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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Abgeordneten, in dessen Wohnung hinterm Schlosse von Bergzabern. Die Aussicht der Fenster ging hinaus auf das reiche Rebengefilde, das von der Stadtmauer, den weiten Berg hinan, gegen den Hexenplatz ansteigt. Auf einem Vorsprung desselben, zum Theil auf Kalkklippen, ragte mitten aus den Reben malerisch und verlockend ein sonst anspruchsloses Landhaus, und von daher kam in demselben Augenblick eine Einladung auf den Nachmittag, wo mich der Anblick gefesselt hatte. Da sich noch ein Freund aus Bergzabern, der dortige Bezirksarzt, hinzugesellt hatte, stiegen wir zu Dreien die Weinberge hinan, die üppig voll reifer Trauben hingen, und wurden oben von dem Besitzer, dessen Tochter und Bruder mit jener gastlichen Liebenswürdigkeit empfangen, welche den gebildeten Rheinländer auszeichnet.

Der Besitzer, welchem man seine siebenzig Jahre keineswegs anmerkte, gewann mich besonders durch sein weiches, aller pfälzischen Härten bares Idiom, und ich begriff, warum seine begeisterte Rede auf dem Hambacher Schloß so wohlgefälligen Eindruck gemacht hatte. Denn unser freundlicher Wirth war Dr. Pistor, jener Redner von 1832. Ich sah ihn zum ersten Male. Zu meiner Zeit war er verbannt, lebte in Paris und Metz und wohnt, als der angesehenste Sachwalter letzterer Stadt, noch immer daselbst, nachdem das mächtige Bollwerk nach Jahrhunderten wieder deutsch geworden war.

Ein unvergeßlicher Nachmittag folgte, Stunden, wie man sie nur auf jenen Höhen der Pfalz verleben kann. Perlender Wein in den Gläsern, Weintrauben ringsum, in der Laube, wo wir weilten, und in reicher Segensfülle am ganzen Berge, – unten die alte Böhämmerstadt, hier die beata rura Palatini, dort über den Gaisberg hin das Elsaß, drüben die Gebirgsmauer des Schwarzwaldes, und wir selbst von einer Zehe des alten Vosegus hinausschauend in das schöne sonnige Land; so vergingen die Stunden in lebendiger Unterhaltung. Einmal ließ ich auch ein Wort von jenem Wunderbaum meiner frühesten Kindheit fallen, der über Nacht entstanden und verschwunden, und wie der Baum im Märchen seine Gaben über Aschenbrödel, so in meine junge Seele Ahnungen geschüttet von der Auferstehung des Reiches.

Der Redner von 1832 antwortete mit einem Lächeln, das zu sagen schien:

„Es war ein Jugendtraum. Solche gehen manchmal in Erfüllung, wenn auch nicht immer genau, wie wir es wünschen.“




Das Fürstenasyl und Künstlerheim am Traunsee.


Und ich schau’ des Sees Spiegel.
Seiner Wogen grünen Schwall,
Seine tannendunklen Hügel,
Seiner Alpen Mauerwall:
Hochlandschneeluft weht hernieder
Kühlend auf der Seele Gluth,
Und, gleich Möven, kreisen Lieder
Neu beschwingt hier um die Fluth.

Victor Scheffel („Frau Aventiure“).

Als mir die freundliche Einladung der „Gartenlaube“ zukam, den Text zu dem Bilde des lieblichen Seestädtchens zu liefern, welches diese Blätter heute seinen Lesern bieten, war ich anfangs in Zweifel, ob meine Feder zu dieser Aufgabe die berufene sei. Nicht als ob ich mit dem Gegenstande mich zu wenig vertraut fühlte; im Gegentheile kann ich ohne Unbescheidenheit behaupten, daß ich in dieser Beziehung wohl die erforderliche Eignung besitze. Ist doch seit einer langen Reihe von Jahren das herrliche Gmunden jeden Sommer das buen retiro, in dem ich Wochen und Monate hindurch Erholung und Stärkung suche und finde, dessen Natur und Gesellschaft ich, um einen landläufigen Ausdruck zu gebrauchen, wie meine Tasche kenne. Meine Zweifel bezogen sich auf meine Unbefangenheit. Gmunden hat nämlich die Eigenthümlichkeit, daß sein Zauber, je länger und genauer man es kennt, um so bestrickender und gewaltiger wirkt, und ich fühle mich von dem Banne dieses Zaubers so unlösbar umsponnen und in demselben gefangen, daß ich meine vollständige Objectivität nicht verbürgen möchte.

Aber meine Bedenken wurden durch die Erwägung beschwichtigt, daß es überhaupt eine vollständige Objectivität nicht giebt und daß – ob bewußt oder unbewußt – das subjective Urtheil sich immer und überall geltend macht. Und so möge denn das schwache Werkzeug des Wortes versuchen, mit der anschaulichen Leistung des Griffels Schritt zu halten.

Man wird mir gewiß gern die topographischen und ethnographischen Daten erlassen, die in jedem Reisehandbuche zu finden sind.

Wenn man sich dem Orte Lambach nähert, so erblickt man bei gutem Wetter bereits das Wahrzeichen von Gmunden, den schroffen kahlen Felsengrat des Traunsteins, der, sich scharf vom Horizonte abzeichnend, die Gegend beherrscht. Bis zur Eröffnung der Salzkammergutbahn im vorigen Herbste verließ man hier die Hauptstrecke der Kaiserin-Elisabeth-Westbahn, um sich auf einer Zweigbahn, die ursprünglich ein Tramway war, später aber mit Miniaturlocomotiven, welche der Volkswitz spöttisch Kaffeemaschinen taufte, befahren wurde, nach Gmunden zu begeben. Ungefähr anderthalb Stunden lang fährt man durch fruchtbares wellenförmiges Land. Saatfelder wechseln mit Hopfengärten und dunklen Nadelwäldern ab; bei netten freundlichen Dörfern stehen die zierlichen im schweizer Stile gebauten hölzernen Stationshäuser. Mitten im Tannenwalde hält der Zug bei einem der selben – wir sind in der Station Traunfall, und zahlreiche Touristen, die von Gmunden aus den weitberühmten pittoresken Traunfall auf der Traun mittelst des Salzschiffes besucht haben und jetzt mittelst Eisenbahn zurückkehren, besteigen den Train. Bald nachdem der Zug den Wald verlassen hat, beginnt sich die Bahn mehr und mehr zu senken; das Gefälle wird stärker; die Bremsen arbeiten. Das Wahrzeichen der Gegend, der Traunstein, rückt näher und näher heran, und jetzt – da – hinter der Station Engelhofen blitzt es auf wie ein blaues feuriges Auge – das ist der Traunsee, „das steirische Meer“, wie ihn Heinrich von Ofterdingen in Meister Scheffel’s „Frau Aventiure“ geographisch und politisch wohl nicht ganz correct nennt.

Weiter und weiter rollt der Zug abwärts; das blaue, feurige Auge schlägt sich immer größer und voller auf. Im Halbkreise aber um den See gelagert hält den Blick das freundliche ansehnliche Städtchen Gmunden gefangen, eingerahmt links von dem bewaldeten Grünberge, dessen äußerste Spitze das „Hochgschirr“ heißt und dem sich die schroff aus dem See aufsteigenden, grauen, zerklüfteten Wände des Traunsteins anschließen, während rechts blühendes villen- und schlösserbedecktes Wald- und Hügelland sich ausbreitet, das sich mit den reizend gelegenen Orten Ebenzweier und Altmünster bis an das in blauem Dufte verschwimmende romantisch gelegene Dörfchen Traunkirchen erstreckt, und von dem, wie ein vorgeschobener Posten, das Seeschloß der kleinen Insel Ort, die mit dem Festlande durch eine Holzbrücke verbunden ist, in den See hinein vorspringt. Auf dem See ist es lebendig; die Schlote der Dampfer senden pustend und qualmend dicke Rauchsäulen zum wolkenlosen Sommerhimmel empor; ferne Segelboote ziehen majestätisch wie weißgefiederte Schwäne einher; rasche buntbewimpelte Barken, kleine Seefahrzeuge, in denen nur ein Mensch in liegender Stellung Platz hat, werden mit Doppelrudern von starken Armen getrieben und schwere Holzflöße und Salzschiffe schießen blitzschnell unter der Traunbrücke über die Wehre hinab.

Wenn man durch die Traunvorstadt über die erwähnte Brücke, unter welcher der grüne wilde Fluß schäumend und brausend über die Wehre tobt, in das Städtchen einfährt, so gelangt man zunächst durch ein alterthümliches Thor und durch die ziemlich enge Traungasse auf den stattlichen Platz, der im Hintergrunde durch das alte große und gut renommirte „Hôtel zum goldenen Schiff“, das gewöhnliche Absteigequartier des deutschen Kaisers auf seiner Durchreise durch Gmunden, abgeschlossen wird. Rechts bildet das ehemalige Salinengebäude, das jetzt als Rathhaus verwendet wird, links das Kaffeehaus nächst dem Landungsplatze der Dampfschiffe die Seitencoulisse. Den Vordergrund nimmt der See ein, den man von hier aus in seinem offenen Theile bis Traunkirchen, wo er zu einem Kesselsee wird, vollkommen überblickt. Vom Marktplatze führt der Weg an dem netten neugebauten Theater, in welchem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_218.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)