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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Um hohen Preis.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Gabriele schloß die Thür hinter sich und trat ein. Sie war im einfachen weißen Morgenkleide, aber weder diese Einfachheit, noch das graue, trübe Licht des Herbsttages vermochten es, den Liebreiz ihrer Erscheinung zu beeinträchtigen. Das gestrige Fest hatte bei ihr auch nicht die geringste Spur hinterlassen; ihre elastische Jugend kannte noch keine Müdigkeit und Abspannung. Das Gesicht war so blüthenfrisch wie immer, und jetzt lag noch die leise Röthe der Erregung darauf, denn es war für das junge Mädchen kein Geheimniß mehr, was in dieser Unterredung zur Sprache kommen sollte. Es war, als fiele mit der hellen, leichten Gestalt ein Sonnenstrahl in das düstere Gemach; es schien auf einmal lichter darin zu werden.

Auch der Freiherr mußte einen ähnlichen Eindruck empfangen haben. Er stand auf und ging der Eintretenden einige Schritte entgegen. Der Ausdruck seiner Züge milderte sich bei ihrem Anblicke, und seine Stimme klang wohl noch ernst, aber nicht mehr streng, als er sagte:

„Ich habe verschiedene Fragen an Dich zu richten, Gabriele. Ich gab Dir schon gestern Andeutungen darüber und erwarte die volle, uneingeschränkte Wahrheit von Dir zu hören.“

Er bot ihr einen Sessel und nahm ihr gegenüber Platz. Die Haltung der jungen Dame zeigte weit mehr Zuversicht als Bangigkeit. Es war ihr freilich gestern Abend klar geworden, daß sie diesmal ihren Willen nicht mit bloßem Trotz und einigen Thränen durchsetzen werde, wie es der Mutter gegenüber stets geschah; dennoch war sie entschlossen, ihre Liebe offen zu bekennen und sich in der Vertheidigung derselben höchst energisch und heldenhaft zu zeigen. Der Freiherr zweifelte ja mit derselben beleidigenden Consequenz wie Georg an ihrer Charakterfestigkeit, und seltsamer Weise gewährte es ihr eine viel größere Genugthuung, den Vormund davon zu überzeugen, als den Geliebten. Vorläufig stand das Romantische der Situation für sie im Vordergrunde und überwog jede Besorgniß vor der kommenden Katastrophe.

„Meine Frage betrifft den Assessor Winterfeld,“ begann der Freiherr. „Du hast ihn in der Schweiz kennen gelernt, wie ich von Deiner Mutter höre. Er kam öfter in Euer Haus, und Du hast vermuthlich viel und zwanglos mit ihm verkehrt.“

„Ja,“ sagte Gabriele, etwas enttäuscht. Die Sache ließ sich vorläufig weder romantisch noch dramatisch an; der Vormund sprach im ruhigsten Tone.

„Hast Du ihn seit Deinem Aufenthalte in R. öfter gesehen und gesprochen?“

„Nur zweimal; das erste Mal, als er der Mama und mir einen Besuch machte, und dann bei dem gestrigen Feste.“

„Sonst niemals?“

„Nein.“

Ein tiefer, erleichternder Athemzug hob die Brust des Freiherrn. „Der junge Mann widmet Dir offenbar eine Aufmerksamkeit, die über die gewöhnliche Galanterie hinausgeht,“ fuhr er fort. „Und Du scheinst das nicht allein zu dulden, sondern ihn sogar zu ermuthigen.“

Gabriele schwieg.

„Ich erwarte Antwort, Gabriele.“

Sie hob das Auge empor: es sprach nicht die mindeste Furcht daraus, wohl aber ein entschiedener Trotz. „Und wenn das nun der Fall wäre?“ fragte sie.

„So wäre es die höchste Zeit, dieser Kinderthorheit ein Ende zu machen,“ entgegnete Raven scharf. „Du wirst Dir doch wohl selber sagen, daß sie unter keinen Umständen eine ernste Wendung nehmen darf.“

Die junge Dame warf sehr beleidigt, aber zugleich sehr entschlossen das blonde Köpfchen zurück. Jetzt war die Entscheidung da; jetzt galt es, sich heroisch zu zeigen und dem Vormunde Respect einzuflößen; er hatte ja noch gar keine Ahnung von dem Ernst der Sache und behandelte sie wie eine flüchtige Tändelei.

„Es ist keine Kinderthorheit,“ versetzte sie mit der größten Bestimmtheit. „Georg Winterfeld liebt mich.“

Das Auge des Freiherrn flammte auf; er erhob sich heftig und kreuzte dann die Arme, wie um sich zur Ruhe zu zwingen, aber seine Stimme klang dumpf und drohend, als er fragte:

„Hat er Dir das schon gestanden? Vielleicht gestern beim Tanze?“

„Er hat mir schon in der Schweiz gesagt, daß er mich liebe,“ erklärte Gabriele.

Raven lachte laut auf; es war ein kurzes, herbes Lachen. „Dachte ich es doch!“ sagte er mit bitterem Sarkasmus. „Also einen förmlichen Roman habt Ihr Beide mit einander gespielt, und das unter den Augen Deiner Mutter, ohne daß sie eine Ahnung davon hatte. Freilich, das sieht ihr ähnlich. Ich bin nicht so leicht zu täuschen – wenn Ihr das beabsichtigtet, so mußtet Ihr Eure Blicke besser hüten; sie sprachen gar zu beredt am gestrigen Abend. Ich halte Deiner Jugend und Unerfahrenheit viel zu Gute, Gabriele; es ist leicht, einem siebenzehnjährigen Mädchen mit einigen Gefühlsphrasen den Kopf zu verrücken,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_271.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)