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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Um hohen Preis.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Das Wort kam sehr trotzig und entschieden von den Lippen der jungen Dame; sie schien wieder einmal in kriegerischer Stimmung und fest entschlossen zu sein, den gefürchteten Vormund zu reizen, aber vergebens; er blieb vollkommen gelassen und schien den Widerspruchsgeist seines Mündels eher belustigend als beleidigend zu finden.

„Ein Glück, daß Deine Mutter nicht zugegen ist!“ bemerkte er. „Sie würde wieder in Todesangst gerathen über den Trotzkopf, der sich so gar nicht der Nothwendigkeit fügen will, wie sie es mit großer Selbstverleugnung thut. Du solltest Dir an ihr ein Beispiel nehmen.“

„O ja, Mama ist die Nachgiebigkeit selbst gegen Dich,“ rief Gabriele, immer erregter werdend, „und sie muthet das auch mir zu. Aber ich will nicht heucheln, und lieben kann ich Dich nicht, Onkel Arno, denn Du bist nicht gut gegen uns und bist es nie gewesen. Gleich Dein erster Empfang war so demütigend, daß ich am liebsten sofort wieder abgereist wäre, und seitdem hast Du uns täglich und stündlich empfinden lassen, daß wir von Dir abhängig sind. Du behandelst meine Mama mit einer Nichtachtung, die mir oft genug das Blut in’s Gesicht treibt. Du sprichst in wegwerfender Weise von meinem Papa, von ihm, der todt ist und sich nicht mehr vertheidigen kann, und mich behandelst Du wie ein Spielzeug, mit dem man es überhaupt nicht ernst nimmt. Du hast uns aufgenommen, und wir leben in Deinem Schlosse, wo Alles viel reicher und glänzender ist, als in meinem Elternhause, aber ich wäre doch weit lieber in unserem schweizer Exil, wie Mama es nennt, in unserem kleinen Landhause am See, wo Alles so einfach und bescheiden war, wo wir kaum das Nothwendige hatten, aber wo wir frei waren von Dir und Deiner Tyrannei. Mama verlangt, ich soll sie geduldig ertragen, weil Du reich bist und meine Zukunft von Dir abhängt, aber ich will Dein Vermögen nicht; ich frage nicht darnach, ob Du mich zur Erbin einsetzest. Ich möchte fort von hier, je eher, desto lieber.“

Sie war aufgesprungen und stand jetzt in leidenschaftlichster Erregung vor ihm, den kleinen Fuß energisch vorgesetzt, den Kopf zurückgeworfen, die Augen voll von Thränen des Zornes und der Erbitterung, aber es lag doch mehr in diesem stürmischen Ausbruch als nur der Trotz eines eigensinnigen Kindes. Jedes Wort verrieth die tiefste, innerste Gekränktheit, und es war nur allzu viel Wahres in den Anklagen, die sie dem Vormunde so kühn in’s Antlitz schleuderte.

Raven hatte sie mit keiner Silbe unterbrochen; er sah sie unverwandt an, und als sie jetzt schwieg und die Hände tiefathmend gegen die Brust preßte, während ein Thränenstrom aus ihren Augen stürzte, beugte er sich plötzlich zu ihr nieder und sagte mit tiefem Ernste: „Weine nicht, Gabriele! Dir wenigstens habe ich Unrecht gethan.“

Gabrielens Thränen stockten; jetzt, wo sie zur Besinnung kam, wurde ihr erst die ganze Unvorsichtigkeit ihrer Worte klar. Sie hatte sicher einen Ausbruch des Zornes erwartet – und nun statt dessen diese unbegreifliche Ruhe stumm, fast scheu sah sie zu Boden.

„Also Du willst mein Vermögen nicht?“ fuhr der Freiherr fort. „Was weißt Du denn überhaupt davon, wen ich zu meinem Erben einzusetzen denke? Ich habe Dir meines Wissens niemals etwas darüber mitgetheilt, und doch scheint es Gegenstand sehr eingehender Erörterungen zwischen Dir und Deiner Mutter gewesen zu sein.“

Das junge Mädchen wurde glühend roth. „Ich weiß nicht – wir haben nie –“

„Laß den Versuch, es zu leugnen, Kind!“ unterbrach sie Raven. „Noch hast Du die Unwahrheit so wenig gelernt, wie die Berechnung; sonst würdest Du mir nicht so gegenübertreten. Ich zürne Dir deshalb nicht; den Trotz kann ich verzeihen; die planmäßige Berechnung und Heuchelei hätte ich Dir bei Deinen siebenzehn Jahren nie verziehen. Gott sei Dank, die Erziehung hat noch nicht so viel verdorben, wie ich fürchtete.“

Er nahm ruhig, als wäre nichts vorgefallen, ihre Hand, zog sie auf die Bank nieder und setzte sich neben sie. Gabriele machte einen Versuch, seitwärts zu rücken.

„Nun, Du wirst mir doch gestatten, Deine Kriegserklärung in aller Form entgegen zu nehmen?“ sagte der Freiherr. „Deine Mutter wird sich ihr freilich nicht anschließen, wenigstens nicht in so offener Weise. Sie hat Dir jedenfalls größere Liebenswürdigkeit gegen den ‚Emporkömmling‘ zur Pflicht gemacht.“

„Wie meinst Du?“ fragte das junge Mädchen betreten.

„Nun, das kann Dir doch unmöglich fremd sein. So viel ich weiß, war es die specielle Bezeichnung meiner Persönlichkeit in Deinem Elternhause.“

Diesmal hielt Gabriele tapfer den scharfen Blick aus, der auf ihrem Gesichte ruhte. „Ich weiß, meine Eltern liebten Dich nicht,“ entgegnete sie. „Du hast ihnen aber auch von jeher feindlich gegenüber gestanden.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_207.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2016)