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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

In der That bedurfte es eines so festen Glaubens an das Walten der sittlichen Mächte und solcher Bedürfnißlosigkeit, wie Robert Blum sie gewöhnt war, um auch in jenen bösen Tagen den Kopf oben zu behalten, als Ringelhardt Anfang Juni 1831 gezwungen war, plötzlich „aus Geschäftsrücksichten“, das heißt mit Rücksicht auf die Geschäftslosigkeit, die Bretter, die die Welt bedeuten, in Köln abzubrechen und Robert Blum zu entlassen. In dieser traurigen Lage griff dieser nach dem ersten Erwerb, der sich ihm bot – er wurde Schreiber beim Gerichtsvollzieher Kümpeler und bezog in dieser Stellung einen Monatsgehalt von – sechs Thalern! Davon war Alles zu bestreiten. Glücklicher Weise dauerte diese harte Prüfung nur bis zum 15. September. Da engagirte ihn Ringelhardt von Neuem für den frühern Gehalt.

Eine erhebliche Förderung verdankte Robert Blum diesem Dienstverhältnisse durch die bereits erwähnte freie Verfügung über die Theaterbibliothek des Directors. Bereits im Winter 1830 auf 1831 wurde der größte Theil der hier vorräthigen dramatischen Werke geradezu verschlungen, später mit Muße das Beste – vor Allem wurden Schiller, Goethe, Lessing, Shakespeare und was an antiken Dramen da war, wieder und wieder gelesen, halb auswendig gelernt. Mit Schiller vor Allen gewann Blum die größte Vertrautheit. Aber auch Goethe lernte er mehr und mehr schätzen. Als der deutsche Dichterfürst starb, schrieb Blum ein tiefempfundenes „Sonett auf Goethe’s Tod“ in seine Gedichtsammlung. Daneben regten die dramatischen Novitäten des Tages den kritischen Theaterdiener an, sein Urtheil über dieselben in kurzen scharfen Distichen auszusprechen. Viele dieser Urtheile über Stücke, die heute noch auf dem Repertoire stehen, sind noch jetzt recht interessant. Ueberhaupt nehmen auch Humor und Satire in Blum’s Dichtungen einen ansehnlichen Rang ein. Wir werden später einige Proben davon kennen lernen.

Für jetzt aber drängte die Begeisterung zu dramatischem Schaffen, die er dem eingehenden Studium der Ringelhardt’schen Theaterbibliothek dankte, jede andere Dichtung zurück; glaubte er sich doch zum Theaterdichter ganz besonders vorbereitet durch die tiefen Blicke, die er als Theaterdiener hinter die Coulissen, in die Mache der Bühnentechnik gethan zu haben meinte. Pilzartig schossen die Lust-, Schau- und Trauerspiele unter seiner Feder in’s Kraut. Die wenigen „Literaten“, die ihn ihrer Freundschaft würdigten, Dr. Rave, Köhler, der Schauspieler Porth, der mit ihm viele Jahre später noch von Dresden aus treu correspondirte, natürlich auch Ringelhardt selbst, wurden von ihm unablässig mit der unheilverkündenden Bitte heimgesucht, wieder ein neues Drama von ihm zu lesen. Diejenigen, welche diese Freundschaftsprobe bestanden, sind ihm für’s Leben treu geblieben. Sie haben ihm auch als gute Freunde offen und stets von Neuem erklärt, daß seine Dramen nichts taugten. Er soll eine ungemessene Zahl seiner dramatischen Schöpfungen in’s Feuer geworfen haben, nachdem ihnen so das Todesurtheil gesprochen worden. Wären doch alle unberufenen dramatischen Dichter so reich an Selbsterkenntniß!

Von allen seinen Bühnen-Schöpfungen ist nur eine einzige gedruckt worden, aber auch diese ist Buchdrama geblieben und niemals aufgeführt worden – „Die Befreiung von Candia“ (Leipzig, C. H. F. Hartmann, 1836). Das Stück behandelt eine Episode des griechischen Befreiungskampfes der zwanziger Jahre (1822) und ist geschrieben in der pathetischen Rhetorik der großen französischen Revolution und voll von beziehungsreichen Anspielungen auf das damalige Deutschland; im Munde freiheitsdürstender Neugriechen konnte diese der Censor nicht gut streichen.

Um dieses stille Schaffen im Zusammenhang darzustellen, sind wir dem Gange der Lebensschicksale Blum’s um Jahre vorangeeilt. Denn die letzten dieser Dichtungen sind schon auf Leipziger Boden erwachsen.

Nach Leipzig war Ringelhardt mit dem Ende der Kölner Wintersaison von 1831 auf 1832 gezogen und hatte hier das Stadttheater übernommen. Blum sollte Mitte Juli als Theaterdiener folgen. Da wurden dem jungen Manne gleichzeitig zwei lohnendere Stellen angeboten: die eine in der Redaction einer Kölnischen Zeitung, die andere als Theater-Secretär bei einer wandernden Truppe der Rheinprovinz. Beide Angebote meldete er Ringelhardt nach Leipzig, und dieser antwortete am 24. Mai von Ostrau: „In Bezug einer Anstellung für Sie in Leipzig kann ich Ihnen vorläufig Folgendes berichten: ... ich will Ihnen einen monatlichen Gehalt von fünfzehn Thaler zahlen, mit der Zusicherung, daß, wenn Sie sich in die Geschäfte eingearbeitet haben, ich die 200 Thaler“ (pro Jahr) „voll machen will. Sie arbeiten dafür alle Schreibereien im Bureau, die ich Ihnen übertrage, sei es das Schreiben von Briefen, seien es Copialien oder Rechnungen oder das Ausschreiben von Rollen (!). Sie übernehmen ferner (!) die Geschäfte bei der Casse und Controlle, die Ihnen übertragen werden, sowie andere Arbeiten des Theaters, die in das Fach einschlagen.“ Blum sagte zu. Darauf lief, nach einer längeren Abwesenheit Ringelhardt’s in Wien, von diesem ein zweiter Brief vom 25. Juni ein, in dem es hieß: „Ihr Engagement können Sie am 15. July hier antreten, weil ich mit Ihnen alle Casseneinrichtungen vorbereiten will und die Billets einrichten, sowie Bibliothek und Musikalien, die ich unter Ihre Aufsicht stelle. Demnach werden Sie Theatersecretär, Bibliothekar und Cassenassistent (!), das ist die Stellung, die ich Ihnen gebe. ... Sagen Sie dem Friseur Deveney, den ich bestens grüße, er solle Ihnen das Recept von dem Spiritus zur Stärkung der Haare geben, und bringen Sie mir es mit!“ Die weiteren Anordnungen des Briefes, welcher unter Anderem versicherte: „Sie können mit Vertrauen zu mir kommen, auch finden Sie hier ein anderes Treiben und Leben als in Köln“, waren der mit Rücksicht auf die Cholera zu wählenden Reiseroute gewidmet, damit Blum unterwegs nicht etwa „Contumaz“ halten müsse.

Ob das heißbegehrte Recept zur Stärkung der Haare mitgenommen worden ist, weiß ich nicht. Jedenfalls konnte Blum erst am 20. Juli nach Leipzig reisen.

Er eilte der Stadt entgegen, die ihm mehr als die eigene Vaterstadt zur Heimath werden sollte, zur Stätte seines Glückes, seines vielseitigsten Wirkens, zur Wiege seines Ruhmes, der weit über die Grenzen seines Vaterlandes und seiner Zeit hinausdringen sollte.

Leipzig war, als Robert Blum hierher übersiedelte, eine Stadt von wenig über vierzigtausend Einwohner, die sich hauptsächlich in der inneren Stadt zusammendrängten. Die politische Entwickelung dieser Bevölkerung lag noch sehr in den Windeln. Die große Leipziger Revolution vom 2. September 1830 war in der Hauptsache das Werk von Schneidern und Studiosen gewesen und hatte die Kraft ihrer Sturmeswogen nur an einigen Fenstern und Mobilien offenbart. Selbst die Kaufmannschaft, das hervorragendste Element der Bürgerschaft, widerstrebte unklar und pessimistisch der wirthschaftlichen Hauptaufgabe der Zeit: dem Anschluß Sachsens an den Zollverein. Von ihr ging der Angstruf aus, der sich zum Glaubenssatze des Leipzigers jener Tage ausgebildet hatte: daß Leipzigs Blüthe dahin sei, und daß mit dem Anschluß an den Zollverein der ganze Leipziger Handel einpacken müsse. Doch war die neue Verfassung des Landes, welche noch kein Jahr alt war, als die Weissagung einer neuen besseren Zeit auch in Leipzig begrüßt worden.

Und übrigens: wie eigenartig, vielseitig und vielversprechend für die Zukunft pulsirte das geistige Leben in dieser deutschen Mittelstadt! Wohl kaum ein Schriftsteller der damaligen Zeit hatte nicht Verlagsbeziehungen zu Leipzig; fast Jeder von ihnen ist irgend einmal vorübergehend oder für längere Zeit nach Leipzig geführt worden. Nicht die unbedeutendsten hatten in Leipzig dauernd ihre Heimath gewählt. Sie Alle lernte Blum allmählich kennen. Weithin glänzte schon damals der klare Stern der Leipziger Hochschule. Mit dem Verfassungsbruche in Hannover ward auch der bedeutende Germanist Albrecht der Universität dauernd gewonnen. In der Musik braucht man nur an Namen wie Mendelssohn, Robert Schumann, Rietz zu erinnern. Das Theater, von jeher ein Liebling des Leipziger Publicums in Freud und Leid, in Fried und Streit, hatte von 1817 bis 1828 unter Küstner’s Leitung gestanden; 1829 sollte

es unter königlicher Aegide neu organisirt werden. Unter Ringelhardt (1832) und noch mehr unter Schmidt wurde es zu einer Pflanzstätte der reinsten künstlerischen Bestrebungen und der edelsten Darstellungskunst. Kaum ein berühmter Schauspieler, der hier nicht längere Zeit wirkte! In rascher und freudiger Sinnesänderung hat endlich auch die rege, gesunde Stadt von den Freiheiten, welche Verfassung, Städteordnung, Zollverein boten, kräftig Besitz ergriffen. Am Ausgange der dreißiger Jahre schon regt sich Handel und Industrie der Stadt nicht minder hoffnungsvoll wie politischer und communaler Freisinn.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_377.jpg&oldid=- (Version vom 5.8.2016)