Seite:Die Gartenlaube (1878) 345.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Grundlage der Gegenseitigkeit. Noch kein einziges deutsches Institut existirte, welches bei der Ungewißheit der Dauer des menschlichen Lebens dem für die Seinigen besorgten Familienvater es möglich machte, seiner Familie ein gewisses Vermögen zu hinterlassen. Nur englische Versicherungsanstalten bestanden mit ihren blos auf großen Geldgewinn angelegten Tarifen. Wie, wenn auch dies englische Monopol lahm gelegt wurde? Am Abende des Tages, da ihm von den drei leitenden Beamten der Feuerversicherungsbank zum Zeichen der Dankbarkeit und Verehrung ein silberner Pokal überreicht worden war, im September 1823, verfaßte er eine Denkschrift, in welcher er die schon längere Zeit durchdachte Idee der Gründung einer deutschen Lebensversicherungsanstalt zu erörtern und die ihm selbst dagegen gekommenen Bedenken „zu besiegen“ suchte.

Aber auch äußere Anlässe fehlten für ihn nicht, der Sache näher zu treten. In der „Gartenlaube“ Jahrgang 1865, S. 12 ff., 123 ff., 152 ff. hat in dem Artikel „Das Werk eines deutschen BürgersLudwig Walesrode eine lebhafte und ausführliche Schilderung der damaligen seltsamen Vorkommnisse gegeben: der kostspieligen Tollheiten des Herzogs August von Gotha, der Schulden desselben bei den Bürgern Gotha’s und der Insolvenz seines Nachlasses – hat unseren Lesern berichtet, wie sodann Herzog Friedrich der Vierte von seinen „Unterthanen“ in englische Lebensversicherungen eingekauft wurde, und den nach des geistesschwachen Herzogs Tode entstandenen deutsch-englischen Lebensversicherungsproceß mit englischem Gerichtshofe in Gotha, schamlosen Zeugenaussagen und riesigen englischen Proceßkosten erzählt. An jenem Rechtshandel mit dem für die deutschen Interessenten so kläglichen Ausgange war auch Arnoldi betheiligt. Mußte nicht jener unerhörte Scandal, welcher es den deutschen Klägern unmöglich machte, zu Anerkennung ihres guten Rechtes zu gelangen, einen genialen, thatkräftigen Mann wie Arnoldi zu neuem Nachdenken darüber veranlassen, wie der Alleinherrschaft so wenig vertrauenswürdiger englischer Versicherungsgesellschaften auch auf diesem Gebiete in Deutschland ein Ziel zu setzen sei? Hierzu kam nun endlich noch eine unmittelbare öffentliche Aufforderung von befreundeter Seite. Im Frühlinge 1827 gab der Obermedicinalrath Dr. L. F. von Froriep zu Weimar, der verdiente medicinische Schriftsteller und Lehrer, in dem von ihm geleiteten, von seinem Schwiegervater Bertuch gegründeten Landesindustriecomptoir in Weimar die „Vergleichende Darstellung der verschiedenen Lebensassecuranzgesellschaften“ des englischen Mathematikers Babbage in deutscher Uebersetzung heraus und widmete diese Schrift „dem durch Errichtung der großen wechselseitigen Feuerversicherungsanstalt in Deutschland hochverdienten Herrn Wilhelm Ernst Arnoldi zu Gotha, mit dem Wunsche, daß derselbe sich auch für Einführung einer Lebensassecuranzgesellschaft auf dem Grundsatze der Wechselseitigkeit in Deutschland mit Erfolg interessiren möge“.

Diese Mahnung verfehlte ihren Zweck nicht. Unter dem 12. Mai 1827 sprach Arnoldi durch einen Brief an Froriep seine Freude, seinen Dank aus. „Seit drei Jahren,“ bemerkte er hierbei, „beschäftigt mich der Gedanke, meinem deutschen Vaterlande eine Lebensversicherungsbank zu verschaffen oder zu erschaffen, wie ich ihm eine Feuerversicherungsbank begründet habe, desgleichen keine zweite auf Erden ist.“ Er stellte die Vorlegung seines Planes in nächste Aussicht, bemerkte aber schon jetzt: „Diese Sache läßt sich nicht vom deutschen Handelsstande umgrenzen, sie nimmt alle Stände in Anspruch.“

Wohl waren hier die Schwierigkeiten viel bedeutender, als bei der Feuerversicherung, und leider nahm unter ihnen die in vielen Kreisen des Volkes gegen das neue Project herrschende Gleichgültigkeit eine der ersten Stellen ein; es fehlte überdies für dieses an jedem Vorbilde. Aber welche Schwierigkeit wäre für Arnoldi’s Finanzgenie und Thatkraft unüberwindlich gewesen, wo es wie hier ein Unternehmen deutschen Gemeingeistes Sicherung des Wohlstandes von tausend und abertausend Familien galt? Mit Feuereifer, in edelster, reinster, selbstlosester Absicht ging er an das Hauptwerk seines Lebens, unter Beihülfe von C. A. Becker und im Bunde mit von Froriep und Johann[WS 1] Bartholomäus Trommsdorf zu Erfurt. Am 9. Juli 1827, erfolgte die landesfürstliche Genehmigung des Planes, und nachdem, als das Ergebniß sorglicher Berathungen des provisorischen Ausschusses, die Verfassung festgestellt worden war, wurde die Lebensversicherungsbank in Gotha mit 846 Policen für 813 Personen und 1,452,100 Thalern Versicherungssumme am 1. Januar 1829 eröffnet. Arnoldi war ihr erster Director und blieb es bis an seinen Tod. In welchem Geiste er diese neue, ebenfalls auf Gegenseitigkeit und Oeffentlichkeit basirte Versicherungsbank begründet, erhellt aus dem charakteristischen Inhalt des ersten von ihm an die Agenten gerichteten Circulars vom 18. December 1827. „Es gilt hier keineswegs,“ sagt er ausdrücklich, „eigennützigen Unternehmern Vorschub zu leisten. Das Augenmerk der Beförderer des Unternehmens kann kein anderes sein, als für eine philanthropische Nationalanstalt mit Erfolg zu wirken, die als Eigenthum Aller, welche zum Besten der Ihrigen sich derselben anschließen werden, auch Allen ohne Ausnahme in einem und demselben Sinne zum Nutzen gereichen wird. Diese Betrachtungen sind es hauptsächlich, welche die Gründer der Bank begeistern. Stark durch gemeinschaftliches verständiges Streben für einen guten Zweck und durch gegenseitige Unterstützung, werden die Deutschen, mit Hülfe dieser ihnen ganz eigenthümlichen Anstalt, leicht jene Schätze überbieten, womit ganz vorzüglich die Lebensversicherungsanstalten der Engländer imponiren; unserer Anstalt wird die hier sich offenbarende Gesinnung mehr Licht verleihen, als jene Schätze, ständen sie ihr zu Gebote, ihr verleihen könnten, und unsere Zeit, überhaupt durch einen für wahre Menschenliebe empfänglichen Geist ausgezeichnet, wird durch Gründung der Lebensversicherungsbank sich ein bleibendes Verdienst um alle Zeiten erwerben.“

Sie hat sich dasselbe erworben, vor Allem aber Arnoldi, welcher sie Tausenden von Familien zum Segen geschaffen hat. Und er, ihr Begründer, freute sich dessen von Herzen.

Mit voller innerer Befriedigung konnte er im Alter auf sein Leben und auf die segensreichen Resultate seiner blühenden Schöpfungen hinblicken. Im Jahre 1840, seinem vorletzten Lebensjahre, war bei der Feuerversicherungsbank die Versicherungssumme auf 784,456,101 Mark angewachsen, mit 2,837,817 Mark Prämieneinnahme, wovon nicht weniger als 1,754,034 Mark, also 63 Procent, den Versicherten als Ueberschuß zurückgewährt wurden; die Lebensversicherungsbank war in demselben Jahre auf 10,570 Versicherungen mit 51,850,500 Mark Versicherungssumme angewachsen.

Im folgenden Jahre, am 27. Mai 1841, wurde Arnoldi aus der Fülle seiner Thätigkeit, aus seiner regen, dem Gemeinwohl gewidmeten Arbeit durch den Tod abgerufen. Groß und allgemein war die Trauer um den Dahingeschiedenen und ließ schon wenige Tage nach seinem Tode einen Verein zur Stiftung eines Ehrengedächtnisses zusammentreten, welches denn auch in Form eines mit Arnoldi’s Bild gezierten Denkmals zwei Jahre später auf dem gegenwärtig seinen Namen tragenden Platz am Eingang der Stadt Gotha errichtet worden ist.

Das größte und herrlichste Denkmal hat er sich selbst in den von ihm in das Leben gerufenen segensreichen Instituten gesetzt. Noch blüht die Handelsschule, welche vor zehn Jahren ihr fünfzigjähriges Jubiläum gefeiert hat. Es blühen, in stetem Fortschritt erweitert und verstärkt, die beiden Versicherungsbanken. Der großen Concurrenz ungeachtet und obgleich sie beim Hamburger Brande 1842 selbst eine schwere Feuerprobe zu bestehen hatte, weist die Feuerversicherungsbank (mit 14 Generalagenturen und etwa 950 Agenturen) jetzt 2,684,164,000, also fast 3 Milliarden Mark Versicherungssumme mit 7,830,340 Mark Prämieneinnahme vom Jahre 1877 auf, wovon nicht weniger als 80 Procent als Ueberschuß zurückgewährt worden sind. In den verflossenen 57 Jahren ihres Bestandes hat die Bank im Ganzen von ihren Theilhabern über 193,000,000 Mark an Prämie erhoben, davon über 55,000,000 Mark für Brandschäden vergütet und über 120,000,000 Mark als Ueberschuß zurückgezahlt!

Ueber die Einrichtung der Lebensversicherungsbank in Gotha hat sich bereits der obenerwähnte Walesrode’sche „Gartenlauben“- Artikel von 1865 ausführlich verbreitet. Er hat uns die Bank geschildert, deren „Soll und Haben“ sich um Leben und Sterben dreht, er ist den Lesern ein Führer gewesen durch die Geschäftslocale im Gebäude der Lebensversicherungsbank in Gotha, in denen der Tod, der unheimliche Kunde der Bank, seine Wechsel präsentirt. Unter allmählicher Verdichtung des Agenturnetzes hat sich die Bank auch seit dem Jahre 1865 in erfreulichster Weise zum Segen unseres Gesammt-Vaterlandes weiter entwickelt. Das

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Johannn
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 345. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_345.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)