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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Grundwerths in Berlin und in deren Gefolge Wohnungsnoth eingetreten war. In Borsigfelde sollten die Eisenerze gleich zu Maschinentheilen verarbeitet und dann als Halbfabrikate den Anstalten in Berlin und Moabit zugeführt werden. Im October 1870 wurden vierhundert bis fünfhundert Arbeiter, darunter viele Familien aus Moabit nach Borsigfelde übersiedelt. Die Anlagen sind von sehr ausgedehnten Dimensionen und gedeihen vortrefflich. Alle Bedürfnisse der Arbeiter finden hier Befriedigung, wie kaum in einer größeren Stadt, denn ihnen ist alle Sorge gewidmet, und keine Einrichtung zum Wohl für Leib und Seele fehlt hier.

So kam es, daß selbst in getrübten Zeiten das Verhältniß zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer immer ein vertrauensvolles war, daß die Arbeiterbewegungen in Borsig’s Werkstätten keinen Eingang fanden. Wie der alte war auch der junge Borsig ein sorgsamer Vater, ein treuer Freund seiner Arbeiter. Auch zu der Zeit, als der große Krach die gesammte industrielle und finanzielle Welt in ihren Grundvesten erschütterte, blieb Borsig von der fast allgemeinen Misere verschont. Er blieb es deshalb, weil jene heillose Gründerwirthschaft, jenes moderne Raubritterthum, auch nicht einmal mit dem Schein einer Versuchung an ihn herantreten durfte, weil der Borsig’sche Credit ein so fest begründeter, die geschäftlichen Beziehungen derartig umfangreich und solide waren, daß sie von der Calamität nicht einmal berührt, geschweige denn in Mitleidenschaft gezogen wurden. – –

Beide Borsig, die scharfsinnigen Techniker, die Männer so anstrengender Arbeit waren auch große, sinnige und verständige Freunde der Natur und der Kunst. Mit den theuersten Opfern, mit fürstlichem Aufwande huldigten sie ihnen. Ihr Heim, wo es auch ist, macht den Eindruck des Soliden, des Schönen, des Praktischen. Alles hat den Reiz frischer, sinniger, verschönernder Thätigkeit.

Darum auch das erquickende Wohlgefühl, das freudige, theilnahmsvolle Wohlbehagen, das wir beim Besuch der Wohnstätten, der Gartenanlagen Borsig’s empfanden. Wir fühlen es instinctmäßig heraus, sie sind selbst ersonnene Schöpfungen, eigene Arbeiten, eigene Werke ehrlichen Bürgerfleißes. Hier stört keine impertinente Schaustellung, kein Geldprotzenthum, kein unpassendes Prunken des reichen Emporkömmlings, der Natur und Künstler seinen Launen dienstpflichtig macht, weil – „seine Mittel es ihm erlauben“.

Nur eines Prachtbaues Albert Borsig’s werde hier besonders gedacht. In Berlin, am althistorischen Wilhelmsplatze, wo die Helden der schlesischen Kriege in monumentaler Verherrlichung dastehen, wo die Ministerpaläste des deutschen Reiches und des Reichskanzlers sich erheben, eben da, inmitten dieser deutschen Monumentalwerke baute sich der schlesische Grande, Fürst von Pleß, in den ersten siebenziger Jahren nach dem letzten französischen Kriege einen Palast in dem zopfigen, französischen Rococostile Ludwig’s des Vierzehnten mit der Fürstenkrone und dem Namenszuge des Erbauers. Alles an diesem Baue, Plan, Arbeit aller Art, ist französisch, selbst das Rohmaterial ist aus Frankreich herbeigeschafft; alle Handwerker, Künstler und Decorateure waren Franzosen. Keiner deutschen Hand wurde hier Brod und Erwerb gegönnt. – Neben dieser fürstlichen verzwickten architektonischen Mißgestalt, nach Zeit und Art der Ausführung ein Denkmal aristokratischer, undeutscher Gesinnung, hat der bürgerliche Fabrikant Borsig einen stattlichen, breit gelagerten Palast im edelsten Renaissancestile erbaut. Statt der Fürstenkrone zieren es in den Nischen zwischen den Fenstern die mehr als lebensgroßen Statuen von Männern der Kunst und der Arbeit. Es sind vortreffliche Statuen von Archimedes, Leonardo da Vinci, James Watt, Robert Stephenson, Friedrich Schinkel, August Borsig, Wilhelm Beuth. Unzweifelhaft eine imponirende Huldigung des Genies, der Schildträger der Arbeit! – –

Schließlich noch ein flüchtiger Blick in die Arbeitsräume einiger Borsig’scher Werkstätten. Hier verwirklicht sich die alte dichterische Fabel von den Eingeweiden des Aetna, und die Feueressen, wo Vulcan die Donnerkeile Jupiter’s schmiedete, gehören fürder nicht mehr in das Reich poetischer Träume. Die dunklen Gestalten der von schmelzender Gluthhitze geschwärzten Männer, der krachende Fall der Riesenhämmer und ihre erschütternden Schläge, das dämonische Aechzen der brausenden Blasebälge, die Feuerströme flüssigen Metalls, die Milliarden Funken von den gehämmerten Amboßen – alle diese grandiosen Effecte fallen wie Blitzstrahlen in die Seele, geben ein Bild von den Vorstellungen, wie sie dem Dichter vom Tartarus vorschwebten und verwirren und erdrücken die Sinne des Zuschauers zu stummer Bewunderung.

„Die Werke klappern Nacht und Tag,
Im Tacte pocht der Hämmer Schlag,
Und bildsam von den mächt’gen Streichen
Muß selbst das Eisen sich erweichen.“

Mehr noch als die Schmelz-, Guß- und Schmiederäume frappiren die Localitäten, in denen die einzelnen Werkstücke zugerichtet werden. Hier wird gedreht, gehobelt, gebohrt, genietet, gestoßen; hier wird tausenderlei Arbeit vollführt, und alle hierzu erforderlichen dämonischen Kräfte werden nur von schwirrenden Rädern, von fliegenden Treibriemen verrathen, vom leisesten Fingerdrucke des Arbeiters geleitet und geregelt.

„Tausend fleiß’ge Hände regen,
Helfen sich im muntern Bund,
Und im feurigen Bewegen
Werden alle Kräfte kund.“

Die Bewunderung steigt, wohin man auch schreitet, sei es in die Montir- oder in andere Räume. Wer wollte hier alle die Vorgänge und Arbeiten, alle die Eindrücke und Empfindungen wiedergeben?[1]

Die Leistungen Albert Borsig’s haben die ursprünglichen Erwartungen weit übertroffen und ihm wohlverdiente Anerkennung erworben, aber darin ist er weniger glücklich als der Vater August Borsig, daß sein Erbe noch ein unmündiger elfjähriger Knabe ist.

Wie der „alte“, ist auch der „junge“ Borsig von Fürsten, vom Staate mit Titel und Orden, mit Ehren und Würden hoch ausgezeichnet worden. Volle Kränze von Immortellen, Stein- und Erzdenkmale schmücken die Stätten, wo beide im Leben gewirkt, wo sie jetzt im Tode ruhen. Doch Titel und Würden verhallen und werden vergessen; die reichsten Kränze verwelken und vermodern; Denkmale verwittern und zerfallen in Staub. Aber so lange deutsche Industrie, deutscher Fleiß in der Geschichte genannt werden, so lange werden alle Ehren des Fleißes, alle Titel des Genies, alle Würden der Arbeit verknüpft werden mit dem einfachen Namen Borsig.

J. Loewenberg.
  1. So weit es für die Anschauung des Laien möglich, ist dies in Bild und Wort im Jahrgang 1867 der „Gartenlaube“ geschehen wo wir unter der Rubrik „Deutschlands große Industrie-Werkstätten“ S. 554 Borsig’s Etablissement in Moabit bei Berlin, und S. 779 Borsig’s Eisengießerei und Locomotivenbauanstalt am Oranienburger Thor in Berlin zur Darstellung brachten. Wer aber vergleichen will, wie dieser Industrieriese als Kind aussah, dem giebt Jahrgang 1854, S. 289, die Gelegenheit dazu.
    D. Red.




Grundwasser und Grundluft.
Von Dr. Fr. Dornblüth.

Jahrhunderte lang haben unsere Ahnen ihre Wohnsitze in den Städten möglichst eng zusammengebaut, um durch feste Mauern, hohe Wälle und tiefe Gräben gegen äußere Feinde geschützt zu sein; und sie haben oft noch durch umgebende Sümpfe oder aufgestaute Gewässer diesen Schutz verstärkt. Selbst als die Noth feindlicher Ueberfälle nicht mehr zu fürchten war, blieben die Nachkommen in der altgewohnten Enge, als ob durch die geschlechterlange Entbehrung das Bedürfniß nach Luft und Licht abhanden gekommen wäre. Nun zog vielmehr das Aufblühen friedlichen Verkehrs und gewinnbringender Erwerbsthätigkeit immer mehr Menschen in den beschränkten Ring der Städte als in einen Mittel- und Knotenpunkt zusammen. Eine Folge davon war, daß die Häuser immer höher, die Gärten und Höfe immer enger wurden. Die Straßen, diese gemeinschaftlichen Luftadern, glichen engen Spalten, die Höfe tiefen Schachten, während selbst halb unterirdische Baulichkeiten und ganz unterirdische Keller zur Abhülfe der Wohnungsnoth herbeigezogen werden mußten.

Durch Abfall- und Auswurfstoffe von Jahrhunderten, für

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_301.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)