Seite:Die Gartenlaube (1878) 316.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Die Sammlungen des Pfarrers sind in einem einzigen Zimmer, unglaublich eng bei einander, aber mit Verständniß und künstlerischem Geschmacke aufgestellt. Ihr Besitzer, ein kindlich freundlicher alter Herr von ungewöhnlicher Lebendigkeit, zeigt sie gern und erklärt sie in liebenswürdigster Weise. Es wird kein Besucher unbefriedigt von ihm gehen.

In Teplitz selbst ist das Cabinet des Mineralienhändlers Seyffert, oben auf der Höhe der Schlackenburg, im Belvedere sehenswerth. Dort flimmert und funkelt uns der ganze kostbare Steinreichthum des böhmischen Gebirges entgegen: dunkelglühende Granaten, Quarze in buntfarbiger Krystallisation, grün und golden schimmernde Metalle, wie sie, gleichsam verzaubert, im tiefen dunklen Felsenschachte ruhen. Herr Seyffert – ein übrigens recht unterhaltend gescheiter Mann, der von seinen Bergen und Steinen, Pflanzen und Versteinerungen viel Interessantes zu erzählen weiß – besitzt eine der schönsten Mesotypdrusen, die überhaupt gefunden worden. Verschiedene Museen haben ihm bereits Beträchtliches für das Exemplar geboten, aber er kann sich von seinem Kleinod nicht trennen. Der Stein hat die Größe eines Kinderkopfes und ist von außen grau und unansehnlich. Klappt man ihn vorsichtig aus einander – die beiden Hälften schließen so genau an einander, daß zusammengefügt kaum ein feiner Riß auf der Oberfläche sichtbar bleibt – so scheint sich ein Feenreich vor uns aufzuthun. Tausend zarte kleine Krystalle, weiß wie Silber schillernd, bauen sich in den feinsten Formationen auf, und keines fehlt, kein Nädelchen, kein Spitzchen ist abgebrochen. Des alten Seyffert’s Augen leuchten, wenn er vor einem Kenner diese Schatzkammer aufschließt. Man kann in dem Cabinete stundenlang Unterhaltung und Belehrung finden, und hübsch ist es dann auch wieder hinauszutreten und von der freien Höhe dort in die blaue Landschaft zu blicken. Ueber einem frischgrünen Vordergrund steigen hier, groß gezeichnet und doch fein in der Linie, die beiden Milischauer empor. Im Sonnenscheine sieht man am Abhange des großen Milischauer zwischen dunklen Waldmassen das weiße Gemäuer von Kostenblath aufleuchten.

Nicht weit ist es von des alten Seyffert’s Höhe hinunter in den Schloßgarten, der in seiner abgeschlossenen Stille und Kühle ein Lieblingsaufenthalt des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm’s des Dritten war. Sie ist aber auch wirklich schön, die aufstrebende Kraft dieses mächtigen Baumwuchses; darunter der ruhige Wasserspiegel des großen Teiches, durch den sanfte Schwäne ziehen, während am Ufer eine breite Trauerweide die feinblätterigen Zweige bis in das Wasser hinein neigt. Zur Maienzeit besonders, wenn Faulbaum und Flieder hier in üppiger Fülle die duftigen Dolden öffnen, die Rasenplätze mit weißen, sternäugigen Anemonen übersäet sind und munterer Finkenschlag das junge Grün belebt, kann es kaum anmuthigere Wege zum Wandeln und Sinnen geben, als diese hier.

Auch er mag sie gewandelt sein vor Jahren, der unermüdliche Spaziergänger nach Syrakus, Johann Gottfried Seume[WS 1], der 1811 in Teplitz gestorben ist. Sein ganzes Leben war ein Wandern und Pilgern. Bekanntlich wurde er schon als neunzehnjähriger Student, da er von Leipzig nach Frankreich zog, von den Schergen des damaligen hessischen Tyrannen ergriffen und nach Amerika verhandelt. Auch über seinen ferneren Lebenswegen hat die Glückssonne nur spärlich geschienen; sie blieben rauh und steil bis an’s Ende. In den böhmischen Bergen endlich sollte er die ewige Ruhe finden. Man begrub ihn auf dem alten Kirchhofe, der sich auf grün bewachsenen Höhenrücken zwischen Teplitz und Schönau hinzieht. Als vor zwei Jahren diese Stätte des Todes in freundliche Promenaden umgewandelt und alle hier ruhenden Gebeine nach dem Eichwalder Kirchhofe übergeführt wurden, blieb Seume’s Grab unberührt. Inmitten der neu erschaffenen Anlagen ruht noch heute, von einer knorrigen, sich über das Grab hinbeugenden Eiche beschattet, der breite dunkle Stein, der nur den Namen „Seume“ trägt. Freunde, die bei seinem Tode anwesend, darunter Fichte und Elise von der Recke, haben ihm dem Andenken des deutschen Schriftstellers gesetzt. Albert Traeger hat diesem Dichtergrabe vor Jahren (Gartenlaube 1857) die nachfolgenden tief empfundenen Strophen gewidmet:


Ein schmucklos[WS 2] Grab: ein Stein und eine Eiche,
Ein stiller Frieden, der darüber liegt,
Gebettet unten eines Dichters Leiche,
Vom Blätterrauschen in den Schlaf gewiegt.

Ein müder Wandrer, krank und aufgerieben
Von rauhen Wegen und von bitt’rer Noth,
Zur Quelle kam er und ist dort geblieben,
Er suchte Heilung und genas – im Tod.

Daß Deinem Schlummer nicht die Ruhe fehle,
Die stets geflohen Deines Leibes Pein,
Ließ Deiner Freundin[1] zarte Dichterseele
Der Eiche Zweige schatten Deinen Stein.

Verlassen bist Du, Armer, nun nicht länger,
Die Eiche hütet treulich Deinen Traum,
Du warst es werth: es darf der deutsche Sänger
Wohl Frieden finden bei dem deutschen Baum.

Schlaf, Seume, sanft! Im Grund die Wurzeln schlingen
Sich um Dein Haupt, wie einer Mutter Arm,
Und Vöglein oben in dem Wipfel singen
Ein Lied, wie Deines, innig zart und warm.


Diesem Traeger’schen Gedichte war auch die umstehende Abbildung des Seume’schen Grabes beigefügt, deren Wiedergabe heute um so mehr am Platze sein dürfte, als inzwischen die Zahl der Gartenlauben-Leser wohl um 300,000 gewachsen ist; doppelt willkommen wird sie deswegen sein, weil, wie man hört, der moosbewachsene Stein demnächst verschwinden wird, nun – hoffen wir es! – einem würdigen Dichterdenkmale Platz zu machen.[2]

Unsere Zeit geht nicht mehr zu Fuß nach Syrakus. Einem muthigen Streben in’s Große, Weite eröffnen sich jetzt freiere Bahnen, als dem armen, hartgeprüften Seume. Eine weiße Marmortafel bezeichnet unten in Schönau ein Haus – es ist der Morgenstern – als Geburtshaus Peyer’s, des kühnen Nordpolfahrers, der vor zwei Jahren ruhmgekrönt seine Heimath wieder besuchte, um von Souveränen gefeiert, von seinem Volke mit Jubel begrüßt zu werden. Freuen wir uns, daß Fürsten jetzt selber der strebenden Forschung helfend die Hand bieten, freuen wir uns dankbar der Tage, in denen wir leben! Treue Erinnerung aber auch den Märtyrern einer andern Zeit – ein grünes Blatt, Wandrer Seume, auf Dein stilles Grab!




Aus Robert Blum’s Leben.
3. Lehr- und Wanderjahre.

Wenn das lebhafte Rechtsgefühl, das Robert Blum Zeit seines Lebens beseelte, überhaupt auf eine bestimmte Erfahrung zurückgeführt werden kann, so hat er es sicherlich in der Hauptsache den Leiden und der Rechtlosigkeit seiner Lehrjahre zu danken. Denn geradezu das Gegenbild des heutigen Rechtsverhältnisses zwischen Lehrherrn und Lehrling boten jene Tage, da er Lehrjunge wurde. Hinweggefegt mit allen anderen historischen Einrichtungen früherer Jahrhunderte wurden auch die ehrsamen Zünfte, als die Jacobiner Frankreichs über Köln sich ergossen hatten. Keine Thräne soll etwa hier dem alten Zunftwesen nachgeweint werden. Unleugbar wurde der Lehrling im Zunftstaate der guten alten Zeit mehr als billig vom Meister ausgebeutet: das Lehrgeld kam sehr theuer zu stehen, und viel zu lange währte die Lehrzeit. Dagegen hatte die alte Zunftzeit auch jede herzlose Ausbeutung und Behandlung des Lehrlings von Seiten des Meisters, die über die Grenzen des nach damaligen Begriffen Erlaubten hinausging, streng geahndet. Kein Meister durfte wagen, dem Ehrenrathe der Zunftgenossen zu trotzen: wenn er es that, stellte er seine ganze Existenz auf’s Spiel.

Von diesen heilsamen Schranken gegen die Willkür des Meisters hat Robert Blum in seinen Lehrjahren nichts mehr vorgefunden. Wir Deutschen von heute können uns kaum eine


  1. Elise von der Recke.
  2. Neuerdings hat in Teplitz ein „Seume-Comité“ sich die Aufgabe gestellt, die Mittel zu einem Denkmal auf das Dichtergrab zu sammeln. Vielleicht macht es manchem Verehrer Seume’s Freude, hiermit zu erfahren, wohin er seine Beisteuer richten kann.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Johann Gottlieb Seume
  2. Vorlage: schmuckes
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_316.jpg&oldid=- (Version vom 10.5.2019)