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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Ausführung des herrlichen statuarischen Werkes, des Siegesdenkmales auf dem Kreuzberge, ihre Leistungsfähigkeit bewiesen. Aber sie hatte die vielbeklagten Mängel jedes königlichen mercantilen Instituts, das, weil es für sein Bestehen nicht zu sorgen braucht, im Publicum keine neuen Bedürfnisse schafft und die vorhandenen, milde gesagt, nur mit gleichgültiger, vornehm thuender Gefälligkeit befriedigt. Königliche Beamte sind selten – man glaubt es wenigstens – gute, zuvorkommende Geschäftsleute. Das Geschäft scheint für sie da, nicht sie für das Geschäft.

Egells hatte in den zwanziger Jahren eine Maschinenbauanstalt und die „Neue Berliner Eisengießerei“ gegründet. Sie hatte vollauf zu thun, als Borsig im Herbste 1825 mit gründlichen Kenntnissen und flammender Begeisterung für den Maschinenbau als schlichter Maschinenbauer in dieselbe eintrat. Er erlernte von Grund auf den praktischen Maschinenbau, arbeitete in der Gießerei, zeichnete und projectirte viel, und nicht lange, so wurde er Monteur, Werkführer, Factor und endlich an dem Geschäfte interessirter Dirigent.

Um diese Zeit war der Bau von Eisenbahnen für Deutschland eine Lebensfrage geworden. Die Vortheile, welche England, Belgien, Frankreich aus ihnen gezogen hatten, drängten Borsig bei seinem Arbeitstrieb, seinem scharfen Verstande, seiner Auffassungs- und Combinationsgabe, unabhängig von jedem Einfluß Anderer seine eigene Maschinenbauanstalt am Oranienburger Thor mit einem erarbeiteten Vermögen, das kaum fünftausend Thaler übersteigen mochte, zu gründen.

In Bretterschuppen wurden die ersten Maschinen gebaut, die dazu nöthigen Dreh- und Bohrwerke durch ein Fußwerk getrieben; die Zahl aller Arbeiter betrug kaum fünfzig. Im nächsten Jahre war der Bau der Eisengießerei beendet und die erste Dampfmaschine zu deren Betrieb aufgestellt. Anfangs lieferte die Fabrik Eisengußwaare aller Art, vorzugsweise stehende Dampfmaschinen. Der deutsche Locomotivenbau hatte bei Borsig’s erster Thätigkeit die beschwerlichste Concurrenz mit dem Auslande zu bestehen, wo Erfahrungen, die reichsten pecuniären Hülfsmittel, die besten Materialien zu billigeren Preisen zur Verfügung standen, und wie gewöhnlich hatte das Ausland in unserer deutschen Heimath ein größeres Vertrauen. Bis zum Jahre 1846 waren auf deutschen Eisenbahnen, wenige vereinzelte Ausnahmen abgerechnet, nur ausländische, namentlich englische und amerikanische Locomotiven in Gebrauch.

Unter solchen Umständen mußte das Unternehmen, den Locomotivenbau bei uns heimisch zu machen, allerdings als ein sehr gewagtes erscheinen. Es gehörte ein nicht gewöhnlicher Muth und Scharfblick, eine unbeugsame Ausdauer dazu. August Borsig besaß alle diese Eigenschaften in hohem Maße. Die erste Locomotive, zu deren Vollendung er ein Jahr brauchte, ging im Jahre 1841 aus der Anstalt, die hundertste 1846, die fünfhundertste 1854, also in seinem Todesjahre.

Der große Bedarf von Schmiedeeisen, welches in der nothwendigen Güte nur von England bezogen werden konnte, hatte bereits den „alten Borsig“ bestimmt, eigene Eisen-, Walz- und Hammerwerke in dem nahen Moabit anzulegen, auch die zeitherige Maschinenbauanstalt der Seehandlung daselbst, sowie weit ausgebreitete Eisen- und Kohlegruben in Schlesien zu erwerben.

So wurde der schlichte Zimmergeselle Borsig der Schöpfer einer neue Industrie. Er hat einen Samen gelegt, für den er den Boden erst fruchtbar gemacht, für dessen Pflege er die Kräfte erst wach gerufen und durch eigene Leistung und Beispiel gebildet.

Aber das Endziel seiner Thätigkeit war erreicht, und seine letzte Arbeitsstunde schlug unerwartet am 6. Juli 1854.

Kaum anderthalb Dutzend Jahre bedurfte Vater Borsig, um in Berlin, Moabit, Schlesien die Anstalten zu schaffen, die in seinem Todesjahre fast drittehalb tausend Arbeitern Beschäftigung und Brod gaben, und deren Arbeiten im letzten Jahre einen Werth von fast drei Millionen Thaler repräsentirten. – –

Albert Borsig war fünfundzwanzig Jahre alt, als er 1854 nach dem unerwarteten Tode des Vaters als einziges Kind die Erbschaft aller weit verzweigten industriellen Anlagen desselben antrat. In dem Gleichmaß seiner Anlagen und Fähigkeiten trat keine einzige besonders hervor; die Harmonie seiner Kenntnisse und Neigungen wurde durch keine Vorliebe für irgend eine specielle Besonderheit von Wirken und Schaffen gestört. Seine Erziehung und Bildung entsprach den reichen Vermögensverhältnissen, der tüchtigen Einsicht und dem arbeitsamen Bürgersinn des vortrefflichen Vaters; die Mutter, eine Frau von bescheidenster Einfachheit, Anspruchslosigkeit und Herzensgüte, hat den einzigen Liebling ihres Herzens nicht verwöhnt und verzärtelt.

Das Leben Stephenson’s, des Erfinders der Locomotive, zeigt rührende und erhebende Situationen, wie sich der Vater heranbildete an dem Unterricht des einzigen Söhnchens, wie der Mann schon in vorgerückten Jahren noch mit dem Knaben die Elemente formaler Bildung aufnahm, und wie der begabte Jüngling die fruchtreichen Ideen des Vaters in Wort und Zeichnung fixirte. Solche Situationen mögen wohl die stillen Stunden im Hause des alten Borsig nicht verschönt haben. Auch mögen die Erwartungen und Hoffnungen, die sich an den jungen Zweig des alten Stammes anrankten, nicht allzu üppig gewesen sein. Aber wir wissen ja, daß auch Linné’s Genie lange so verhüllt war, daß sein Vater ihn zu einem Schuhmacher in die Lehre bringen wollte – daß auch Newton aus gleichem Grunde von der Mutter aus der Schule genommen und für die Landwirthschaft bestimmt werden sollte – daß es auch im Kopfe Alexander von Humboldt’s „erst spät licht geworden“.

Albert Borsig hat die Hinterlassenschaft des Vaters mit Pietät angetreten, und weder aus Eitelkeit noch aus Anmaßung und Ueberhebung die Schöpfungen desselben reformatorisch angetastet. Alles blieb, wie es bisher gewesen; Alles ging in dem bisherigen Geleise unverändert und stetig vorwärts.

Trotz der unsicheren politische Verhältnisse wurden die Bedürfnisse immer größer; der vermehrte Eisenbahnverkehr führte den Maschinenbauanstalten aus dem Inlande und den Zollvereinsstaaten zahlreiche Aufträge zu. Namentlich galt es die Anlage vieler neuen Eisenbahnen und die reichere Ausrüstung schon bestehender. Hierzu kamen ferner die zahlreichen neuen Aufschlüsse von Kohle- und Eisensteingruben am Rhein, in Westfalen und Schlesien, die den Berliner Anstalten noch auf mehrere Jahre Bestellungen zuführten.

Inzwischen hatte die Leistungen des Maschinenbaues außerordentlich gewonnen. Die Durchbildung der Arbeiter, die Technik der Ausführung zeigte den musterhaftesten Fortschritt. Ganz enorm waren namentlich die Bedürfnisse der Eisenbahnen, die zur eigentlichen Specialität der Borsig’schen Werkstätten gehörten und noch gehören, namentlich der Locomotivenbau.

Der junge Borsig hat allein im Jahre 1855 hundertdreizehn, und 1857 gar hunderteinunddreißig Locomotiven fertig hergestellt. Die sechshundertste Locomotive erhielt auf der Pariser Weltausstellung (1855) die große goldene Medaille. Die tausendste ward am 21. August 1858 vollendet. Das großartige Industriefest, durch welches die Anstalt dieses Arbeitsziel feierte, ist im Jahrgange 1858 der „Gartenlaube“ (S. 541 f.) ausführlich geschildert. Nach kaum neun Jahren, am 2. März 1867, lief die zweitausendste, und am Todestage Albert Borsig’s waren etwa dreitausendsiebenhundert (nicht, wie es übertrieben in den Tagesblättern hieß: zehntausend) aus den Werkstätten hervorgegangen.

Doch sind es nicht Locomotiven allein, die in den Borsig’schen Anstalten gebaut werden. Auch Brücken, Dächer, Kuppeln, Maschinen und Geräthe von sinnigster Construction und sorgsamster Ausführung sind hier fort und fort in Arbeit.

Selbstverständlich mußte, um so Großes zu leisten, die Anstalten, die der „junge“ vom „alten Borsig“ übernommen, sehr wesentlich erweitert werden, in räumlicher Ausdehnung, in allen einzelnen Partien der ausführenden Technik, in der ganzen inneren Organisation ihres Zusammenhanges. Wir bescheiden uns, nur einer solchen Erweiterung zu gedenken, der Anlage und der Eröffnung des Walzwerkes zu Borsigfelde im Beuthner Kreise in Oberschlesien.

Bereits der „alte Borsig“ wollte die schlesischen Eisenerze besser verwerthen und die Industrie seiner arbeitsamen Landsleute fördern. Die Mehrzahl seiner Arbeiter in Moabit waren Schlesier. Noch kurz vor seinem Tode kaufte er bei Gleiwitz ein bedeutendes Territorium, um hier die Kohlen und Eisenerze auszubeuten. Der „junge Borsig“ setzte die Arbeit beharrlich fort, legte Hochöfen an, Hütten- und allerlei Werke und kurz eine weit ausgedehnte Arbeiterstadt, die Fabrikcolonie Borsigfelde. Er führte dieselbe nach eigenen Ideen und Plänen zu einer Zeit aus, als eine ganz außerordentliche Steigerung des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_300.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)