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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

erfüllt. Doch fand ich noch ein Sitzplätzchen, und unter Gesang und Messelesen hoffte ich das Kunstwerk um so ruhiger betrachten zu können. Aber ich konnte es nicht entdecken; Kopf an Kopf umgab mich die Menge, unten im Schiff, oben auf dem Chore. Instrumentalmusik wechselte mit Gesang; Weihrauch dampfte empor – aber das Schnitzwerk sah ich nicht und meinte schon, es sei von einer ganz anderen Kirche, als der in Graupen, die Rede gewesen. Nun war der Gottesdienst zu Ende. Es kam Bewegung in die Menschenmasse, die sich langsam nach der einzigen Ausgangsthür hinschob.

Da fiel mir’s auf, daß oben auf dem Chor eine Anzahl Menschen regungslos stehen blieb, und nun endlich erkannte ich die Holzfiguren, nach denen ich gesucht hatte. Es war ein überraschender, fast unheimlicher Eindruck: mitten unter den Lebenden diese todten Gestalten, die sich nicht mit fortbewegten, die schon seit Jahrhunderten so dagestanden und vielleicht noch einmal Jahrhunderte hindurch so dastehen werden. Nach alter Art ist das Schnitzwerk in den Farben des Lebens gemalt. Unter dem bunten Sonntagsstaat des Gebirgsvolkes waren mir die fremdartigeren Gewänder gar nicht aufgefallen, um so mehr als die Abendstunde und der aufsteigende Weihrauch schon leise Dämmerung durch die Kirche webte. Die Gruppe stellte Christus und Pilatus vor. Der Chor ist als Söller gedacht, von dem herab der Landpfleger zu dem unten versammelten Volke spricht, ihm sein Opfer weihend. Die Gestalt des Heilands selber ist nicht hervorragend. Kläger, Hohepriester und sonstige Betheiligte aber, die einzeln und frei herumstehend die Mittelgruppe umgeben, sind merkwürdig wahr im Ausdruck, in Stellung und Geberde so bewegt und natürlich, daß man sie wirklich, besonders wenn sich wie vorhin das Leben selber unter sie mischt, kaum von diesem unterscheiden kann. Es dauerte lange, bis der Raum sich leerte; ich hatte Zeit, die merkwürdige Arbeit genau zu betrachten, bis ich endlich als Letzter die Kirche verließ. Nur noch die Hand Eines der zornigen Kläger sah ich drohend emporgehoben, da die Thür sich langsam hinter mir schloß; dann sank die wunderbare Täuschung in Schweigen und Dunkelheit zurück.

Seume’s Grab in Teplitz.
Originalzeichnung von C. Reinhardt.

Es gäbe viel zu erzählen, wollte ich all der schönen Punkte erwähnen, die Teplitz umgeben: des stillen, waldumschlossenen Schweißjägers, mit seiner blauen Fernsicht; des Klosters Mariaschein, wo alte mit Gold und echten Perlen gestickte Meßgewänder gezeigt werden, wahre Prachtstücke nonnenhafter Kunstfertigkeit; des Milischauers mit seinen mehr romantischen als bequemen Mooslagern und der köstlichen Rundschau bis Prag einerseits, bei klarem Wetter bis zur Schneekoppe auf der anderen Seite. Nur einen Blick noch nach Dux, dem Waldstein’schen Grafenschloß, dessen edel vornehmen Bau ein herrlicher Park umgiebt. Die Gemälde-Gallerie im ersten Stock bedeutet nicht viel. Selbst das Dyk’sche Portrait des Herzogs von Friedland, in voller Rüstung, die Hand am Schwert, ist eine etwas harte, arg nachgedunkelte Arbeit. Im Erdgeschoß aber befinden sich in einer Curiositäten-Sammlung sehr schöne alte Meßbücher, die der näheren Betrachtung werth sind. Auch zeigt man dort Waffen und sonstige Andenken Wallenstein’s, darunter den blutbefleckten Halskragen, den man seinem Leichnam abgenommen. Merkwürdig besonders ist der Himmelsglobus, welcher ihm bei seinen astronomischen Operationen gedient hat, ein wunderliches, altes Ding, mit Sternbildern, Figuren und geheimnißvollen Zeichen bemalt. Und daran hat ein Menschenschicksal – ein großes, tragisches – gehangen!

Sehr interessant ist auch die Sammlung des Pfarrers Vincenz Hassak an Weißkirchlitz, einem kleinen Kirchdorfe zwischen Teplitz und Graupen. Neben allerlei Alterthümern, wunderschönen Mineralien, amerikanischen und inländischen Achaten, Labradoren und Drusen von ungewöhnlicher Schönheit hat der geistliche Herr eine beträchtliche Anzahl alter Druckschriften von hohem Werthe zusammengetragen. Eine Collection vor-lutherischer Bibelübersetzungen besonders hat schon manchen Forscher herbeigelockt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_315.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)