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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

durch den kleinen, zierlich gehaltenen Vorgarten und die Treppe des erhöhten Parterre hinauf. Bauernfeld ist vielleicht von Ischl herübergekommen und liest einem kleinen gewählten Kreise sein neuestes Lustspiel vor; die Goßmann trägt, wenn sie gut gelaunt ist, mit unwiderstehlichem Feuer eine französische Chansonette vor, und Anton Ascher gießt die Lauge seines kaustischen Witzes über Alles und Alle. Laroche nimmt in Gmunden gleichsam die Stelle des Hausherrn ein; er macht die Honneurs des lieblichen Städtchens. Die Fremdenbücher in den Villen Laroche und Prokesch-Osten gleichen dem goldenen Buche der Republik Venedig, nur daß in denselben neben dem Adel der Geburt auch der des Geistes und Talentes seinen Platz gefunden hat.

Die Villa Prokesch-Osten ist geräumiger als die Villa Laroche und liegt außerhalb der Stadt auf dem Wege gegen Ort zu. Von der Seeseite gelangt man durch einen sanft aufsteigenden, wohlgepflegten Garten in dieselbe. Sie birgt seltene Kunstschätze. Der Vater des Besitzers, der verstorbene österreichische Internuntius in Constantinopel, war ein verständnißvoller Sammler von alten Münzen, geschnittenen Steinen und allen Gattungen von Alterthümlichkeiten; er hatte in seiner Stellung und bei seinen zahlreichen Reisen vielfach Gelegenheit, seltene Schätze dieser Art zu erwerben. Ein Theil dieser Schätze, die der Sohn erbte, wird hier pietätvoll aufbewahrt. Uebrigens ist auch Graf Prokesch-Osten junior selbst ein eifriger und glücklicher Sammler, und hat von seinen orientalischen Reisen nicht nur ein selbstgeschossenes Krokodil, das ausgestopft im Vorhause paradirt, sondern auch manches andere werthvolle Stück heimgebracht, das hier in dem türkischen Rauchzimmer oder in den Schränken des Studirzimmers seinen Platz gefunden hat. In diesem türkischen Rauchzimmer, mit seinen weichen, schwellenden Ottomanen, seinen blinkenden Waffen an den Wänden und seinen schweren Portièren aus bunten türkischen und persischen Stoffen, haben viele bedeutende Männer ihr Nargileh und viele schöne und geistreiche Frauen ihre Cigarette geraucht. Friederike Goßmann, die ihr bezauberndes Talent noch immer von Zeit zu Zeit einem wohlthätigen Zwecke zu Gute kommen läßt und die aus solchem Anlasse wiederholt im Gmundener Theater eine ihrer Lieblingsrollen gespielt hat, macht mit Geist und Liebenswürdigkeit die Honneurs ihres schönen Sommerheims und liebt es, den Besuchern das sogenannte Grillenzimmer zu zeigen, wo die Reliquien ihrer Künstlerlaufbahn, und namentlich die Erinnerungen an die Rolle, der sie ihre ersten und berauschendsten Erfolge verdankt, aufbewahrt werden. Da sieht man zwischen zahllosen Kränzen mit Bändern und Inschriften, zwischen Albums, Bildern etc. auch das Costüm, in dem die Künstlerin nicht weniger als hundert Mal die Grille spielte. Leider ist der bedeutende Mittelpunkt dieses Hauses, der alte Graf Prokesch-Osten, der hier so gern und glücklich im Kreise seiner Familie weilte, der sich so innig an seinen erblühenden Enkelkindern freute, im verflossenen Winter hochbetagt aus dem Leben geschieden. Wie interessant wäre es, den Mann, der so lange Oesterreich in Constantinopel vertreten hatte, der den Orient kannte und liebte wie Wenige, der so geistvoll und anregend zu erzählen wußte, über die gegenwärtige politische Lage sprechen zu hören. Vielleicht ist es aber besser für ihn, daß er heimgegangen; die Ereignisse der letzten Monate hätten ihm, der ein Freund der Türken war, das Herz gebrochen.

Der glänzendste Tag der Gmundener Saison ist der 18. August, der Geburtstag des Kaisers. Da leuchtet die menschenwimmelnde Esplanade von farbigen Ballons und Lampions; da ziehen auf dem See Fahrzeuge, deren Umrisse sich in Feuerlinien abzeichnen; da flammen auf allen Höhen die Freudenfeuer; da wird mitten auf dem See ein Feuerwerk abgebrannt, dessen Schlußeffect unter donnernden Kanonenschlägen die ganze Gegend in zauberhaft farbenwechselndes, elektrisches Licht taucht. Nach dem Feuerwerk findet im Casino ein großer Ball statt, zu dem alle Sommerfrischen der Umgegend ihr Contingent an schönen Tänzerinnen und flinken Tänzern stellen.

Indem ich im Begriffe bin zu schließen, bemerke ich erst, wie unvollständig meine Schilderung ausgefallen ist. Ich habe nicht von der herrlichen Umgebung Gmundens gesprochen, nicht von der reizenden Villa Sartori mit den herrlichen Parkanlagen und der Meierei, welche die Liberalität ihres Besitzers dem Besuche des Publicums geöffnet hat, nicht von dem Calvarienberge mit der entzückenden Aussicht, nicht von dem schattigen Spaziergange längs der Traun zur Altmühle, nicht von den weiteren Ausflügen zur Rabenmühle, an den Attersee, an die Langbathseen und den Offensee, nicht von den Bergpartien zum Laudachsee, auf den Kranabittsattel oder den Erlakogel. Inmitten all dieser Herrlichkeit liegt Gmunden mit seinem See, wie ein großer funkelnder Edelstein, gefaßt von kleineren, aber nicht minder werthvollen Steinen. Und so seien denn diese Zeilen, die ich mit Worten Victor Scheffel’s einleitete, mit den Versen desselben Meisters, die er Heinrich von Ofterdingen in der „Frau Aventiure“ über Gmunden in den Mund legt, geschlossen:

„Wie verklärt strahlt mir entgegen
Gottes Welt, wie groß, wie weit!
Steirisch Meer, ich fühl’ den Segen
Deiner keuschen Herrlichkeit;
Was gequält mich und gekränket,
Was des Denkers Folter war,
Tief zum Seegrund sei’s gesenket,
Sei vergessen immerdar!“

Eduard Mautner.




Blätter und Blüthen.


Mikroskopische Schriften und Zeichnungen. Zu allen Zeiten hat es Menschen gegeben, die einen Ruhm darin suchten, im Kleinen groß zu erscheinen. Plinius erzählt uns von einem Elfenbeinkünstler, der ein bemanntes Schiff gearbeitet hatte, so klein, daß eine Fliege es mit ihren Flügeln vollkommen bedeckte. Ein anderer alter Autor gedenkt einer so klein geschriebenen Ilias, daß sie in einer Nuß Platz hatte. In den früheren Jahrhunderten gefiel man sich darin, Christusköpfe zu zeichnen, deren Haupt- und Barthaar in nur mit der Lupe leserlicher Schrift die ganze Heiligengeschichte enthielt. In der russischen Abtheilung des Liebhaberei-Pavillons auf der Wiener Weltausstellung befanden sich derartige Christusköpfe, auf denen man bei genauerer Untersuchung die Haarlinien als Schriftzeilen erkannte. Auch der berühmte Kirschkern des Grünen Gewölbes in Dresden, auf welchem ich weiß nicht wie viel Gesichter eingravirt sind, gehört hierher. Mit Hülfe der Photographie lassen sich jene mühsamen Künsteleien ohne Mühe übertreffen, und die während der Pariser Belagerung für die Taubenpost aus Collodiumblättchen photographirten Briefsammlungen, die man mittelst einer Art Zauberlaterne vergrößert auf die Wand warf, um sie lesen und copiren zu können, übertrafen alles vorher Dagewesene und erfüllten obendrein den edleren Zweck, Tausenden von Menschen innerhalb und außerhalb des eisernen Gürtels Nachricht von dem Schicksal der Ihrigen und Trost zu spenden.

Aber auf der im Sommer 1876 zu London veranstalteten Ausstellung wissenschaftlicher Apparate hatte die dortige „Mikroskopische Gesellschaft“ eine von Peter und Ybbetson construirte Maschine ausgestellt, deren in Proben vorhandene Leistungen denn doch Alles übertrafen, was in diesen Kleinkünsten jemals geleistet worden ist. Der erst unlängst erschienene deutsche amtliche Bericht über diese Ausstellung erzählt, daß mittelst dieser Maschine das Vaterunser innerhalb eines Kreises aus Glas gravirt worden ist, welcher 1/300 Zoll im Durchmesser hat, sodaß die Schrift natürlich nur mit einem kräftigen Mikroskope zu lesen ist. Dasselbe Gebet war auf dem dreihundertfünfundsechszigtausendsten Theile eines Quadratzolles untergebracht worden, und solche Schriftstücke können dann als Probetafeln für die Güte der ausgezeichnetsten Mikroskope benutzt werden. In der letzteren Gestalt ist die Schrift so klein, daß die Bibel mit dem neuen Testament zusammen, welche 3,566,480 Buchstaben enthalten soll, zwanzigmal auf den Raum eines englischen Quadratzolls geschrieben werden könnte. Dagegen muß sich allerdings die Ilias in der Nußschale verstecken.




Nicht zu übersehen!


Mit dieser Nummer schließt das erste Quartal dieses Jahrgangs unserer Zeitschrift. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahr aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig). Auch wird bei derartigen verspäteten Bestellungen die Nachlieferung der bereits erschienenen Nummern eine unsichere.

Die Verlagshandlung.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_222.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)