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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Kinder fröhlich nach ihnen langten und die Liebenden sie sich zärtlich darboten. Das ganze Rankenwerk entsprang der Thür gegenüber aus dem grinsenden Munde eines mit Rosen bekränzten Todtenschädels und kehrte dahin auch wieder zurück.

Ich schwieg eine ganze Weile, in die Betrachtung dieses Kunstwerkes versenkt, und der Alte stand zur Seite und beobachtete mich freundlich.

„Ein heiterer freundlicher Raum, anders als alle dieser Art, die ich bis jetzt gesehen,“ sagte ich endlich.

„Nichtwahr,“ antwortete der Alte hastig, „ist es nicht ein anmuthender Gedanke, hier zu ruhen auf ewig im freundlichen Tageslicht oder im stillen Schein des Mondes, statt in den dumpfen moderigen Löchern, oder in finsteren unterdischen Gewölben?“

Mein Blick fiel auf eine goldene Inschrift, die an der Wand angebracht war:

Hier ruht

Daniel Siebenstern

geb. Berlin, den 24. Januar 1807

gest.          den                     ;   

der Tag und Ort des Todes war unausgefüllt.

„Für so alt hätten Sie mich wohl kaum gehalten?“ sagte er dann, „achtundsechszig Jahre. – Das macht das schwarze Haar; es conservirt.“

Mir kam plötzlich die Erleuchtung: dies war des Alten eigene Capelle.

„Sie selbst ...?“ fragte ich verwundert.

„Dies wird einmal meine Wohnung sein, wenn ich nicht mehr bin,“ antwortete er. – Lebhaft fuhr er dann fort: „Alles nach eigenen Angaben, düster von außen, freundlich nach innen. Es ist lange daran gebaut worden, und es war eine heitere Zeit für mich. Es fehlt mir etwas, seit dieses Häuschen fertig ist.“

Die Dämmerung war hereingebrochen. Wir wandten uns wieder zum Gehen. Der Kirchhof war bereits verschlossen, als wir an das Thor kamen; der Alte nahm einen Schlüssel hervor und öffnete die Pforte. „Ich bin hier zu Hause,“ sagte er. Als wir uns trennten, meinte er: „Also über Hoffmann sind wir im Allgemeinen einig? Ich habe alle Ausgaben seiner Bücher von ihm selbst illustrirt, Federzeichnungen und sonstige Seltsamkeiten, auch einige Musikalien; wenn Sie mich einmal besuchen wollen, so will ich Ihnen Alles gerne zeigen.“ Dann beschrieb er mir den Weg zu seinem am Kreuzberg gelegenen Häuschen und verabschiedete sich. – –

Kurze Zeit nachher führte mich ein Geschäft in die Gegend des Kreuzberges. Als ich nach Beendigung desselben noch ein wenig dort umherwanderte, fiel mir ein, daß der alte Herr hier seine Wohnung habe, und als ich meine Augen erhob, fielen sie auf eine alte eiserne Gitterthür, welche ein Messingschild trug mit der Inschrift: Daniel Siebenstern. Die Pforte war in einer Mauer angebracht, welche einen ziemlich verwilderten Garten umschloß, und durch das Gitter sah man hinter dichten Gebüsch ein Haus liegen. Ich zog kurz entschlossen die Glocke. Ein rostiger alter Drahtzug setzte sich nach einer Weile kreischend in Bewegung, und die Thür sprang auf. Ich ging den grasbewachsenen Steig entlang, um das Haus zu erreichen – da trat mir der Alte auf einem Seitenwege entgegen. Er sah mich eine Weile forschend an; plötzlich erkannte er mich und streckte mir die Hand entgegen.

„Ah, mein junger Freund, Sie halten Wort,“ sagte er, „ich glaubte nicht, daß Sie kommen würden. Sie werden nicht viel Schönes bei mir sehen; mein Haus ist alt und verfallen – warum sollte ein alter einsamer Mann eine Wohnung kostbar schmücken, die er so bald verlassen wird? – Mein Garten ist seinem eigenen Willen überlassen, wie Sie sehen.“ Und er bog vorsorglich einen Ast bei Seite, der mir den Weg versperrte.

Ich meinte, es sei eine Erfrischung in Berlin, nach all den wohl gezogenen Paradebeeten und mathematischen Kugelakazien und Pyramidenbäumen einmal ein wenig Natur zu sehen.

„Gewiß,“ meinte er, „aber die Cypresse ist doch ein schöner Baum?“

Ich theilte nun allerdings diese Ansicht nicht, allein er wartete auch meine Antwort gar nicht ab, sondern sprang auf ein anderes Thema über.

Es war ein trüber Sommernachmittag; nachdem wir eine Weile in dem Garten umherspaziert waren, fing es leise an zu tröpfeln, und er lud mich ein, in sein Haus zu treten. Ein alter, häßlicher Rococobau mit seltsam verschnörkelten Fensterkrönungen; allerlei Vasen- und Guirlandenwerk war daran angebracht. Ueber der Eingangsthür hielten zwei sehr aufgeregte Steinengel ein einfaches Wappenschild, welches sieben Sterne zeigte. Der Alte führte mich in sein Studirzimmer. Ein ziemlich großer Raum mit uralten Möbeln, deren eingelegte Arbeit durch das Dunkel der Jahre fast verschwunden war. An den Wänden zogen sich Bretter über Bretter hin, welche mit einer unglaublichen Menge von Gegenständen belastet waren. Ein großes Harmonium, das einen hellen Fensterplatz einnahm, fiel durch sein modernes Aussehen besonders auf. Als ich Platz genommen hatte, ging Herr Siebenstern an einen braunen Schrank und holte eilfertig und mit zitternden Händen eine Krystallflasche mit spanischem Wein und zwei alte venetianische Spitzgläser herbei. Nachdem er eingeschenkt hatte, kehrte er an den Schrank zurück und klapperte und kramte darin eine Weile, immer mit der hastigen Unruhe eines Menschen, der nicht daran gewöhnt ist, Gäste bei sich zu sehen. Er füllte dort einen silbernen Teller mit Smyrnafeigen, arabischen Datteln, Rosinen aus Malaga, eingezuckerten Früchten und echten Nürnberger Lebkuchen und lud mich freundlich dazu ein. Während ich mich mit diesen Dingen, die einen eigenthümlichen Duft der Fremde um sich verbreiteten, beschäftigte, war der ruhelose Alte in ein Nebenzimmer geschlüpft und kam nun mit den früher erwähnten Büchern und Zeichnungen von Hoffmann zurück. Aber auch dabei hatte er nicht lange Ausdauer. Der Regen draußen hatte nachgelassen; die Sonne glitt hinter den Wolken hervor und ließ draußen die regenblanken Blätter in funkelndem Lichte erglänzen, während sie inwendig in den dämmerigsten Ecken des großen Zimmers leuchtende Klarheit verbreitete. Dadurch wurden meine Augen auf den tausendfachen Inhalt der großen Wandbehälter gelenkt. Sie enthielten eine schöne Sammlung in Gräbern gefundener Alterthümer, und Herr Siebenstern war sofort bei der Hand, auf einer kleinen Leiter, so eilfertig, wie es sein Alter erlaubte, auf und nieder zu steigen und mir die besten Stücke vorzuzeigen. Diese Sammlung dehnte sich bis in sein Schlafzimmer aus, in welches er mich jetzt führte. Herr Daniel Siebenstern brachte seine Nächte in Gesellschaft vieler Graburnen, mannigfacher Schädel unserer Vorfahren und einer ägyptischen Mumie zu. Am Kopfende seines Bettes stand ein sauberes, schneeweißes, menschliches Skelet; es trug ein Licht in seiner Knochenhand. Der Alte bemerkte, daß meine Blicke darauf ruhten.

„Ich lese gern des Abends im Bette,“ sagte er, „da ist es sehr angenehm, wenn man die Beleuchtung hinter sich hat.“ Und er schob den Arm, der das Licht hielt, in die richtige Stellung. Es war offenbar, daß ihn durch sein einsames Leben und die lange Gewöhnung der Gedanke, daß dies doch am Ende eine etwas schauerliche Art von Leuchter sei, ganz abhanden gekommen war. Ich machte eine derartige Bemerkung.

„Es ist merkwürdig,“ meinte er, „viele Menschen haben am meisten Furcht vor dem, was todt ist, während doch einzig und allein Gefahr kommen kann von denen, die leben. Was hat der Tod Erschreckendes? ‚In Bereitschaft sein ist Alles‘, sagt Hamlet. Sie wissen, ich bin bereit, ja mehr noch, als sie denken. Kommen Sie!“

Und er stand schon in der Thür und winkte mir, ihm zu folgen. Er schritt vor mir her einen langen dämmerigen Gang hinunter. Am Ende desselben öffnete er eine Thür, daraus glanzvolle Helle hervorbrach, und bat mich einzutreten. Ein sonnniges Blumenzimmer nahm uns auf. Die Wände waren ganz mit Epheu und rankenden Schlinggewächsen überkleidet und ringsum war der Raum erfüllt mit den seltensten und schönsten Pflanzen, die ihre Blätter und schimmernden Kelche mit Behaglichkeit dem Scheine der Sonne darboten. In der Mitte des Raumes war ein Postament, besetzt mit den köstlichsten Blumen; daraus zeigte sich ein kostbarer Sarg, von mächtigen Wachslichtern in schöngearbeiteten Bronzeleuchtern umgeben. Der Alte nahm eine Gießkanne und begoß die Blumen. Während dieses Geschäftes sprach er in Absätzen, wie für sich, kaum als wisse er, daß ich zugegen sei: „Wenn ich sterbe, ist mein Name und Geschlecht ausgelöscht, wie die Funken laufen in einem verbrannten Stück Papier; zuletzt glimmt einer noch eine Weile, und dann

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_281.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)