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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Ein Berliner Künstlerfest.

Neben dem Einflusse der großen öffentlichen Monumentalbauten hat es wesentlich die Gründerzeit bewirkt, daß die Reichshauptstadt wieder zu einer Kunstbildungsstätte von Bedeutung erhoben wurde; denn besonders dem gewaltigen Aufschwunge, den die Production von Kunstwerken durch das Luxusbedürfniß dieser Periode nahm, ist es zu danken, wenn man dem früheren kläglichen, kopflosen, bureaukratisch beaufsichtigten Provisorium endlich von oben her ein Ende machte und die Akademie von Berlin vor gänzlichem Verfalle rettete, indem man ihr jenen jugendlich schmächtigen, aber von rücksichtsloser Energie und Zähigkeit wie von burschikoser Laune und geistiger Frische in jeder Faser erfüllten Anton von Werner zum Director gab. Von dem Moment ab, wo das Genie dieses Mannes mit Hülfe der einheimischen Kräfte von moderner Bedeutung und anderer Gehülfen, die er aus dem übrigen Deutschland herbeigezogen, das Institut zu regeneriren begann, erscheint die Kunstakademie von Berlin wenigstens in ihrem Lehrerapparat auf der Höhe, welche der Hauptstadt des neuen deutschen Reiches würdig ist. Und ob auch die Reorganisation sonst noch in den Windeln liegt, ob auch die alten Classenformen, der alte Raummangel und damit zusammenhängend der Mangel an Meisterateliers (nur Knaus und von Werner unter den Malern besitzen ein solches) bis jetzt bestehen: die völlige Umgestaltung des Instituts ist doch verbürgt, und jetzt schon – welch ein frischer Geist weht durch diese Berliner Schule! Man muß Anton von Werner kennen, um zu begreifen, wie sich alle Haare auf den Häuptern der alten Geheimraths-Bureaukraten sträuben mußten bei dem Gedanken, das gerade Gegentheil von zopfiger Würde und diplomatisch geschliffenem Anstande auf dem Präsidentenstuhle eines staatlichen Instituts von solcher Bedeutung zu sehen, – einen Mann, der durch nichts Respect einflößt, als durch sein Genie und die hinreißende, rücksichtslose Kraft seines Wesens.

Zwei Richtungen modernster Art theilen sich in die wichtigen Lehrstühle: jener Realismus, welcher im Großen und Ganzen nur malt, was man auch gesehen haben könnte, und welcher die Charakteristik, das Individuelle gegenüber der classischen Schönheitsschablone bevorzugt, und der Naturalismus eines Gussow, dessen Symbol das gelbe Schnupftuch geworden ist, das er so gern malt, des Meisters, von dem man behauptet, daß er einen photographischen Apparat im Auge habe. Gussow, der, nebenbei bemerkt, ein ausgezeichnetes Lehrtalent besitzt, ist jedenfalls ein Farbengenie ersten Ranges, aber ein abgesagter Gegner der Idee in der Malerei, ein Naturalist vom reinsten Wasser. Der Realismus ist in der deutschen Reichshauptstadt an der Spree sehr reich vertreten, zumal unter den Malern. Zu seiner Fahne schwören fast alle übrigen Häupter der Berliner Malerei, wie nachfolgende Namen zeigen: der Altmeister A. Menzel, Anton von Werner, Paul Meyerheim, Knaus; in der Sculptur neigt ausgesprochen R. Begas zu ihnen. Diese Elemente bedingen zweifellos die nächste Zukunft der Berliner bildenden Kunst, obschon die Akademie ausdrücklich das „Schule machen“ ablehnt und nur eine gründliche technische Ausbildung für den jungen Nachwuchs anstreben, die Richtung des eigenen Schaffens aber dann völlig der individuellen Neigung überlassen will. Wie groß der Einfluß der genannten Kunstprincipien schon jetzt auf die verschiedenen Schattirungen des älteren Idealismus ist, welche in Berlin officielle oder private Ateliers innehaben, kann man auf Schritt und Tritt gewahren.

Jedenfalls giebt es vorläufig alle möglichen Richtungen in den Kreisen der Berliner Kunst, und unter dem weiten Dache des „Vereins Berliner Künstler“, an dessen Spitze seit lange der allbeliebte Steffeck steht, vereinigen sich alle Elemente in munterer Geselligkeit. Leider fehlt dem eigenen Dache noch das eigene Haus; bis der Sammelfonds zu einem Künstlerhause die ausreichende Ziffer aufweisen wird, müssen die künstlerisch ausgeschmückten Miethsräume im Industriegebäude Unterkunft gewahren.

Für das diesmalige Winterfest, zu dem mit Rücksicht auf den Ausfall des vorjährigen ungewöhnliche Anstrengungen gemacht waren, hatte man sogar zu den Räumen des Kroll’schen Theaters gegriffen. Die Berliner Künstlerschaft sollte glanzvoll repräsentirt werden. Die kurz vorhergegangene Tizian-Feier konnte man trefflich in einem „Tizian-Feste“ nachklingen lassen. Julius Lohmeyer, der Begründer der unvergleichlichen „Deutschen Jugend“, hatte das eigentliche Festspiel gedichtet, von dessen ernster Haltung zwei dramatische Producte tollsten Künstlerhumors in heitere Festlaune zurücklenken sollten. Ein „Costümfest“ war angekündigt und zwar eines – ohne Damen. Das schwere Unrecht, das in dieser letzten Bestimmung enthalten war, hatte die Gewissen der Festveranstalter doch dermaßen beschwert, daß die Generalprobe, welche den Nachmittag des 16. März ausfüllte, zu einer Vorstellung für die schöneren Hälften der Künstlerschaft und ihrer Mäcenaten und Freunde ausgestaltet worden war. Sie waren denn auch zu dem sehr zweifelhaften Genusse erschienen – den sich übrigens auch Prinz Georg, der Dramatiker, vergönnte – und Julius Wolff, der reichbegabte Aventiurendichter, hatte sich in einem launigen Prologe alle Mühe gegeben, die Sühne für den Ausschluß vom Abende durch ein reuiges Bekenntniß vollständig zu machen.

Endlich sinkt die Dunkelheit über Berlin.

Vor dem Kroll’schen Etablissement rasselt Droschke nach Droschke heran, um sich wundersam verkleideter Insassen zu entledigen und den weiten, lichtbestrahlten, zum Saale umgewandelten Fond des Theaters füllen zu helfen. Spät erst schlüpfen wir hinein durch ein Spalier von Landsknechten, stattlichen Gestalten im „echten“ Costüme – denn „echt“ will der Künstler das Costüm haben, und mitleidige Blicke treffen den Unglücklichen, der aus historisch nicht gezügelter Phantasie oder aus Sparsamkeitsrücksichten die Trachtenbestandtheile der Jahrhunderte schnöde zusammenwirft. Nur ein Großer in der Kunst darf es, etwa in humoristischer Absicht, wagen: er bietet Garantie genug gegen den Verdacht mangelhafter Kenntnisse. Die Landsknechte mustern uns, und da wir weder im „Knallbonbonanzuge“ noch als „Kammerherren, Kattunmönche etc.“ auftreten, welche Trachten die Karte verpönt, so passiren wir unaufgehalten.

Welch ein lustiges, farbenprächtiges Gewühl! Das Auge schweift erst geblendet über das wogende Durcheinander, ehe es durch ein paar auffallende Erscheinungen auf die Einzelheiten gelenkt wird. Die Charakterfigur, die historische Tracht herrscht fast unbedingt. Reich vertreten ist besonders das Venedig des 15. und 16. Jahrhunderts, vom Dogen bis zum Fischer, aber auch die Trachten anderer Länder aus der nämlichen Zeit. War doch Venedig ein Sammelpunkt für Typen von aller Welt her. Zahlreich sind die Angehörigen des geistlichen Standes, die Cardinäle, Bischöfe, Mönche. Aber von einer durchgehenden Rücksicht auf die Tizian-Zeit ist keine Rede. Dort schreitet ein echter Incroyable aus der französischen Revolutionszeit neben einem riesigen Assyrer, der die altassyrische Kinnbart-Ergänzung vermittelst eines Wachsstocks mit vorgebogener Spitze hergestellt hat; Ritter und Eskimos, Mauren und das zierliche Rococo-Costüm daneben; ein Marokkaner, mit sicher echtem Costüme: denn der Träger ist Ludwig Pietsch, und die Kleider und Waffen sind ein Geschenk des Kaisers von Marokko an diesen; Chinesen (darunter zwei wirkliche), auch eine entzückend hübsche, vollendet imitirte Japanesin, von Kriegern ihres Landes geleitet und mit reizender Koketterie japanesische Bildchen und Schriften vertheilend, neben etlichen der Feuerwehr angehörigen Mohren; hier ein gut erkennbarer Napoleon der Erste, dort ein ungemein antik wirkender Nero, und da, mit stoischer Ruhe das Getümmel durchschreitend, ein Tabaksmonopol-Bismarck, der ein paar Fuß weniger an Größe aufweist, als das Original, und der ein offenes Kästchen mit Cigarren auf der Brust trägt. Er mahnt schon ein wenig wie Caricatur, und es fehlt nicht ganz an wirklichen Caricaturen, wie jenes Baby von sechs Fuß mit Puppe und Spielzeug zeigt, das, sich gegen die Liebkosungen der Umstehenden sträubend, ängstlich die Schürze der Amme festhält.

Wir wenden uns endlich durch ein paar Ausrufe der Ungeduld an das Festspiel erinnert, das eigentlich längst hätte beginnen sollen, der Bühne zu und bemerken jetzt erst, daß der Vorhang des Kroll’schen Theaters durch einen anderen offenbar nur für dieses Fest gemalten ersetzt ist. Hübner ist der Schöpfer, und das Werk lobt den Meister. Plötzlich fliegt ein Gerücht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_236.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2016)