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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Georg mußte trotz seines Kummers lächeln. „Du armer Max!“ sprach er mitleidig.

„Höre, Georg,“ sagte dieser ganz ernsthaft, „das ist auch so eine von den vorgefaßten Meinungen, daß man glaubt, das Bekehren müsse immer langweilig und trübselig sein, es ist bisweilen auch recht angenehm. Ich sage Dir, mir fehlt ordentlich etwas, wenn ich einmal nicht zu meiner Patientin komme, wo die üblichen Bekehrungsversuche mit mir angestellt werden.“

„Von Deiner Patientin?“

„Warum nicht gar! Von Agnes Moser. Bis jetzt hält sie mich allerdings noch für einen verstockten Sünder und verabscheut mich demgemäß, trotzdem sind wir schon ziemlich weit vorwärts gekommen. Die heilige Sanftmuth zum Beispiel, die mich im Anfange oft genug zur Verzweiflung brachte, habe ich ihr gründlich abgewöhnt. Sie kann jetzt schon ein ganz hübsches Trotzköpfchen aufsetzen, und wir zanken uns oft in einer herzerquickenden Weise.“

Georg’s Auge ruhte forschend auf dem Gesichte seines Freundes. „Max,“ sagte er plötzlich, ohne jeden Uebergang, „so viel ich weiß, besitzt Herr Hofrath Moser gar kein Vermögen.“

„Was in aller Welt geht das mich an?“

„Nun, ich meine nur wegen Deines Heirathsprogramms. Paragraph eins: Vermögen.“

Doctor Brunnow fuhr aus seiner Sopha-Ecke in die Höhe und starrte den Freund mit großen Augen an.

„Was fällt Dir denn ein? Agnes Moser will ja Nonne werden.“

„Ich habe auch davon gehört, und die Klostererziehung paßt nun allerdings nicht zu dem bequemen Leben, das Du in Deiner Ehe beanspruchst. Zartheit kannst Du bei Deiner Frau ohnehin nicht brauchen, und was die praktischen Hausfrauen-Eigenschaften und die blühende Gesundheit betrifft –“

„Das brauche ich nicht erst von Deiner Weisheit zu hören; das kann ich mir allein sagen,“ brauste Max im vollsten Aerger auf. „Ich begreife wirklich nicht, wie Du zu solchen ganz grundlosen Folgerungen kommst. Du meinst wohl, alle Welt müsse sich lieben, weil Du und Deine Gabriele es thun? Wir denken nicht daran, aber das hat man davon, wenn man sich als Freund in der Noth erweist. Die reinsten Absichten werden verdächtigt. Ich und Agnes Moser – lächerlich!“

Winterfeld hatte Mühe, seinen höchst aufgebrachten Freund zu besänftigen; endlich gelang es ihm. Der Herr Doctor ließ sich herab, die lächerliche Idee zu vergessen, mit der man ihn beleidigt hatte, und versprach seine Hülfe. Er trat denn auch bald darauf den gewohnten Weg zu seiner Patientin an. –

Die Kranke befand sich in der That ganz vortrefflich bei dem Eifer, mit dem man sich von zwei verschiedenen Seiten um ihr Wohl bemühte. Die Cur ihres Arztes hatte einen Erfolg, den dieser selbst im Anfange kaum zu hoffen wagte. Die Krankheit nahm die entschiedenste Wendung zum Besseren; es war gegründete Hoffnung zur vollen Genesung vorhanden, und heute hatte die Patientin bereits bei dem warmen Sonnenschein eine halbe Stunde in dem kleinen Garten zubringen können, der das Haus umschloß.

In diesem Gärtchen nun spazierten Doctor Brunnow und Fräulein Moser dem Anscheine nach ganz friedfertig auf und nieder. Es hatte sich in den wenigen Wochen ihrer Bekanntschaft ein Verkehr zwischen ihnen herangebildet, dessen Unbefangenheit hauptsächlich in der felsenfesten Ueberzeugung wurzelte, daß sie gar nichts für einander fühlten. Agnes hegte wirklich die ernstliche Absicht, den tief in Weltlichkeit und Unglauben versunkenen jungen Arzt für den Himmel zu retten, und sie wiederholte diese Versuche um so hartnäckiger, je vergeblicher sie sich erwiesen. Daß diese Seelenrettung auch für sie selber schließlich etwas bedenklich werden könne, fiel ihr gar nicht ein. Man hatte ihr jede Gefahr, die ihrem Herzen etwa von der Männerwelt drohen könne, unter dem Bilde der Schmeichelei, der Artigkeit und Liebenswürdigkeit dargestellt. Hätte sie etwas dergleichen entdeckt, sie würde sich erschreckt und eiligst zurückgezogen haben, aber Doctor Brunnow war und blieb rücksichtslos; er konnte unter Umständen sogar recht grob werden, und einzig diesen vertrauenerweckenden Eigenschaften dankte er es, daß das junge Mädchen ihn für vollständig ungefährlich hielt. Was ihn selbst betraf, so war er durchaus nicht verliebt, wenigstens war die Entrüstung, womit er gegen eine solche Zumuthung protestirte, vollkommen aufrichtig gemeint. Sein Heirathsprogramm enthielt bekanntlich sehr viel nützliche Paragraphen, aber nichts von dem unpraktischen Idealismus der Liebe. Da Agnes Moser’s Persönlichkeit nun durchaus nicht diesem Programm entsprach, so konnte von einer Neigung natürlich gar nicht die Rede sein.

Uebrigens hatte der junge Arzt entschiedenes Glück mit seinen Curen, denn auch Agnes hatte sich im Laufe der letzten Wochen außerordentlich erholt, jedenfalls nur in Folge der Gewissenhaftigkeit, mit der sie die ärztlichen Vorschriften befolgte. Auf ihren sonst so blassen Wangen zeigte sich eine leise Röthe; das Auge war belebter, die Haltung kräftiger, und ihr Wesen hatte viel von seiner Schüchternheit verloren, wenigstens dem Doctor Brunnow gegenüber. Seine Gottlosigkeit und ihr Bekehrungseifer begegneten sich so oft und sie vertieften sich so häufig in dieses interessante Thema, daß sie nothgedrungen vertrauter mit einander werden mußten. Auch heute hatte die junge Dame ihren Begleiter wieder gehörig abgekanzelt, der letztere sah aber durchaus nicht zerknirscht aus; seine Miene verrieth im Gegentheil das außerordentliche Behagen, das diese theologischen Streitigkeiten ihm gewährten.

„Jetzt aber, mein Fräulein, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für ewige irdische Dinge,“ sagte er, eine Pause des Gespräches benutzend. „Die Angelegenheit, die ich Ihnen mittheilen will, ist jedoch Geheimniß, und ich rechne auf Ihr unbedingtes Schweigen, gleichviel, ob Sie meine Bitte gewähren oder nicht.“

Das junge Mädchen machte große Augen bei dieser feierlichen Einleitung, verhieß aber zu schweigen und hörte gespannt zu.

„Sie kennen Fräulein Gabriele von Harder,“ fuhr Max fort, „und auch mein Freund, der Assessor Winterfeld, ist Ihnen bekannt. Ich weiß aus seinem Munde, daß er bereits einmal das Vergnügen hatte, Sie in Ihrer Wohnung zu sehen.“

„Ich erinnere mich; er war bei meinem Vater.“

„Nun wohl, Baroneß Harder und der Assessor lieben sich.“

„Lieben sich!“ wiederholte Agnes, mit einem Gemisch von Bestürzung und Verlegenheit. Sie schien den Gegenstand der Unterhaltung sehr unpassend zu finden.

„Ja, sie lieben sich ganz bedeutend,“ sagte Max mit Nachdruck. „Der Vormund der jungen Dame aber, Freiherr von Raven, und die Baronin Harder widersetzen sich der beabsichtigten Verbindung, weil Georg Winterfeld seiner dereinstigen Gattin keinen Rang und Reichthum bieten kann. Was mich betrifft, so bin ich von Anfang an der Schutzengel dieser Liebe gewesen.“

„Sie, Herr Doctor?“ fragte das junge Mädchen, den Schutzengel mit sehr kritischen Blicken ansehend.

„Sie meinen wohl, daß ich nicht viel Engelhaftes an mir habe?“ fragte Max nun seinerseits.

„Ich meine, daß es unter allen Umständen Sünde ist, sich gegen den Willen der Eltern zu lieben,“ lautete die ein wenig scharfe Antwort.

„Das verstehen Sie nicht, mein Fräulein,“ belehrte der junge Arzt. „Danach wird bei der Liebe gar nicht gefragt, und hier ist das junge Paar vollends in seinem Rechte. Was soll man denn anfangen, wenn die Eltern und Vormünder aus bloßem Vorurtheil und äußeren Rücksichten zwei eng verbundene Herzen trennen?“

„Man soll gehorchen,“ erklärte Agnes mit einer Feierlichkeit, die ihr in diesem Augenblicke eine gewisse Aehnlichkeit mit ihrem Vater gab.

„Das sind ganz veraltete Ansichten,“ sagte Max ungeduldig. „Im Gegentheil, man rebellirt und heirathet sich doch.“

Fräulein Agnes hatte seit den letzten Wochen offenbar schon bedeutende Fortschritte gemacht. Sie setzte den verwerflichen Ansichten des Doctor Brunnow durchaus kein resignirtes Schweigen mehr entgegen; sie hatte es wirklich schon gelernt, ein ganz hübsches Trotzköpfchen aufzusetzen, und machte jetzt von dieser neuen Errungenschaft Gebrauch, als sie erwiderte: „Das haben Sie gewiß dem Herrn Assessor angerathen.“

„Keineswegs! Ich habe im Gegentheil alle Hände voll zu thun, um ihn nur einigermaßen bei Vernunft zu erhalten.“ „Genug, mein Freund verläßt R. schon in den nächsten Tagen, und man geht so weit, ihm sogar den Abschied von seiner Braut zu verweigern. Er will und muß sie aber noch einmal sehen, um ihr ein letztes Lebewohl zu sagen. Fräulein Agnes –“ der Redende

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_309.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)