Seite:Die Gartenlaube (1878) 332.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Dabei war er in gewisser Hinsicht, nämlich in der Mechanik und Astronomie und einigen anderen Zweigen der Naturwissenschaft gut unterrichtet. Sein ganzes Leben hindurch betrachtete er die Beseitigung des allgemeinen Vorurtheils, welches seit Kepler und Newton an die Schwerkraft der Erde glaubte, als die wichtigste Unterbeschäftigung neben seinem eigentlichen Lebensziele, der Straßenbeleuchtung. Seine Opposition gegen die Anziehungskraft der Erde bildete gewissermaßen die noble Passion seines ganzen Daseins. Er bediente sich zur Beseitigung dieses Vorurtheils der im Kampfe gegen Naturgesetze auch heute noch etwas zweifelhaften Angriffswaffe der Broschüre im Selbstverlage. Ungeheuere Stöße Maculatur hat er in seinem langen Leben für diese Ueberzeugung auf eigene Kosten drucken lassen. Glücklicher Weise folgten auch diese Stöße dem von ihm gehaßten Gesetz und blieben liegen, wo sie lagen. Schmitz war in den Niederlanden aufgewachsen und erzogen und hat immer in seinem Stil, seinem Charakter und seinem Geschäftsgebaren einen stark mynheerlichen Accent bewahrt.

Als Robert Blum bei Schmitz eintrat, glitt dessen Glücksschiff eben mit voller Fracht und vollen Segeln auf hoher Fluth vor dem Winde dahin. Schmitz’ Erfindung, die Straßenbeleuchtung durch Laternen mit einem Lichte zu besorgen, schien für ein Jahrhundert die Concurrenz auf diesem Felde auszuschließen. Eine große Anzahl speculativer Männer heftete sich an seine glückverheißenden Schritte. Nicht lange nach Blum’s Eintritt bei Schmitz wurde dessen Geschäft in eine Actiengesellschaft umgewandelt. Indessen sehr bald stellte sich für die Unternehmungen Schmitz’, die auf Rüböl als Beleuchtungsstoff basirten, ein sehr böser Concurrent ein, der nach kurzem theoretischem Zweikampfe einen wahrhaft glänzenden Sieg davontrug: das Gas. Schmitz und seine Actiengesellschaft blieben bankerott auf dem Platze – Schmitz natürlich nur, um im Bunde mit dem siegreichen Gegner, dem Gase, neue Siege zu erfechten. Aber die Erzählung dieser Schicksale seines Lebens liegt jenseits der Aufgabe dieser Blätter. Robert Blum ist bei Schmitz nur zur Propaganda für die Laterne mit einem Licht und Rübölflamme verpflichtet gewesen und ist mit diesem Panier gestiegen und gefallen. Das Gas hat er in einer ganz andern Berufsstellung, beim Stadttheater zu Leipzig, schätzen gelernt – aber erst viel später.

Als Robert Blum seinen Dienst bei Schmitz antrat, störte kein Wölkchen den beiderseitigen Frieden. Täglich mehr überzeugte sich der Principal, daß er in dem neuen Gehülfen einen wahren Schatz gefunden habe. Die complicirtesten Aufträge und Arbeiten erledigte Robert geschickt, umsichtig, rasch, zu Schmitz’ vollster Zufriedenheit. Eine Treue, einen Fleiß und Eifer entwickelte Robert im Dienste, eine so glückliche Auffassungsgabe und ein solches Talent zu eigener Initiative, daß Schmitz ganz erstaunt war. Gern gab er seiner Zufriedenheit durch freiwillige Gehaltszulagen Ausdruck. Zuletzt, 1830, war der Gehalt Robert’s, bei freier Station, auf – fünf Thaler pro Monat gestiegen! Mit dieser Summe hat Robert seine Wäsche und Garderobe bestritten, das Hoftheater in München und später Vorlesungen an der Berliner Hochschule besucht, seine Eltern und Geschwister unterstützt und alle seine unschuldigen Vergnügungen bezahlt. Mit diesem Einkommen hielt sich Robert für einen Krösus; demjenigen, der es ihm gewährte, hat er sein ganzes Leben, trotz der schmählichen Behandlung, die derselbe Mann ihm später angedeihen ließ, die aufrichtigste Dankbarkeit bewahrt.

Das Leben bot ja Robert auch in dem neuen Dienste ein so heiteres, glückliches Antlitz, wie der Arme es bisher noch nie geschaut hatte. Jetzt durchflog er das blühende Rheinland, das er früher mühsam und sorgenvoll am Wanderstabe durchmessen, dazu den ganzen sonnigen Süden Deutschlands in einem bequemen Reisewagen, an der Seite eines leidlich gebildeten, ihm zugleich aus Eigennutz und natürlicher Regung gewogenen Mannes, der viele Menschen und Länder gesehen, der in den Naturwissenschaften zu Hause war, der dem erstaunten jungen Manne sogar offenbarte, daß Erde, Sonne, Planeten und Fixsterne eigentlich auf ganz falschen Bahnen wandelten und reuig umkehren würden, wenn er, Schmitz, ihnen das schriftlich bewiesen haben würde. Dazu nun das Robert bis dahin unbekannte herrliche Gefühl völliger Freiheit von drückender Erdensorge, das Bewußtsein, daß er und seine Arbeit geschätzt werde von Demjenigen, von dem sein Wohlergehen abhing, bald nachher auch zum ersten Male die stolze Befriedigung, daß ihm wichtige fremde Interessen allein, zu selbstständiger verantwortlicher Erledigung übertragen wurden. Man kann sich denken, welches Maß von Glückseligkeit und Dankbarkeit in dieses reine arme Herz einzog.

Schon am 9. Juni 1827 verließ Robert mit Schmitz Köln und fuhr nun wochenlang durch das frühlingsgrüne reiche Land; das ganze Entzücken über die herrliche Reise mit wenig Worten in sein „Reisejournal“ eintragend. Am 10. Juni ist Mainz, am 12. Juni Frankfurt erreicht. Hier wird einige Tage gerastet, die alte Kaiserstadt – in der später der „Gelbgießer“ Blum seinen Sitz im deutschen Parlament finden sollte – mit Andacht durchwandert. Am 16. Juni ging es weiter nach Darmstadt, den folgenden Tag bis Heidelberg. Bis zum 21. Juni wird Württemberg (Stuttgart, Eßlingen, Göppingen bis Ulm) durchfahren, dann zwei Tage später, über Günzburg, Augsburg und Dachau, München gewonnen.

In München ist Robert vom 23. Juni bis 29. November 1827, also über fünf Monate geblieben. Er hat den größeren Theil dieser Zeit allein den Schmitz’schen Geschäften vorzustehen gehabt, die in der Hauptsache darin bestanden, die Laterneneinrichtung im königlichen Schlosse zu leiten. Bei dieser Gelegenheit hatte Blum eines Tages eine flüchtige, aber bedeutsame Unterredung mit König Ludwig dem Ersten von Baiern.

Viel Zeit blieb Robert übrig, um seinem Wissensdrange zu genügen. Und welche Fülle von Anregung gewährte hierfür München! Ein Gang durch München schon bietet, wie Moritz Carrière mit Recht einmal bemerkt, dem Nachdenkenden ein Bild der Bau- und Kunstgeschichte von zwei Jahrtausenden; ein Gang um München zeigt die unendliche Gestaltungskraft der Natur in aller Fülle und Mannigfaltigkeit. Im Jahre 1814 erst hatte König Maximilian der Erste begonnen, das enge und traurige Nest, das in seinem Aeußeren seit 1791 noch immer aussah wie eine geschleifte Festung und sich seit 1806 noch nicht ordentlich als Residenz hatte fühlen lernen, in eine stattliche, heitere Königsstadt umzuschaffen. Und dieses Werk hatte König Ludwig der Erste mit augusteischer Freigebigkeit und kunstsinnigster Prachtliebe fortgesetzt. Eben als Robert in München eintraf, war unter Klenze’s Leitung das neue Hoftheater nach dem Brande von 1823 in vollendeter Schönheit aus dem Schutte erstanden, die herrliche Glyptothek ihrer Vollendung nahe, dem öffentlichen Besuch bereits geöffnet, der Königsbau des Alten Schlosses am Max-Joseph-Platz, die Alte Pinakothek und andere Prachtbauten im Entstehen begriffen. Durch den Reichthum und die Bedeutung seiner Kunstschätze, vor Allem durch die Sculpturensammlung der Glyptothek, überragte München damals unstreitig alle anderen deutschen Städte bei weitem, obwohl die Stadt kaum mehr als fünfzig- bis sechszigtausend Einwohner gezählt haben mag. Dazu nun das ganz eigenthümliche, von den Gewohnheiten des Rheinländers so weit abliegende und doch jeden Fremden so gemüthlich anheimelnde Volksleben des altmünchener Bürgers, mit seinem trockenen Humor, seiner biederen Schwerfälligkeit und genußfreudigen Behaglichkeit. Alles das hat Robert lebhaft angezogen und gefesselt. Die Architektur- und Kunstschätze der schönen Kirchen Münchens, die Hoftheater, die Gemäldegallerie und Glyptothek, das polytechnische, anatomische und naturhistorische Museum, vor Allem aber die königliche Bibliothek hat er, nach seinem Reisejournal, fleißig besucht.

Alle seine Freistunden des Tages widmete er dieser Bereicherung seines Wissens, seiner Geschmacks- und Kunstbildung; der Abend wurde so oft als möglich im Theater, ein guter Theil der Nacht in ernste Studien aller möglichen Fächern des Wissens, in denen Robert bei sich Bildungslücken entdeckt hatte, hingebracht. In dieser Hinsicht war die Reise mit Schmitz von Köln nach München von größter Wichtigkeit für Robert gewesen. Sie hatte ihm bei sich selbst überall eine, wie er meinte, fast bodenlose Unwissenheit enthüllt, an deren Ausfüllung er nun mit eisernem Fleiße arbeitete. Leider sind auch aus diesen Tagen Briefe Robert’s an die Seinen nicht erhalten. Dagegen finde ich in seinem „Stammbuche“ Blätter von den wenigen jungen Männern, mit denen er in München Anknüpfung suchte, welche beweisen, daß er damals mit größtem Eifer insbesondere philosophischen Studien nachgegangen sein muß und das Bedürfniß empfand, das in der Stille der Nacht beim Lampenschein aus weltweisen Büchern in sich Aufgenommene mit den Freunden zu

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_332.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2016)