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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

theilweisen Zerstörung eines zu großen Nicotingehaltes, zur Zersetzung ferner jener eben erwähnten stickstoffhaltigen Materien und zur Entwickelung eines schönen Aromas in große Haufen zusammengeschichtet und, nachdem man sie genügend mit Wasser, respective Salzlösung befeuchtet hat, einer Art von Gährung unterworfen werden. Diese und die Anwendung von sogenannten Saucen (jede Fabrik und jedes Fabrikchen hat ihre eigene als Staatsgeheimniß behütete Sauce) bereitet die Blätter für ihre nunmehrige Bestimmung vor.

Während die Geruchseigenschaften des Tabaks und der Cigarren eigentlich erst durch den Rauchproceß dem Geschmack des Consumenten erschlossen werden, ist das Aroma der Schnupftabake durch eine achtzehn Monate lang währende Präparirungsmethode, durch die im Verlauf derselben statthabenden Oxydationsprocesse, bereits in ganzer Vollständigkeit entwickelt. Hauptsächlich erleiden bei dieser Schnupftabaksgährung die Pflanzensäuren, die Aepfel- und Citronensäure, sowie das Nicotin eine theilweise Zerstörung, während die unlöslichen Stoffe, als oxalsaurer Kalk, Harze, Cellulose etc., kaum verändert werden. Aus den stickstoffhaltigen Materien entwickelt sich reichlich Ammoniak, nebst schwarzen, den Tabak dunkelbraun färbenden Substanzen von saurer Beschaffenheit. Außerdem treten als Gährproducte Essigsäure, kleine Mengen von Methylalkohol und ein angenehmes Aroma auf, dessen Parfüm in Verbindung mit dem des Nicotins und Ammoniaks den charakteristischen Grundgeruch aller Schnupftabake erzeugt.

Anders bei Cigarre und Rauchtabak. Welcher Art, fragen wir uns, ist der Vorgang des Rauchprocesses, der uns hier erst zum Genuß verhilft? Die Beantwortung ist nicht schwer. Zünden wir uns eine Cigarre an! Durch die von Zeit zu Zeit von uns wiederholte Manipulation des Rauchens glimmt dieselbe bis zu ihrer gänzlichen Verzehrung zu Asche ruhig fort. Der dabei auftretende bläuliche Rauch beweist uns zur Genüge, daß die stattfindende Verbrennung nur eine unvollkommene ist. Ehe die der Gluth zunächst liegenden Regionen durch das Feuer in Asche verwandelt werden, verkohlen sie unter Entwickelung von gasförmigen Materien. Sie erleiden eine Art Destillation. Es ist also nicht eigentlich der Tabak, welcher beim Rauchproceß verbrennt, sondern dieses Product der trockenen Destillation – die sich fortwährend erzeugende Kohle. Je mehr dieselbe nun, trotz des stetigen Wärmeverbrauchs, die Temperatur, bei welcher sie Feuer fängt, zu erhalten befähigt ist, desto besseren, desto länger anhaltenden Brand besitzt die Cigarre. Und dieses höchst nothwendige Erforderniß hat seinen Grund wiederum in der nöthigen Porosität unsrer Kohle. Je lockerer dieselbe ausfällt, desto schöner der Cigarrenbrand. Nun hat man die Beobachtung gemacht, daß die Verbrennungsfähigkeit eines Tabaks von dem mehr oder minder großen Gehalt an kohlensaurem Kalium in der Asche abhängt und daß dieser wiederum nur von der Verbrennung organischer Säuren, in unserem Fall von Aepfel- und Citronensäure, herrühren kann. Nicht ein Gehalt an Salpeter ist es, wie oft irrthümlich geglaubt wird, sondern die Gegenwart der genannten Pflanzensalze (äpfelsaures Kalium), welche dadurch, daß sie sich beim Erhitzen aufblähen, die Porosität der Tabakskohle und damit die Fähigkeit derselben erzeugen, längere Zeit die Wärme zu erhalten.

Eine Cigarre, welche Rauchpausen von zwei bis drei Minuten gestattet, gehört, in Bezug auf Brandfähigkeit, zu den besten ihrer Art, die Tugend dagegen, alle halbe Minuten bei Nichtbedienung zu erlöschen, haben die früher erwähnten hohen Berg- und Freundschaftscigarren. Uebrigens findet man unter den Tabaken aller Klimate schlecht brennende Sorten; selbst die geringeren Havanna-Importcigarren der letzten Jahrgänge erfordern eine lästige Aufmerksamkeit, um sie vor dem Erlöschen zu bewahren.

Das, was der Raucher, wenigstens der gebildete Raucher, welcher die Cigarre ohne sie zu zerkauen zwischen den trockenen Lippen hält, im Verlaufe des Rauchprocesses genießt, ist allein der Rauch, das heißt das Product der trockenen Destillation des Tabaks und der Verbrennung der Tabakskohle. Durch das Studium der Zusammensetzung dieser blauen, wohlriechenden Wolken wird das Geheimniß des Rauchgenusses seines Schleiers beraubt. Woraus besteht der Cigarrenrauch?

Nun, außer den gewöhnlichen Producten jeder Verbrennung vegetabilischer Substanzen, außer Kohlenwasserstoff, Kohlensäure, Wasser begegnen wir hier größeren, wahrscheinlich durch Zerstörung des Nicotins erzeugten Mengen von Ammoniak, einigen Säuren, als Essigsäure, Buttersäure, ferner jenen köstlichen, den Werth der Cigarre bestimmenden, brandigt-aromatischen Stoffen von unbekannter Natur, endlich auch außerordentlich geringen, fast unwägbaren Mengen von Nicotin. Ein anständiger Raucher hat daher keinerlei Befürchtungen wegen etwaiger Vergiftung zu hegen; freilich, wer dagegen seine Cigarre zerkaut und aussaugt, bei dem gestalten sich die Verhältnisse anders. Uns überfällt, offen gestanden, beim Anblicke eines solchen zerbissenen Cigarrenstummels immer eine Art von Grauen, aber über den Geschmack ist bekanntlich nicht zu streiten.

Jene brandig-aromatischen Destillationsproducte, das Entzücken des wahren Rauchers, erreichen ihren höchsten Grad von Feinheit und Delicatesse, wie bekannt, in den Cigarren der Havanna. Sie haben die gleiche Bedeutung wie die unerreichbaren Bouquetschätze unserer großen Rheinweine. Aehnlich wie der geschlürfte Johannisberger oder Rauenthaler durch sein kostbares Gewürz einen langwährenden Eindruck, ein nur langsam wieder vergehendes Parfüm im Munde zurückläßt, so erzeugt auch der Rauch einer echten Regalia eine gewisse Fülle auf der Zunge. Das Bedürfniß der Zungen- sowohl wie der Nasennerven wird in vollständigster Weise befriedigt, während man bei kleinen Weinen oder geringen Cigarren vergeblich eine ähnliche Empfindung hervorzuzaubern vermag, auch wenn man noch so viel davon genießt. Man wird wohl berauscht, aber nicht befriedigt.

Die feinen Havannacigarren sind die aromareichsten und nicotinärmsten von allen ihren Schwestern. Sie enthalten von letzterem Stoffe nur zwei Procent, Kentucky und Virginia sechs Procent, Maryland drei. Der Gehalt der heimischen Tabake variirt zwischen zwei bis zehn Procent.

Aber, werden Viele von uns mit Erstaunen fragen, wie reimt sich das eben Erwähnte mit unseren Erfahrungen zusammen? Gerade die Havannacigarren vermögen wir wegen ihrer Stärke kaum zu rauchen.

Diese Bemerkungen entbehren nicht der Wahrheit. Was wir in unsern Cigarrenläden zum Einzelpreise von dreißig bis fünfzig Pfennig pro Stück als Regalia erstehen, ist in der That, seines beträchtlichen Nicotingehaltes wegen, für viele Consumenten zu schwer. Die Verkäufer schützen in der Regel Mißernten auf Cuba vor und können allerdings nichts dafür. Die eigentliche Ursache dieser Erscheinung ist aber die, daß die guten, leichten, aromabeladenen Regalias heutzutage gar nicht mehr in den Kleinhandel gelangen. Jeder ältere Raucher erinnert sich aus früherer Zeit, daß man für verhältnißmäßig wenig Geld vorzügliche Importcigarren erhielt, daß dieselben jedoch mit jedem Jahre schlechter und theurer wurden. Ehemals war der Verbrauch von derartigen Cigarren ein begrenzter; man producirte auf Cuba in Ruhe und Behaglichkeit und bewahrte durch mäßige Anforderungen den Boden vor Erschöpfung. Heute aber will alle Welt Regalias rauchen, die Cultur dieses Tabaks ist in Folge dessen erweitert worden; man nutzt und saugt das Erdreich bis auf’s Aeußerste aus und sucht durch Düngung die Verluste zu paralysiren. Die alte Sorgfalt aber leidet unter der Ueberproduction auf das Empfindlichste, und das Resultat dieser auf Erzielung des höchsten Ertrages gerichteten Bemühungen ist eine bedeutend schlechtere Qualität der Ernten. Zudem gelangen, wie erwähnt, die feineren Sorten, ihrer hohen Preise wegen, nur noch in die Hände einzelner Privaten und der Fürsten.

Unleugbar hat sich indessen die Cultur und Fabrikation der heimischen Producte in den letzten Jahrzehnten bedeutend gehoben. Sie muß bestrebt sein, uns Ersatz für das Verlorene zu schaffen. Wünschen wir daher im eigenen Interesse der inländischen, tausende von Händen bereits beschäftigenden Industrie ein immer kräftigeres Emporblühen!

Der Tabak ist kein Ketzer, kein Verbrecher, sondern ein wahrer Freund, ein Tröster der Menschheit und die dargebotene Pfeife ein Zeichen des Friedens und der Freundschaft.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_250.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)