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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Beobachtung verdankt die Astronomie den großartigsten Aufschwung, den sie je empfangen hat. In der Vorrede seiner „Neuen Astronomie“ erstattet der große Kepler dem Kaiser Rudolph von Habsburg Bericht über den Ausgang des unter seiner Regierung begonnenen „großen Kampfes mit dem heidnischen Kriegsgotte Mars, in welchem sich der kaiserliche Feldherr Tycho de Brahe den größten Ruhm gewonnen, da er in zwanzigjährigen Nachtwachen sämmtliche Gewohnheiten, Stellungen und Kriegslisten jenes Feindes ausgekundschaftet, sodaß er (Kepler) nunmehr diesen höchst noblen Herrn gefangen vor den Kaiser führen könne“. In der That waren es die musterhaften Beobachtungen des Mars durch Tycho de Brahe, aus denen Kepler die drei Planetengesetze ableitete, die seinen Namen unsterblich gemacht haben.

Diese Gesetze lehren bekanntlich, daß sich die Planeten nicht in Kreisbahnen, wie man früher glaubte, und mit gleichmäßiger Schnelligkeit um die Sonne bewegen, sondern in elliptischen (eirunden) Bahnen, und daß die Bewegung um so schneller ist, je mehr sich der Planet der Sonne nähert, die nicht in der Mitte, sondern in einem Brennpunkte der Bahn befindlich ist. In Folge der langgezogenen Bahncurve ändert dieser Planet aber nicht nur seine Abstände von der Sonne sehr beträchtlich, sondern auch seine Entfernung von der Erde bietet Unterschiede, wie sie in ähnlichen Verhältnissen bei keinem andern Planeten, selbst bei der Venus nicht, beobachtet wurden. Mars und Erde können einander auf weniger als acht Millionen Meilen nahekommen, um sich im andern Extrem auf fünfundfünfzig Millionen Meilen von einander zu entfernen!

Die jüngste Beobachtungsgelegenheit der ungewöhnlich großen in dieser Weise nur in Jahrzehnten wiederkehrenden Annäherung, welche letztere man wohl einen Besuch nennen kann, wurde von den Astronomen mit Spannung erwartet. Denn auch der neueren Zeit ist der Mars einer der interessantesten Planeten geblieben. Er ist der in jeder Hinsicht unserer Erde ähnlichste Mitbürger des Planetensystems, nach allen seinen Verhältnissen ein wahrer Bruder der Erde. Er dreht sich fast in derselben Zeit wie sie um seine Achse, sodaß Tag und Nacht zusammengenommen nur ungefähr um eine halbe Stunde länger ausfallen als bei uns. In unseren Fernröhren bietet der Mars einen ganz verwandten Anblick, wie die Erde ihn aus ähnlichen Fernen geben mag, nämlich den einer kreisförmigen gegen die Pole hin etwas abgeplatteten Lichtscheibe, über welcher, wie es scheint, eine Lufthülle sich trübt und aufhellt. Von dem meist gluthrothen Innern der Scheibe heben sich mehr in’s Bläuliche ziehende Schattenflecken ab, die man für Meere gehalten hat, und an den beiden Polen zeigen zwei beständig silberweiß glänzende Flecke, die um so mehr an unsere vereisten Polarzonen erinnern, als sich diese weißen Kappen abwechselnd, wie bei uns, an demjenigen Pole verkleinern, der gerade seinen Polarsommer erlebt. Denn wie die Erde, erfreut sich auch der Mars wegen der geneigten Stellung seiner Drehungsachse eines Jahreszeitenwechsels; kurz wir könnten uns dort ein im Allgemeinen ähnliches Naturleben vorstellen, wie auf der Erde, wenn es mit dem Wasser und der Luft daselbst seine Richtigkeit hat.

Es war also eine im Allgemeinen gerechtfertigte und sehr verzeihliche weltnachbarliche Neugierde, welche mit der Brille des Spectral-Apparates unseren Planetenbruder bei seiner diesmaligen Annäherung gründlich von oben bis unten zu mustern begehrte, um mit den neugewonnenen Beobachtungsmitteln womöglich festzustellen, woher eigentlich seine rothe Gesichtsfarbe stammt, die uns lange genug geängstigt hat, und wovon die bläulichen Flecken darauf herrühren. Konnte doch auch der kürzlich verstorbene Jesuitenpater Secchi in Rom, ein Meister der Spectralanalyse, nunmehr daran denken, die Frage zur Entscheidung zu bringen, welche vor zweihundert Jahren sein College Athanasius Kircher in seiner „Himmelsreise“ aufgeworfen hat: ob es nämlich auf den Planeten auch Wasser gäbe, um ihre etwaigen heidnischen Bewohner zu taufen! – Kurz es gab der für eine solche Gelegenheit aufgesammelten Fragen eine reiche Anzahl.

Am meisten hatte man die etwaigen Marsbewohner bedauert, daß ihren Nächten das Mondlicht mangele, und die Astronomen hatten das sogar sehr seltsam gefunden, da die äußeren Planeten sich sonst, z. B. Jupiter und Saturn, einen so erheblichen Luxus in der nächtlichen Erleuchtung gestatten; man hatte schon allerlei bedenkliche Vermuthungen aufgestellt, wie denn wohl der Mars möglicher Weise um seine früher wahrscheinlich besessenen Trabanten gekommen sein könnte. Es war daher eine der angenehmsten Ueberraschungen, die uns der Kriegsplanet gleich in den ersten Tagen seiner Annäherung bereitete, als er den Astronomen, anstatt des längst vermißten einen, gleich zwei Adjutanten vorführte, so klein freilich, daß sie bisher nothwendig übersehen werden mußten. Sie wurden zuerst von dem Professor Asaph Hall in Washington am 16. und 17. August als Marsmonde erkannt, nachdem der äußere von ihnen schon einige Abende vorher die Aufmerksamkeit der Gelehrten auf sich gezogen hatte. Bald darauf sind sie dann auch auf vielen anderen Sternwarten gesehen worden. Die Taufe der beiden Marssöhne (mit irdischem Wasser) ist erst vor wenigen Wochen vollzogen worden; man hat dabei, in nicht unpassender Weise, auf einige Stellen des Homer und Hesiod Bezug genommen, und den äußeren Mond Demos, den inneren Phobos genannt. Hesiod erzählt uns nämlich in seiner „Abstammungsgeschichte der Götter“, daß Venus ihrem kriegerischen Gemahl zwei Söhne, Deimos und Phobos (Grauen und Entsetzen) geboren habe, die an seiner Seite Schrecken in die Reihen der Kämpfenden bringen, und Homer läßt merkwürdiger Weise den Mars, während er sich die Erde zu besuchen anschickt, seinen beiden Söhnen gebieten, die Pferde des Schlachtwagens anzuschirren und ihn (wie man hinzu denken kann) als Wagenlenker zu begleiten. Homer-Schwärmer könnten daraus schließen, daß bereits der Sänger der Ilias die beiden, nur bei den größten Annäherungen sichtbaren Monde des Mars gekannt habe.

Die beiden Mars-Monde verdienen eine nähere Betrachtung schon deshalb, weil sie die kleinsten aller im Weltraume jemals beobachteten Himmelskörper vorstellen. Auch in den stärksten Fernröhren erschienen sie nur als unbedeutende, um die stark vergrößerte Marsscheibe kreisende weiße Pünktchen, den kleinsten noch sichtbaren Sternen vergleichbar. Eine Messung ihres Durchmessers war unmittelbar gar nicht möglich, aber die amerikanischen Astronomen Newcomb und Pickering haben eine Schätzung ihrer Größe versucht, indem sie die von ihnen ausgestrahlte Lichtmenge mit derjenigen der Marsscheibe in genauen Instrumenten verglichen. Wenn man annehmen darf, wie dies sehr wahrscheinlich ist, daß die Oberfläche der Monde ungefähr ebenso stark das Sonnenlicht zurückwirft, wie die des Planeten, so würde der Durchmesser des äußeren Mondes ungefähr sechs und der des inneren etwa sieben englische Meilen betragen. Man malt sich gern in der Phantasie das Betreten einer solchen Liliputwelt aus, deren Weltbeherrscher schwerlich so viel Menschen regieren könnte, wie der Bürgermeister einer europäischen Hauptstadt, und um deren Aequatorbahn man, wie Professor Newcomb sich ausdrückt, recht gut zwischen zwei Mahlzeiten eine „Reise um die Welt“ machen könnte, um auf einem Nachmittagsausfluge bei den Antipoden seinen Kaffee einzunehmen. Wegen der starken Oberflächenkrümmung würde man auf einem Spaziergange schon bei mäßiger Schnelligkeit die Sonne immerfort neu auf- oder untergehen sehen können, und das Kunststück des Abts von St. Gallen, mit der Sonne um die Welt zu reiten, würde dort eine Kleinigkeit sein, wenn man über die irdischen Muskelkräfte verfügen dürfte. Der innere Mond bewegt sich in sieben Stunden und achtunddreißig Minuten um den Mars, während der äußere Mond fast die vierfache Zeit braucht, um seine Bahn zu vollenden. Immerhin wird der Wechsel der Phasen und Stellungen beider Monde, von der Oberfläche des Mars aus gesehen, ein ziemlich reicher sein, und das Lied vom „wechselnden Mond, unter dem es nicht immer so bleiben kann“, dürfte den Marsbewohnern aus dem Herzen gedichtet sein, wenn es nämlich solche giebt.

Die Beobachtungen des vorigen Jahres, die nun wohl sämmtlich in den Fachzeitschriften erschienen sein werden, sind, soweit sich bis jetzt übersehen läßt, der Möglichkeit einer thierischen Existenz auf dem Mars nicht ungünstig. Zunächst hat sich deutlich das Vorhandensein einer Atmosphäre kundgegeben. Dieselbe zeichnete sich an manchen Tagen bestimmt als ein weißlich glänzender Ring ab, der die rothglühende Scheibe umgab, aber manchmal verschwand dieser Ring gänzlich, wahrscheinlich bei größerer Durchsichtigkeit der Atmosphäre. Vom Vorhandensein der letzteren hat man sich unter Anderem auf der Sternwarte von Greenwich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 320. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_320.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)