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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Schlage. Größere Klarheit tritt ein; die Umrisse werden deutlicher, wir erkennen die Kämme und einzelne Haare, wenn auch noch manche Partien in dichtem Nebel zu liegen scheinen. Wie kann Wasser hier im Kleinen so große Dinge thun? Es ist bekannt, daß ein zur Hälfte schräg in Wasser getauchter Stab gebrochen erscheint, da die aus dem Wasser in’s Auge dringenden Lichtstrahlen stärker abgelenkt sind, als die, welche nur die Luft zu passiren haben. Wird der Stab ganz untergetaucht, so erscheint er wieder in seiner früheren Gestalt, gerade und unverzerrt. Etwas Analoges findet bei dem Spinnenfuß statt, dessen innere Theile feucht sind und das Licht stärker brechen als die Luft, welche ihn umgiebt, wodurch Verzeichnungen des Bildes entstehen, zu denen sich noch Spiegelungen von anhängender Feuchtigkeit und optische Täuschungen anderer Art gesellen. Sobald aber das Object von dem Wasser umgeben und durchdrungen ist, hören diese Mißverhältnisse auf, weil das Lichtbrechungs-Vermögen des Objectes und der umgebenden Flüssigkeit nahezu dasselbe ist.

Jetzt beginnt eine mühsame Arbeit. Trotz der Vervollkommnung des Mikroskopes geht diesem die Fähigkeit des menschlichen Auges ab, in die Tiefe zu sehen, nur die Theile eines Gegenstandes, welche in einer Ebene, im genau berechneten Abstande vom Vergrößerungsglase liegen, können scharf und deutlich wahrgenommen werden, und somit ist das Plattdrücken des Spinnenfußes geboten wenn ein übersichtliches Bild erhalten werden soll. Vor dieser Operation müssen jedoch die inneren Weichtheile entfernt werden, weil dieselben ein Zerplatzen des Fußes bei starkem Drucke zur Folge haben würden, und nun muß die Chemie herbei, welche auch hier, wie in so vielen anderen Fällen, Rath zu schaffen weiß. Die Haut der Insecten besteht aus einem eigenthümlichen Stoffe, den die Chemiker nach dem Chiton, dem Unterkleid der Griechen, Chitin benannt haben; eine seiner hervorragenden Eigenschaften ist die, der Einwirkung ätzender Alkalien zu widerstehen während dieselben Muskelsubstanz, Knorpel und Fette angreifen. Gelindes Kochen des Spinnenfußes in verdünnter Kalilauge – als Kessel dient eins der vorhin erwähnten Porcellanschälchen – löst die Weichtheile auf, sodaß nur die Chitinhaut zurückbleibt, wohlerhalten und unzerstört, einem Handschuh vergleichbar, der, was das einstige Passen anbelangte, das beste Pariser Fabrikat in den Schatten stellt.

Fuß der Smaragdspinne.
Nach der Natur in hundertfacher linearer Vergrößerung photographirt.

Mittelst einer breiten Nadel wird hierauf der Spinnenfuß aus der Lauge genommen, in destillirtes Wasser gebracht und, um die letzten Spuren von Kali zu entfernen, wiederholt ausgekocht. Wenn das geschehen ist, erfolgt seine Einbalsamirung, seine Einschließung in das dickflüssige Harz aus der canadischen Balsamtanne, welches an der Luft verhärtet, ohne seine Durchsichtigkeit zu verlieren. Da sich jedoch Wasser und Canadabalsam nicht mischen und völliges Austrocknen in der Wärme das Object brüchig machen würde, so muß ein Umweg eingeschlagen werden, der darin besteht, daß der Spinnenfuß erst in absolutem Alkohol, der ihm das Wasser entzieht, und von diesem in Terpentinöl gebracht wird; dieses verdrängt wiederum den Alkohol, welcher ebenfalls sich nicht mit dem Harz der Balsamtanne vereinigt. Terpentinöl und Balsam aber mischen sich ohne Trübung in jedem Verhältnisse. Vorsichtig legt dann der Präparator den Spinnenfuß auf eine längliche Platte von sauber gereinigtem Spiegelglas, breitet ihn mit Hülfe einer spitzen Nadel oder einer mit einem Heft versehenen Schweinsborste sorgfältig aus einander und tröpfelt einen Tropfen Canadabalsam darauf. Aus den Balsamtropfen wird eine kleine viereckige oder runde Scheibe von Deckglas gelegt, dessen Dicke die des Papieres nicht übertrifft; es erfolgt gelindes Erwärmen über einer kleinen Flamme, um den Balsam dünnflüssig zu machen; ein sanfter Druck bringt die einzelnen Theile des Fußes so viel wie möglich in eine Ebene, und die Toilette für das Mikroskop ist vollendet.

Wie das Schneewittchen des Märchens, einbalsamirt wie ein ägyptischer Pharao, ruht nun der Spinnenfuß in seinem Sarge, ein sogenanntes mikroskopisches Präparat.

So mannigfacher Natur die Gegenstände sind, welche der mikroskopischen Betrachtung unterworfen werden, ebenso wechselnder Art ist ihre Präparation, auf die einzugehen es uns hier an Raum gebricht. Wir wollten nur an einem einzigen Object die Mühewaltung zeigen, welche erfordert wird, ehe ein Gegenstand für die Beobachtung mit dem Mikroskop geeignet ist, und dadurch auf jene ungesehene Arbeit in den Gelehrtenstuben und wissenschaftlichen Anstalten hindeuten, von der das große Gedränge auf dem Markte des täglichen Lebens nur dann Notiz nimmt, wenn ein außergewöhnlicher praktischer Erfolg dieselbe krönt, die jedoch dem Freunde des Wissens und der Forschung zu jeder Zeit Achtung abnöthigt.

Julius Stinde.


Berliner Bilder.
1. Die Kugelsucher bei Tegel.
Von W. Mannstädt.

„Halt, zurück! Hier darf Niemand passiren.“

„Dies ist aber doch eine öffentliche Fahrstraße?“

„Heute nicht. Wir haben Schießübung.“

Ich hatte allerdings seit geraumer Zeit das Donnern der Geschütze und dann auch immer deutlicher das Geschwirre der mächtigen Geschosse gehört; in diesem Augenblicke aber erklang es in nächster Nähe mit einem Geräusche, ähnlich als ob etwa tausend Völker Rebhühner aufflögen. Ich glaubte sogar die Einwirkung des Luftdruckes zu spüren. Das war eine eindringlichere Sprache, als der kräftige Haltruf des königlich preußischen Artilleristen, der als Wachtposten aufgestellt war, um leichtsinnige Wanderer von dem Betreten der gefährlichen Bahn abzuhalten.

Noch überlegte ich, ob ich mich „rückwärts concentriren“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_379.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)