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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

von der man auf einer gut angelegten Treppe in einen unterirdischen Raum gelangte. Dort fand man auf einem Bette eine jammernde Frau, welche die Mönche bei der Flucht vergessen hatten und die nun dem Verhungern nahe war. Man versuchte sie zu beleben, aber erst nach mehreren Tagen gewann die Aermste einige Kraft zum Sprechen. Sie gab sich als die Frau eines Kaufmanns zu erkennen, welche seit sechszehn Jahren, nachdem sie eines Tages in die Beichte gegangen, spurlos verschwunden war. Der trostlose Mann und vier kleine Kinder mußten schließlich annehmen, daß sie verunglückt sei. Es war ein Glück, daß sie bald in den Armen ihres Sohnes sterben durfte und daß ihre Seele nicht die entsetzlichen Erinnerungen an durchlebte Scenen der Vergewaltigung und Schmach länger mit sich herumtragen mußte.

Wenn man das geistliche Leben und Treiben in der Republik von dieser Seite beleuchtet, dann kann man freilich die Verdienste eines Mannes, wie Benito Juarez, nicht hoch genug anschlagen, der das Alles that ohne den geringsten Vortheil für sich selbst. Wem die damaligen Verhältnisse in Mexico bekannt sind, wer es mit angesehen hat, wie hier die Clericalen wie überall, wo sie zu Gewalt und Herrschaft gelangen, das Volk unterjochten, jeden Aufschwung desselben unterdrückten und Bildung und Aufklärung nicht aufkommen ließen, der wird den Muth eines Staatslenkers doppelt bewundern, der einen so gewaltigen Schritt vorwärts that, wie vor ihm kein Einziger ihn zu versuchen gewagt hätte.

Die Stadt Mexico, welche fast in allen Straßen ein Kloster aufzuweisen hatte, in welchem eine Unzahl Menschenkräfte brach lag, nahm einen ganz anderen Charakter an, als diese Stätten des Müßiggangs, der Unsitte und Heuchelei dahinsanken und an ihrer Stelle freundliche und heitere Häuser aus der Erde wuchsen. Zahlreiche Arbeiter fanden dabei Beschäftigung, und die Republik hätte sicher durch diese Maßregel einen gewaltigen Aufschwung genommen, wenn nicht abermals die Kirche mit aller Macht ihre Parteien in’s Feld geführt und ein dreijähriger Bürgerkrieg jeden aufkeimenden Wohlstand vernichtet hätte. – Es war fast, als ob ein unseliger Stern über dem wunderschönen Lande leuchtete, welcher ihm trotz seines wolkenlosen Himmels und der überreichen Pracht seiner Erde ein ewiges Verderben geschworen.

Als endlich der Clerus geschlagen war und die Republik mit ihren Führern als Siegerin dastand, da suchte er Hülfe und Schutz bei Frankreich und kam mit der Bitte zur guten Stunde. Napoleon schickte seine Franzosen in das Land, fragte nicht, was daraus werden sollte, und opferte mehr, viel mehr Leute, als jemals bekannt wurde, allein durch das Fieber. Die republikanische Regierungsform wurde zerstört und dem edelsinnigen österreichischen Erzherzog die Dornenkaiserkrone auf das unglückliche Haupt gedrückt. Die leise rauschenden Meereswellen, welche sein schönes Schloß Miramar umspülten, mochten ihm wohl bis dahin nichts zugeflüstert haben, als süße Märchen von ewigem Glück und Frieden. Sie hatten ihm nichts erzählt von dem wüthenden Parteikampfe, dem priesterlichen Haß und der armen, unter jahrelangem Pfaffendrucke verkommenen Nation, deren Ruhm und Größe er so hochherzig zu gründen vermeinte. Es war ein wahrhafter Glückstraum, an dem er zu Grunde ging, wie Unzählige, welche einer Idee leben wollen und daran sterben müssen.

Juarez, der bekanntlich am 18. Juli 1872 in Folge eines Schlagflusses aus dem Leben geschieden, glaubte dem Kaiser Maximilian gegenüber nicht anders handeln zu dürfen, als er es gethan. Er selbst setzte Gut und Blut hundertmal ein, um das Volk von der zermalmenden Schwere der clericalen Partei zu befreien, und eine Genugthuung, wie ihm keine schönere werden konnte, mußte es ihm sein, daß Maximilian selbst eingestand: „es gehöre zur Grundbedingung der staatlichen Einheit Mexicos wie aller anderen Staaten und Länder, jede Ueberzeugung und Religionsübung zu schützen aber den Uebergriffen geistlicher Anmaßung und priesterlichen Hochmuths für immer die stärksten Riegel vorzuschieben.“





Die beiden Borsig.


Borsig! – Labyrinthe von imposanten Fabrikanlagen und Werkstättburgen, Wälder von Schornsteinen, rastlos arbeitende Dampfmaschinen, flammende Puddelöfen, betäubend dröhnende Eisenhämmer, dazu ein Heer von Arbeitern: markige Cyklopengestalten, Schmiede, Schlosser, Bohrer, Dreher, Fräßer, Gießer, Zimmerer, Tischler; sodann eine Schaar von Zeichnern, welche die Gedanken des Meisters fixiren, – schnaubende Locomotiven, die mit unabsehbaren Wagenzügen über festgefugte Eisenbrücken rasseln; kolossale Pumpwerke, welche Seen auf Bergeshöhen heben, um sie von hier in tausendfachem Geäder in Wasserleitungen, Fontainen, Ueberrieselungen abströmen zu lassen, – eine fürstliche Wohnung mit blühenden Gärten, Treib- und Palmenhäusern, deren hochaufragende Eisensäulen mit dem Schaft schlanker Cedern wetteifern, mit Anlagen, wo der feine Geschmack des kunstverständigen Besitzers sich in jedem Blumenbeete, jeder Fontaine, jedem Pavillon, jeder Bank und tausend einzelnen Zierstücken stets auf’s Neue bethätigt – Vorstellungen von großen Bedürfnissen, großer Productivität, rapidem Wachsthum der sich an einander reihenden Erfolge, – alle diese Bilder und Anschauungen, sie steigen vor uns auf wie wechselnde, märchen- und feenhafte Zaubererscheinungen bei dem bloßen Klange des Namens – Borsig.

Zwei Träger dieses Namens sind die Zierden, der Ruhm und der Stolz deutscher Eisentechnik, deutschen Locomotiven- und Maschinenbaues: August Borsig, der Vater, „der alte Borsig“, und Albert Borsig, der Sohn, gewöhnlich „der junge Borsig“ genannnt. Beide, Vater und Sohn, sind in den besten Mannesjahren aus dem Leben geschieden. Der Vater, der Begründer der weltberühmten Fabrikanlagen, hatte, als er am 6. Juli 1854 sein Auge geschlossen, das fünfzigste Lebensjahr nur um wenige Tage überschritten; der Sohn, der Nachfolger und Erweiterer aller dieser Anstalten, hatte dieses Alter an seinem Todestage, den 9. April dieses Jahres, noch lange nicht erreicht.

Der vor kurzem erfolgte Heimgang Albert Borsig’s macht uns einen Rückblick auf sein Leben zur wehmuthsvollen Pflicht. Aber sein Leben, sein Schaffen und Wirken ist mit dem seines großen Vaters eng verbunden, wie Krone und Stamm eines und desselben Baumes. Man kann nicht vom Sohne reden, ohne auch zugleich des Vaters zu gedenken.

August Borsig, der Vater, ursprünglich Zimmergesell, kam 1824 nach Berlin, um sich hier im Gewerbe-Institut mehr, als es sonst gewöhnlich Handwerker zu thun pflegen, in der Baukunst auszubilden. Aber unglaublich: nach anderthalb Jahren wurde er aus der Schule ausgewiesen, weil ihm bei seiner einseitigen Vorliebe für das Studium der Mechanik das Verständniß für die Chemie fehlte. – Armer Zimmergeselle!

Auch für den Dienst des Königs wurde der mit einem wahrhaft athletischen Körperbau ausgestattete junge Mann nicht tauglich befunden „wegen seines zu dicken Halses,“ der für die vorschriftsmäßige Kragenbreite der Uniform zu kurz war.

So hart die Ausweisung aus der Schule für Borsig war, so ist ihm nachgerade von dem obersten Leiter derselben, von dem Geheimenrath Beuth, doch nichts Aergeres widerfahren, als Alexander von Humboldt von Schiller, als Fichte von Goethe. Schiller sagte von Humboldt: „er werde nie was Großes leisten, er habe für seinen Gegenstand ein viel zu grobes Organ und sei dabei ein viel zu beschränkter Verstandesmensch.“ – Goethe hatte als Weimarischer Minister Fichte von seiner Professur der Philosophie in Jena abgesetzt und gesagt: „aus Fichte wird nichts; Fichte ist für sich und die Welt verloren.“ – –

Nun, wir haben’s anders kommen sehen. Humboldt wurde nichts weniger als eben – Humboldt; der in Jena abgesetzte Professor Fichte ging nach Berlin und erhob hier seit 1801 mit in erster Linie das deutsche Volk gegen die Napoleonische Gewaltherrschaft, und Borsig wurde nichts weniger als eben – Borsig.

Die Eisenindustrie in Berlin war zu jener Zeit kaum aus dem Stadium der Kindheit herausgetreten Die königliche Eisengießerei, 1803 gegründet, hatte allerdings bereits 1821 in der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_299.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)