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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

durch den Saal: der Kronprinz kommt auf ein Stündchen; die Aufführung wird deshalb aufgehalten. Das Gerücht bestätigt sich; die Landsknechte, welche rechts vom Eingange bei ihrem fähnleingezierten Zelte ein mächtiges Faß Bier in Humpen zerlegen, rüsten sich schon, um einen Ehrentrunk zu präpariren.

Aber erst gegen halb zehn Uhr rasseln die Trommeln, und Commandorufe ertönen; endlich tritt die Ehrenwache allein in den Saal. Der Kronprinz hat es vorgezogen, die dort für ihn reservirte Tribüne mit einer der leeren Logen zu vertauschen; oben erscheint über der Balustrade das wohlbekannte Gesicht des leutseligen Fürsten, der nicht zum ersten Male der Gast des Künstlervolks ist.

Trommelwirbel, Fanfaren – im Dogengewande und von Hellebardieren geleitet, erscheint Rudolf Löwenstein, der Kladderadatsch-Gelehrte, und hält mit tönender Stimme die Begrüßungsrede an all das Volk, das zum Canale grande gewallfahrtet; ein Evviva! auf die Kunst, mit dem die launigen Worte schließen, findet jubelnde Aufnahme. Theuerkauf, der in allen Sätteln gerechte Vereinscomponist, dirigirt seine Fest-Ouvertüre, und der Vorhang rollt auf.

In zwei Acten spielt sich der „Tizian Vecellio“ Lohmeyer’s[1] ab, ein geschickt eingefädeltes Intriguenstück, das in poetisch glanzvoller Sprache dem Zwecke des Festspiels gerecht wird: eine weihevolle Stimmung zu Ehren des Titelhelden zu erzeugen und die Entfaltung eines Glanzes von scenischen Mitteln, einer Bilderpracht zu ernöglichen, die berauschend wirkt. Den Höhepunkt der Wirkung bezeichnet die Scene des zweiten Actes, in welcher die ehemalige Königin von Cypern, Katharina Cornaro, in der Verkleidung als Venetia vor dem zur Uebersiedelung nach Rom entschlossenen, weil vom hohen Rath gekränkten Tizian erscheint, um ihn zum Bleiben zu ermahnen. Fräulein Meyer vom Hoftheater hat diese Rolle übernommen; ihre Collegin, Fräulein Hofmeister, spielt die Braut Tizian’s. Auf dem Hintergrunde von Wilberg’s prächtigen venetianischen Landschaften wickelt sich das Stück ab, an den Glanzstellen von lautem Beifalle belohnt und am Schlusse zu dem unerläßlichen Festzuge überleitend, der sich von der Bühne herunter und zweimal um den Saal bewegt. Julius Lohmeyer ist der Erste gewesen, der seiner Zeit mit dem (jüngst auch bei Meister Lessing’s Jubiläum in Karlsruhe aufgeführten) Dürer-Festspiel in Berlin die feierliche Festpracht eingeführt hat, welche in München und Düsseldorf länger schon die dortigen Künstlerfeste mit strahlendem Märchenglanze umgeben. Und in der That: ein solcher Festzug ist von unbeschreiblicher Wirkung. Man höre!

Landsknechte mit Trommeln, Fahnenschwenker, ein Herold, Hellebardiere, Mohrensclaven, die einen mit Siegestrophäen und Gold- und Silbergeräthen reichbeladenen Wagen ziehen, Fahnenschwenker der Bannerträger mit dem Marcusbanner, der Doge, welchem Pagen die Mantelschleppe tragen, mit der ganzen Obrigkeit von Venedig, die fremden Gesandten, die Geistlichkeit, Alles in hoher Gala. Dann der prächtige Triumphwagen der Venetia mit goldenem Thronsessel, auf dem Fräulein Meyer vornehm prächtig als Cornara-Venetia unter ihrer phrygischen Mütze, einen silbernen Dreizack in der Hand, herunter lächelt. Sclaven mit Pfauenwedeln stehen ihr zur Seite; Pagen mit dem goldenen Buche und der Dogenmütze und kleine anmuthige Mädchengestalten in altrömischer Tracht, Rosenkränze im Haar, zieren den Wagen. Tizian (beiläufig: Maler Paulsen in prächtiger Maske) und Cäcilia, seine anmuthige Braut, folgen, dahinter Tizian’s Freunde, Künstler, Nobili und Bürger, ein Wagen mit dem reichausgeführten Schiffsmodell des „Bucentoro“, Schiffsvolk und Fischer, die im Netz ein Ungeheuer von Fisch tragen, endlich Chinesen, Japaner, Assyrier, welche die Spitze ihrer Wachsstockbärte angezündet haben, Flaggen von Cypern und Candia und das Banner des heiligen Theodor, zum Schluß wieder Hellebardiere.

Das ungefähr waren die Bestandtheile eines Zuges, dessen Pracht und Farbenreichthum jeder Beschreibung spottet. Nach seiner Rückkehr auf die Bühne schließt das Ganze mit einer Apotheose des Tizian.

Der Kronprinz hat seine Loge bereits verlassen. Der ganze Trubel löst sich auf und ergießt sich in die Tunnelräume des Erdgeschosses, während im Saale die Tafeln schnell hergerichtet werden. Der übrige dem leider nur allzulange vernachlässigten Magen und der Entfaltung übermüthigsten Künstlerhumors gewidmete Theil des Festes zieht sich bis zum Morgengrauen hin. Die großen Tischpausen dieses wunderlichen, in seinen Genüssen allerdings tadellosen Soupers, das erst gegen fünf Uhr mit den Compots und mit Eis schloß, verstatteten doch nicht recht, in zwanglosem Verkehr unter den bunten Trachten die Träger weitbekannter Namen aufzusuchen, von denen es wimmelte; denn ein ganzes Stück Kunst- und Literaturgeschichte saß da essend und plaudernd umher. Als daher der officielle Theil des Abends mit der Aufführung der beiden Festschwänke vorüber war (ein paar Toaste und die humoristische Erklärung der von Skarbina gezeichneten Tischkarte durch Rudolf Löwenstein fügten sich vor und hinter den ersten Schwank), da begann ein Ausschwärmen wie von Bienen, daß die Kellner nicht mehr wußten, wo sie ihre sehr schätzenswerthe Last an den Mann bringen sollten. –

Aber wir dürfen nicht so über die Festschwänke hinweggehen. Man denke sich nur ein musikalisches Quodlibet, wie es E. Jacobsen mit Capellmeister Steffens so hochkomisch zusammengestellt hatte und welches als „Arien-Fricassée, ein Rendezvous in der Wolfsschlucht“, in Scene ging: ein Zusammentreffen des Caspar aus dem „Freischütz“ und des Banditen Barbarino aus „Stradella“ mit dem in Geld- und Liebesnöthen schwebenden Grafen Almaviva beim Gastwirth Samuel in der Wolfsschlucht zu einem Wurstpicknick, zu dessen Herstellung die Wildsau aus dem „Freischütz“ geschlachtet worden! Der „steinerne Gast“ aus dem „Don Juan“ gab diesmal keine „Gastrolle“, sondern erschien im Gegentheil als Kellner. Ein paar der beliebtesten Bühnensänger – Woworski besonders durch Beifall ausgezeichnet – waren bei der Aufführung der tollen Farce betheiligt und sangen die besten Arien ihrer Rollen, natürlich mit sehr verändertem Text. Und nicht minder burlesk war die zweite Posse „Hamlet“, von dem naturwissenschaftlichen Humoristen Stinde, eine so geistreiche wie drollige Verarbeitung des Gegensatzes zwischen Idealismus und Realismus in der Malerei. Die komischste Figur darin ist Hamlet’s spukender Vater – nach seiner eignen Versicherung „der Geist, der, wie Jedermann weiß, der jetzigen Malerei fehlt“, ein wie ein weißer Mehlsack in Unterkleidern und Zipfelmütze umherwandelndes Individuum, welches lange Thonpfeifen raucht und einer wahren Manie des Pfeifenzerbrechens huldigt, nebenbei gelungene Couplets singt, wie: „O, welche Lust ein Geist zu sein!“ nach einer bekannten Melodie aus der weißen Dame. Ophelia gab der Verfasser selber, der sich eines ziemlich herculischen Gliederbaues und einer wahren Bärenstimme erfreut, und der Hamlet war ein Meisterstück von Coulissenreißerei.

„Heiter ist die Kunst“, das konnte der Zuschauer und Zuhörer bei diesen Schwänken mit Händen greifen. Aber die heitere Kunst amüsirte sich und Andere bei einer Temperatur, welche durch die guten Weine nicht herabgemindert wurde, die zu diesem Zwecke reichlich in Verwendung kamen.

Ziehen wir uns in die kühlen Kellerräume des Tunnels zurück! Der liebenswürdige Paul Thumann, der schönheitsgesättigte Poet mit Stift und Pinsel, als Zeichenlehrer eine der besten Kräfte des Berliner Instituts, winkt uns drunten. Bald haben wir Anton von Werner neben uns, welcher mit uns über die Beschickung der Pariser Ausstellung durch die deutsche Kunst und über Berliner Akademiezustände plaudert; das gemüthlich-derbe, rothe Gesicht Gussow’s, der seinen Eisenhelm mit der Rose und dem berühmten gelben Tuche auf den Tisch setzt, erscheint gleichfalls in nächster Nähe; noch mancher andere Held des Pinsels und der Feder kommt und geht. Nur unser freundlicher Tischnachbar Arthur Levysohn, der Ausgewiesene von Wien, der Begründer des „Deutschen Montagsblattes“, ist uns unwiederbringlich verloren – es ist schon Sonntag geworden – ein schlimmer Tag für den Redacteur einer Montagspost!

Und endlich kommt auch für uns der Kehraus. Es gewährt einen seltsamen Eindruck, wie ein paar der letzten Nachtschwärmer neben uns im Costüm italienischer Banditen müde an den phantastischen Wagen des Festzuges im Vorraum vorüber und in den grauen Morgen des Thiergartens hinausschwanken.

  1. Die drei Künstler-Festspiele des Dichters, welche der Verein zur Aufführung gebracht hat, darunter der „Tizian“, sind gelegentlich dieser Festaufführung bei Georg Stilke in Berlin in äußerst geschmackvoller Ausstattung erschienen      D. R.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_237.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)