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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

ist Alles aus. Von meiner Art, von meinem Wesen geht nichts über auf folgende Geschlechter; mein Blut verrinnt, wie der Quell der Oase versiecht im glühenden Sande der Wüste.“

Er schwieg einen Augenblick. „Es ist ein trauriges Gefühl,“ sagte er dann, „das Ende einer Reihe zu sein. Sie denken, ich hätte mich verheirathen können. Sie denken, daß ich einsam stehe, weil ich es selber so gewollt habe?“ Dabei zog er eine Rose von seltener Schönheit zu sich her und versenkte sich eine Weile in den Duft derselben. Dann ließ er sie zurückschnellen und fuhr fort: „Wenn die Liebe nicht gewesen wäre, verschmähte Liebe! Das hat mir die Seele verbittert und das hat mir den Muth genommen, bis es zu spät war. Und nun ist es vorbei und auf ewig dahin. Heirathen Sie, heirathen Sie, junger Mann, sobald Sie es vermögen, damit Ihr Blut nicht hinweggelöscht wird von dieser Erde! Dann werden Sie noch leben und wirken, wenn Alles, was von mir als Rest blieb mit jenem bunten Häuschen von Stein, das Sie kürzlich sahen, längst vertilgt ist und vernichtet.“

Ich vermochte nichts zu antworten – was sollte ich auch sagen? Er schien auch keine Antwort zu erwarten, sondern verrichtete seine Arbeit schweigend und ohne mich anzusehen.

Wir kehrten in das Studirzimmer zurück, und nach einer kleinen Weile verabschiedete ich mich. Als ich das kleine Gartenthor geschlossen hatte, tönten aus dem Hause die eindringlichen Klänge des Harmoniums zu mir her. Ich stand noch eine Weile und lauschte. Es war die Weise des alten Chorals: „Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen.“




Ich habe Daniel Siebenstern nicht wieder gesehen. Bald nach diesen Besuche verließ ich Berlin, und als ich bei meiner Rückkehr den Alten wieder aufsuchen wollte, war er gestorben.

Von seiner alten Haushälterin erfuhr ich die näheren Umstände seines Todes. Er war in eine schwere Fieberkrankheit gefallen, und die Alte hatte sich einen Krankenwärter zur Hülfe genommen. In der Nacht des Todes war nach einem starken Anfalle eine Ruhepause eingetreten und der Wärter war eingeschlafen. Als er plötzlich in jähem Schrecke aufwachte, war das Bett leer und der Kranke fort. Den Mann überfiel die Angst; er suchte und fand, daß die Thür nach dem Gange zu offen war. Er blickte hinaus und sah am Ende des Ganges einen hellen Lichtschein. Da er sich fürchtete, weckte er die Wirthschafterin, und sie gingen Beide in das Blumenzimmer. Dort brannten alle Lichter, und Herr Daniel Siebenstern lag in seinem Sarge und war todt.

Er hatte seiner Wirthschafterin ein Legat ausgesetzt, und sein ganzes Vermögen für eine Stiftung zur Ausstattung armer Brautpaare bestimmt.

Im Winter war er gestorben; es war Frühling, als ich dies erfuhr. An einem der nächsten Tage ließ ich mir die Capelle aufschließen und stattete dem Alten den letzten Besuch ab. Jetzt war der Tag des Todes ausgefüllt:

„Gestorben Berlin den 15. Januar 1876.“

Er hatte genaue Bestimmungen über sein Begräbniß getroffen. Seine Leiche war einbalsamirt worden. Blumen sollten nicht auf seinen Sarg gelegt werden, weil das die Luft dumpfig macht. Ich stand eine ganze Weile in dem stillen friedlichen Raume. Es war dort nichts als das große ewige Schweigen und das Licht der freundlichen Sonne. Von draußen kamen einzelne ferne Töne von spielenden Kindern, und auf einem Baumaste, der sich über die Kuppel hinstreckte, sang unermüdlich eine kleine Grasmücke.

So wird er nun liegen, wie er es sich gewünscht, im Scheine der Sonne oder im Lichte des Mondes einsam und friedlich, bis der große Sturmwind kommt, der auch ihn und sein kleines Haus hinwegkehrt.





O wär’ das erste Wort vorbei!
(Mit Abbildung S. 283.)


Nicht war’s des Vaters rauher Ton,
Vor dem ich in die Welt entfloh’n.

Es war der Mutter Hand, so weich,
Das Herz, so lieb- und sorgenreich –

Der Mutter Mund, ihr flehend Wort,
Das trieb mich in die Fremde fort.

Die Lieb’ hat uns den Sinn verwirrt:
Wir haben, o Mutter, frevelnd geirrt –

In Deiner Liebe hast Du geglaubt.
Die Liebste hätt’ mich Dir geraubt!

Und weil Du versagtest uns Glück und Stern,
So floh’n wir so weit und zogen so fern!

Zehn Jahr’ in Lieb’, in Leid und Noth –
Mein Weib ist todt, mein Kind ist todt. –

Dein blühender Sohn, Dein einziges Glück –
Ein Bettler kehrt er Dir zurück!

Wie werd’ ich vor Dir, Du Hohe, stehn!
Wie wird Dein Auge auf mich seh’n!

Dein starrer Blick – Dein Weheschrei –
O, wär’ das erste Wort vorbei!

 Fr. Hofmann.





Die todte Königin der Adria.


Ich spreche nicht von Venedig. – Die zaubervolle Lagunenstadt ist eine trauernde Wittwe, eine alte Frau, welche ihren Gram und ihre Greisenschwäche hinter dem prächtigen Schmuck und Gewand aus stolzen Jugendtagen zu verbergen weiß und ihr Brod oft in Thränen ißt, wenn sie überhaupt eines zu essen hat; Venedig hat die Königskrone der Adria abgeben müssen an die lebensfrische, üppig blühende Tochter jenseits des Meeres, an das reiche, junge Triest: aber todt ist sie nicht, die Lagunenstadt.

Wer ist die todte Königin, von welcher die Ueberschrift spricht? – Es ist die Großmutter Triests, die Mutter Venedigs und die Nachbarin von Beiden; es ist: Aquileja.

Die reiche, große, wehrhafte Handelsstadt, deren Name in drei Welttheilen wiederhallte und im römische Reiche jedem Kinde bekannt war – sie ist heute so vergessen und verschollen, daß man es nicht einmal der Mühe werth hält, ihren Namen vollständig auszuschreiben. Auf Hendschel’s Karte steht zwischen der Eisenbahnstation Monfalcone und dem Hafenort Grado nur ein großes A mit einem Punkte – das bedeutet Aquileja. Dort wohnen jetzt an den Kanälen Della Vergine und Anfoca etwa sechshundert arme Leute, die sich als Fischer und Schiffer ernähren.

Betrachten wir den Lebenslauf dieser merkwürdigen, heute noch drei Quadratmeilen mit ihren Trümmern bedeckenden Stadt, wie sie aus einem kleinen Anfang heranwuchs, das bedeutendste Handelsemporium des römische Reiches wurde und endlich auf jenes große A mit dem Punkte herabsank!

Ungefähr um das Jahr 182 vor Beginn der christlichen Zeitrechnung legte der römische Senat an dem Ufer des Flusses Timavus ein befestigtes Lager (castrum) an und benutzte den schönen Hafen von Gradus (heute Grado) zur Gründung einer Colonie. Colonisten aus Latium wurden nach dem günstig gelegenen Küstenstriche gebracht und bald liefen waarenbeladene Schiffe dort ein und aus, während auf den Landstraßen die Handelsleute aus Ungarn, Kärnthen und Italien sich mit ihren Waarenzügen heran bewegten und in der neuen Stadt, hinter den wuchtigen Befestigungen des Castrums zu Tausch und Kauf zusammentrafen. Ein Adlerflug, welcher glückverheißend gedeutet wurde, hatte der jungen Colonie den Namen Adlerstadt oder Aquileja eingetragen, und sechshundert Jahre behielt die Weissagung Recht. Aquileja blühte, wuchs und gedieh, selbst dann noch, als die anderen Städte des römischen Reiches dem Verfall bereits mit großen Schritten entgegengingen.

Schon unter Augustus soll Aquileja hunderttausend Einwohner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_282.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)