In der ersten Etage des Mey’schen Hauses wohnte das junge Paar seit der Hochzeit. Erst am 18. August konnte Blum daran denken, eine Hochzeitsreise nach Berlin anzutreten, die er mit einer Geschäftsreise verbinden konnte und die leider die Ursache zu seinem ungeahnten tiefsten Unglück werden sollte. Am 9. September 1838 schrieb er darüber an seine „liebsten Eltern“:

„Im Juli ersuchten mich unsere Verleger[1] im Interesse unseres Unternehmens und auf ihre Kosten eine Reise nach Berlin zu machen, was ich auch zusagte. Da führte mir der Zufall eine Arbeit zu, die sehr schwierig aussah, aber schnell vollendet sein mußte; ich nahm sie für vierzig Thaler an und vollendete sie in einer Woche Nachts. Dieser Verdienst, an den ich nicht dachte, den ich als gefunden betrachten mußte, veranlaßte mich, meiner Frau die große Freude zu machen, sie mitzunehmen. Heute würde ich untröstlich sein, wenn ich ihr diesen Wunsch versagt hätte. – Am 20. August reisten wir froh und munter ab“ – die Postfahrt dauerte etwa achtzehn Stunden – „und Adelheid hatte eine unendliche Freude, als sie die pompöse, riesige Stadt sah. Dienstag und Mittwoch war sie ganz wohl und heiter; Donnerstags bekam sie ein leichtes Erbrechen, was wir jedoch ihren Verhältnissen und dem Umstande zuschrieben, daß sie Vormittags ein Glas Eis gegessen hatte; auch war sie zu Mittag ganz wohl und ließ sich sogar den Champagner trefflich schmecken. Freitags war sie unwohl, hatte Kopfschmerz, Erbrechen, keinen Appetit, und da wir Abends reisen wollten, so fragten wir einen Arzt, ob es nicht besser sei, die Reise nun einen Tag zu verschieben. Dieser aber, als er hörte, daß wir von einen Gastmahl zum andern geschleppt worden waren, erklärte ihre Unpäßlichkeit für eine Magenüberladung, und hieß uns muthig reisen. So reisten wir denn Abends ab.“ (25. August.) Die Krankheit der Frau wird nach der Ankunft in Leipzig, die am Sonntag Mittag (26. August) erfolgte, immer schlimmer. Ein Arzt und außerdem Professor Braune werden gerufen. Durch energische Mittel wird das Fieber so weit gemildert, daß die Kranke sich bis Mittwoch (29. August) leidlich wohl fühlt. Gegen halb elf Uhr Nachts tritt eine Frühgeburt ein. Obwohl die Hebamme Alles für ungefährlich erklärt, schickt Blum „zum Hofrath Jörg, dem ersten Geburtshelfer Sachsens und hinsichtlich seines Ruhmes von ganz Deutschland, mit dem ich durch seinen Sohn, der mein innigster Freund ist, bekannt bin. Er erklärte, meine Frau wenigstens sehen zu wollen. Beim ersten Anblick nahm er mich bei Seite, erklärte mir, daß die Frau sehr krank sei, und ließ sich ihre Krankheitsgeschichte ganz genau erzählen, prüfte dann alle Recepte, billigte das Verfahren des Professor Braune und verschrieb vier verschiedene Arzneien. Der Hofrath blieb bis ein Uhr“ (Nachts den 30. August) „bei mir, gab selbst die erste Arznei, entließ die Hebamme, gab mir die genauesten Anweisungen und hieß mich jeden Athemzug bewachen. Als ich ihn begleitete und meine Frage wiederholte: ob die Sache lebensgefährlich werden könne? sagte er: ‚Es thut mir von Herzen leid, es Ihnen sagen zu müssen, aber es ist schon lebensgefährlich. Wenn sie ruhig bleibt, so haben wir Hoffnung; wird sie unruhig, so hat unsere Kunst ein Ende.‘ Mit welchem Gefühle ich mich nun an’s Bett setzte, könnt Ihr leicht ermessen, nie habe ich so ängstlich Secunden und Athemzüge gezählt wie die folgende Stunde. Adelheid war ganz ruhig, nahm ihre Arznei und klagte nur zuweilen mit tiefer Schmerzensstimme: ‚Ach, Robert, mir ist’s sehr schlecht.‘ Gegen halb zwei Uhr schlief sie ein; das Herz schlug weniger stark, und ein Hoffnungsblitz zuckte durch meine Seele. So dauerte es fort; die alte Mutter legte sich auf’s Sopha; ich, der ich drei Nächte nicht geschlafen hatte, fühlte mich sehr müde und legte mich um drei Uhr auf’s Bett auf Zureden der Wartefrau, der ich den Befehl gab, mich bei der geringsten Anwandlung von Unruhe, bei jedem stärkeren Athemzuge zu wecken. Ich war wohl kaum eingeschlummert, als sie mich aufrief. Adelheid war erwacht; die Herzschläge wurden wieder heftig; der Puls zeigte Fieber; sie hatte heftigen Durst und wollte nicht ruhig liegen. Jetzt kannte ich mein fürchterliches Loos, und während mir das Herz brechen wollte, mußte ich mit der scheinbar größten Ruhe für sie sorgen. Gegen vier Uhr wurde das Fieber heftiger, die Unruhe krampfhaft; der Verstand entwich, und nur ich war der leitende Faden in ihren Phantasien. Ich ließ Eltern und Brüder wecken, schickte eiligst zu allen drei Aerzten und hielt mit allen Leibeskräften

  1. Die Verleger des Theaterlexicons, Pierer.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_414.jpg&oldid=- (Version vom 5.8.2016)