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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


„Ein junger Arzt, der sich seit einigen Wochen hier aufhält. Max Brunnow ist sein Name. Sein Vater lebt in der Schweiz, wohin er wegen Betheiligung an der Revolution flüchten mußte.“

Der Polizeidirector warf diese Worte ruhig und scheinbar absichtslos hin, aber sein Auge ruhte dabei forschend auf den Zügen des Freiherrn; er allein sah das fast unmerkliche Erbleichen darin und hörte die Erregung in der Frage: „Ist der junge Mann schwer verwundet?“

„Ich fürchte es, vielleicht sogar tödtlich. Er liegt besinnungslos da, der Steinwurf hat ihn gerade am Kopfe getroffen.“

„Es wird Alles zur Pflege der Verwundeten geschehen. Ich werde selbst –“ der Freiherr that einen Schritt nach der Thür hin, besann sich aber und blieb stehen. Der befremdete Blick des Bürgermeisters und der scharf beobachtende des Polizeidirectors mochten ihn wohl daran erinnern, daß diese Theilnahme in zu grellem Gegensatze zu der Gleichgültigkeit stand, die er soeben erst gegen fremdes Leben gezeigt. „Ich werde selbst dem Haushofmeister die nöthigen Weisungen geben,“ fügte er langsamer hinzu und legte die Hand an die Klingel.

„Der Haushofmeister trifft bereits mit großer Umsicht alle Anstalten,“ erklärte der Polizeichef. „Es ist nicht nöthig, daß Sie sich selbst bemühen, Excellenz.“

Der Freiherr schwieg und trat an das Fenster. War es eine Warnung, die ihm gerade in diesem Augenblicke den Namen des Jugendfreundes in das Gedächtniß rief, eine Erinnerung daran, daß Arno Raven auch einst zu jenen „Empörern“ gehörte, die der Gouverneur Freiherr von Raven niederschießen lassen wollte – es war eine lange verhängnißvolle Pause, welche die nächsten Minuten ausfüllte.

„Ich kehre nach der Stadt zurück,“ brach der Bürgermeister endlich das Schweigen. „Soll ich wirklich jene Worte als letzten Entschluß Euer Excellenz mit mir nehmen?“

Der Freiherr wandte sich um. Es lag etwas wie innerer Kampf in seinen Zügen, als er erwiderte: „Oberst Wilten hat das Commando in der Stadt. Ich kann in seine Maßregeln nicht eingreifen; die militärischen Dispositionen sind seine Sache.“

„Der Oberst handelt auf Ihre Weisung. Ein Wort von Ihnen, und er enthält sich wenigstens des directen Eingreifens. Sprechen Sie dieses Wort aus! Wir warten Alle darauf.“

Wieder vergingen einige Secunden. Die Stirn des Gouverneurs zog sich in finstere Falten; plötzlich richtete er sich empor und rief den jungen Officier an seine Seite.

„Herr Lieutenant Wilten, können Sie Ihren Posten hier im Schlosse auf eine Viertelstunde verlassen? Ich möchte Sie ersuchen, Ihrem Vater selbst –“

Er hielt inne und horchte auf. Von der Stadt her klang es herüber, entfernt zwar, aber mit furchtbarer Deutlichkeit, ein nicht mißzuverstehender Laut – das Knattern von Gewehren.

„Mein Gott – das sind Schüsse,“ rief Hofrath Moser aufschreckend, während der Bürgermeister und der Polizeidirector zum Fenster eilten. Die Dunkelheit erlaubte freilich nicht, irgend etwas zu sehen, aber dessen bedurfte es auch nicht mehr. Es krachte zum zweiten, zum dritten Male – dann war alles still.

„Die Botschaft würde nichts mehr nützen,“ sagte der junge Officier leise zu dem Freiherrn. „Man schießt bereits.“

Raven erwiderte keine Silbe; er stand unbeweglich da, die Hand auf den Tisch gestützt, das Auge nach dem Fenster gerichtet; erst als die anderen Beiden von dort zurückkehrten, wandte er sich zum Bürgermeister:

„Sie sehen, es ist zu spät. Ich kann nicht mehr eingreifen, selbst wenn ich wollte.“

„Ich sehe es,“ sagte der Angeredete mit schneidender Bitterkeit. „Sie haben jetzt das Blut zwischen sich und uns gestellt, und da ist jedes fernere Wort überflüssig. Ich habe nichts mehr zu sagen.“

(Fortsetzung folgt.)




Aus Robert Blum’s Leben.
5. Erste Schritte in die Oeffentlichtkeit.

In tiefster Kümmerniß verlebte Robert Blum jene schwülen Julitage des Jahres 1830, welche für die geistige Bewegung von ganz Europa im Laufe der folgenden achtzehn Jahre tonangebend werden sollten. Während der Thron der Bourbonen zusammenstürzte und das Triumphlied des siegreichen Bürgerthums in allen Landen ein frohes Echo weckte, weil hier zum ersten Male seit fünfzehn Jahren die geistlose Metternich’sche Politik des absoluten Stillstandes, die den Continent beherrschte, eine furchtbare Niederlage erlitt, sahen wir Robert Blum mit seinem harten Brodherrn um die körperlichsten Bedürfnisse des Lebens kämpfen; die Jubelwochen des Bürgerkönigthums fanden Robert auf einer mühsamen Fußreise von Berlin nach Köln begriffen, hier brodlos. Aus purer Barmherzigkeit warf J. W. Schmitz dem jungen Manne, dem er in seinem Dienstzeugnisse nachrühmte, daß er „fleißig und willig zu jeder Arbeit sei, und daß seine erprobte Treue, Gehorsam, bescheidenes und gesittetes Betragen das ausgezeichnetste Lob und Empfehlung verdienen“, vier Thaler zu. Das war aber auch Alles, was Robert vom 22. August bis 1. October 1830 einnahm. Und an diesem Tage trat er mit einem Monatsgehalt von acht Thalern (vom December ab von zehn Thalern) und fünf Thalern Neujahrsgeschenk in die Dienste des Schauspieldirectors Ringelhardt als Theaterdiener.

Man sollte kaum für möglich halten, daß ein Mann in solcher Lage, so schwer gefesselt an die niedersten Erdensorgen, so tief gestellt in der menschlichen Gesellschaft, den sittlichen Muth und die kühne Schwungkraft besessen hätte, in den wenigen Stunden seiner Muße rein geistig, ja dichterisch zu schaffen, und allen Wandlungen der großen Zeitgeschichte mit gespanntestem Interesse zu folgen. Und doch hat Robert Blum dies gethan. Um die Charakterstärke völlig zu würdigen, die dazu gehörte, einen so tiefen Gegensatz zwischen der Wirklichkeit und der Welt des Dichters zu überwinden, muß man die traurige Wirklichkeit, in der Robert Blum damals lebte, die Niedrigkeit und Widerwärtigkeit der Dienste, aus denen er seinen Lebensunterhalt gewann, etwas näher in’s Auge fassen. Mit jenem unverwüstlichen Humor, der dem Manne in allen Lagen des Lebens treu geblieben ist, hat er selbst später seine damaligen Leistungen für die Kölner Schaubühne also geschildert: er mußte als Theaterdiener alle Bestellungen des Directors und der Schauspieler besorgen - sie enthielten nicht immer Liebenswürdigkeiten - Rollen, Geld austragen, Vorstellungen und Proben ansagen und dabei alle Anmaßungen und Plackereien der „Künstler“ ruhig und lammfromm hinnehmen. Er mußte, „dem überstolzen Schauspieler die Grobheiten des Directors“ - möglicherweise, schalten wir ein, auch der Frau Directorin, denn Madame Ringelhardt war eine sehr energische und geschäftseifrige Dame - „dem zweiten Liebhaber die Ungezogenheiten des dritten Bösewichts hinterbringen, bald der Primadonna den Hund bewachen, bald einer anderen Dame einen anderen Dienst besorgen.“ Zudem behandelte und benutzte ihn Ringelhardt, zwar ohne jede herrische und verletzende Form, doch nur als Theaterdiener, das heißt als einen der untersten Angestellten seiner Bühne.

Dem stolzen Gefühl, Berather und Mitarbeiter des Chefs zu sein, das Blum in den letzten Jahren seiner Stellung bei Schmitz hegen durfte, war hier schlechthin zu entsagen. Der üble Geschäftsgang in Köln hat zudem den Director jedenfalls nicht mit der rosigsten Laune erfüllt. Gleichwohl hat Blum auch diesem Brodherrn mit größter Treue und Dankbarkeit gelohnt. Ohne ein Wort vorher zu verrathen, schrieb Blum anonym gegen Ende des Jahres 1830 in einem der gelesensten Kölner Blätter mehrere Zeitungsartikel unter der Ueberschrift „Ein Wort zu seiner Zeit“, in welchen er den schweren Druck, der aus dem Theaterunternehmen durch die enorme Armenabgabe von einem Zehntel jeder Brutto-Einnahme, die fast unerschwingliche Miethe von zwanzig Thalern pro Abend, die vielen Freibillets etc. lastete, mit warmen Worten und größter Sachkenntniß darlegte. Als Ringelhardt erfuhr, aus welcher Feder diese tapfere Vertheidigung seiner Interessen geflossen war, hat er seinem Theaterdiener alles Liebe und Gute gethan, was er konnte, vor Allem ihm die Theaterbibliothek zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_374.jpg&oldid=- (Version vom 5.8.2016)