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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Schlafrock nicht. Bei der Vorlesung der berühmten Scene Lusignan’s mit seinen beiden Kindern aus Voltaire’s „Zayre“ waren anstatt der Kinder ein paar alte Stühle gesetzt, zu denen er sich neigen mußte und die er auch zu umarmen hatte und gleichwohl waren Nicolai und Musäus so gerührt, daß ihnen während Eckhof’s effectvollen Lesens die hellen Thränen über die Wangen liefen. Sobald aber die Scene geendigt war, sprang Eckhof vom Stuhle auf, wie ein junger Bursche, schnalzte mit den Fingern beider Hände, warf seinen Schlafrock auf die Erde und recitirte aus dem plattdeutschen Stücke: „Der Bauer mit der Erbschaft“ eine Scene so originell drollig, daß Nicolai und seine Begleiter ein Mal über das andere laut auflachen mußten. Es war gar nichts mehr an ihm von der vorigen Würde und von der vorigen innigen Empfindung; bis auf die ausgebogenen Kniee, bis auf die heraufgezogenen Schultern, bis auf jeden Muskel des Gesichts war der Bauer da; bis auf die geringste Bewegung der Hand war Alles komisch.

Der bittere Kummer über sein langjähriges häusliches Elend hatte Eckhof’s Gesicht durchfurcht, seine körperlichen Kräfte geschwächt; er zeigte eine Art Scheu und Furchtsamkeit, wenn er sich nicht unter sehr bekannten Freunden befand. Von alle dem war aber auch nicht eine Spur zu erkennen, sobald er die Bühne betrat.

Leider sollte das Spiel der Seyler’schen Gesellschaft in Weimar nur bis zum Mai 1774 währen. Der dortige Schloßbrand vom 5. bis 6. Mai 1774 legte mit dem Schlosse auch das darin befindliche Theater in Schutt und Asche. Herzogin Amalie mußte die Seyler’sche Gesellschaft entlassen, und dieselbe wandte sich auf Rath der Gothaer Freunde Reichard und Gotter und mit Empfehlung der Herzogin Amalie nach Gotha, wo der Herzog Ernst sie freundlich aufnahm. Schon am 8. Juni eröffnete sie dort die Bühne mit Weiße’s Trauerspiel „Richard der Dritte“ und der unvergleichlich wahren und charakteristischen Darstellung der Titelrolle durch Eckhof. Auch hier war der Beifall allgemein. Im Herbst 1774 wurde von Seyler in Leipzig während der Messe gespielt, und hier war es, wo sich eine andere ergötzliche Scene zutrug, die uns Fr. Nicolai schildert. Engel (später Verfasser der „Ideen zu einer Mimik“) hatte gegen Nicolai trotz dessen Vorstellungen bezweifelt, daß Emilia Galotti je eine große Wirkung erzielen könnte, selbst durch Eckhof’s Spiel, den er noch nie auf der Bühne gesehen hatte. Er sah nun dort Lessing’s Stück und Eckhof als Odoardo. Nach Schluß der Vorstellung war eine Gesellschaft der vorzüglichsten Gelehrten Leipzigs zusammengebeten, und Eckhof dazu. Engel kam etwas spät und ging gerade auf Nicolai zu.

„Ich möchte mich todt ärgern,“ rief er, „daß Sie Recht haben! Um die Emilia ganz zu fassen, muß man Eckhof spielen sehen. Das ist ein Teufelskerl. Er hat mein ganzes Blut in Aufruhr gebracht; alle Adern sind mir geschwollen.“

Er hatte nicht gleich bemerkt, daß der bescheidene Eckhof neben ihm stand, und umarmte ihn nun herzlich, trat aber den Augenblick darauf vier Schritte zurück, maß Eckhof von oben bis unten mit den Augen und rief, beide Hände erhebend:

„Das Männchen da ist nimmermehr Odoardo; der war acht Zoll größer, stark und stämmig,“ und nun folgte eine zweite herzliche Umarmung, denn Engel war trunken vor Freude über die unbeschreiblich vortreffliche Darstellung des Odoardo. Beim Mahle äußerte Eckhof: „Die meisten Autoren schwimmen auf der Oberfläche des dramatischen Meeres, weil sie oft Luft schöpfen müssen, aber Lessing taucht tief unter, also muß ihm schon der Schauspieler nach, wenn er ihn einigermaßen erreichen will,“ und Engel unterbrach ihn: „Sie nur können das; wenn Andere es Ihnen nachmachen wollten, würden sie ersaufen wie die Ratzen.“

Von Leipzig kehrte Seyler im November 1774 mit seiner Gesellschaft nach Gotha zurück. Im nächsten Jahre entstand dort das Hoftheater, und Eckhof erhielt neben Reichard die Leitung desselben. Er führte sie mit Festigkeit, Umsicht und Strenge. Man hat seine Direktion pedantisch genannt, und wohl mag es vorgekommen sein, daß er in seinem Alter und seiner Kränklichkeit bisweilen etwas mürrisch und verdrießlich war, aber seine strenge Sorge für alle, auch die scheinbar unbedeutendsten Angelegenheiten der Bühne war nur der Ausfluß der Berufsanschauung, des Berufsernstes, wie er sie durch seine Verse „in das Stammbuch eines Theologen“ kundgab:

Freund! Du und ich wir lehren
Zwar an verschied’nen Orten,
Doch folget unsern Worten
Bei denen, die uns hören,
Nur stets erwünschter Segen, –
Was ist am Ort gelegen!?

In der That sagte man ihm nach, ihm sei alles, was auf das Theater und die Pünktlichkeit der Vorstellungen Bezug hatte, so heilig gewesen wie eine Kirche, und die Probe wie eine Sacristei. Iffland hat uns die ergötzliche Schilderung bewahrt, wie Eckhof in der Probe jungen Schauspielern mit vielen Wiederholungen lehrte, durch ein Zimmer, in welchem der König sitzt, zu gehen und ihn stumm zu begrüßen. Es erinnert dies an die Proben der „Saalnixe“, in welchen Goethe den jungen Choristinnen als Nixen das reine, wohllautende Lachen lehrte. Wahrheit war eben, wie J. J. Engel in den „Ideen zu einer Mimik“ sagt, bei Eckhof, wie sie soll, das erste, – Schönheit das untergeordnete Gesetz; er declamirte und spielte die Rollen, wie sie auch hätten dialogirt sein sollen, nicht nach einem festgesetzten allgemeinen Begriff der Gattung, sondern nach der besonderen Beschaffenheit ihres Inhalts, ohne sich je von Wahrheit und Natur zu entfernen. In demselben edeln Sinne strebte ihm ein Schüler nach, der am Gothaer Theater sich bildete, Eckhof’s bedeutendster, talentvollster Schüler: der später so berühmte Iffland.

So lebte und wirkte der alte Meister in Gotha, von Hoch und Niedrig als Künstler, als Bürger, als Mensch geschätzt und geehrt, zugleich der angesehene Stifter der Gothaer Freimaurerloge. Seine Rechtschaffenheit war so ausgemacht, so erwiesen, daß ein Geistlicher sie als die beste Widerlegung des alten Vorurtheils wider die Schauspieler anführte. Aber leider war durch die langjährigen Aufregungen und Leiden seine Gesundheit untergraben. Acht Monate vor seinem Tode spielte er noch die lebhafte, heftige Rolle des Hieronymus Billerbeck in dem Lustspiel „Geschwind, und ehe es Jemand erfährt“, und er verjüngte sich selbst in dieser Erscheinung. Das Entzücken der Zuhörer unterbrach ihn oft überlaut, aber die Brustschmerzen, die er den ganzen Abend mit Jünglingskraft unterdrückt hatte, drohten ihn am Schluß der Vorstellung zu überwältigen.

Noch aber fiel in die Zeit seines Alters und seiner Kränklichkeit ein heller Sonnenblick. Unter den englischen Schauspielen hatte Cumberland’s „Westindier“ in der Bode’schen Uebersetzung auf den deutschen Bühnen besonderes Glück gemacht. Auch der junge Goethe in Weimar wünschte dieses Drama dort auf dem fürstlichen Liebhabertheater aufzuführen, und Eckhof wurde eingeladen, als Gast die Rolle des Stockwell zu übernehmen. Er kam denn auch am 7. Januar 1778 nach Weimar. Am 11. Januar war er Goethe’s Tischgast in dessen Gartenhaus am Parke. Dort saßen sie beisammen, der geniale Schöpfer deutscher Bühnenkunst und der geniale dramatische Dichter. Eckhof erzählte ihm (wie sich Goethe in das Tagebuch bemerkte) die Geschichte seines Lebens, und dem alten Weine, welchen die gute Frau Rath in Frankfurt ihrem geliebten Wolfgang gesandt hatte, wurde weidlich zugesprochen. „Der Herr Geheime Legations-Rath“ – schrieb am 14. Januar Philipp Seidel, der vertraute Schreiber und Diener Goethe’s, an Frau Rath Goethe – „ersucht die Frau Räthin, ihm doch auf’s Frühjahr wieder einige Bouteillen oder Krüge ganz alten Wein in seinen Keller zu schaffen. Er hat am Sonntag den alten Eckhof zu Gaste gehabt und mit dem alten Weine regalirt, und da hat sich gefunden, daß er bis auf einige Schoppen zu Ende ist.“ Am 13. Januar wurde der „Westindier“ gespielt, mit Goethe als Belcour, Eckhof als Stockwell, Herzog Karl August als O’Flaherty, Prinz Constantin als Karl etc., und Philipp Seidel konnte nach Frankfurt berichten: „Alle sind vortrefflich (darf man sagen) gespielt worden. Der Herr Geheime Legations-Rath in einem weißen Frack, blauseidener Weste und Beinkleide (NB. von dem Futter des weißen Kleides mit silbernen Knöpfen) mit falschen silbernen Tressen und hübsch roth geschminkt, sah so schmuck aus und flink, daß die bloße Figur die Rolle schon spielte. Der alte Eckhof war eben der Vater des schönen Belcour, und der Herzog war Major O’Flaherty.“ Am Abend zog Karl August den großen Künstler mit dem Freunde Goethe an seine Tafel.

Dies war aber auch der letzte Sonnenblick in Eckhof’s Leben. Seine Schwäche nahm immer mehr zu und bemeisterte sich sogar einige Zeit seines Geistes. Seine letzte Rolle war am

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_393.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)