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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

übertragenen Sache vertraut war. Raven hatte zu oft mit der Schwerfälligkeit und Unfähigkeit seiner Beamten zu kämpfen, um nicht die Annehmlichkeit zu empfinden, in wenigen Worten verstanden zu werden, wo er sich sonst zu ausführlichen Auseinandersetzungen herbeilassen mußte; er war sichtlich zufrieden. Die Angelegenheit war in verhältnißmäßig kurzer Zeit erledigt, und Georg, der bereits ein Papier mit verschiedenen Notizen seines Chefs in der Hand hielt, wartete auf ein Zeichen der Entlassung.

„Noch Eins!“ sagte der Freiherr, ohne den ruhigen Geschäftston zu ändern, in welchem er bisher gesprochen. „Sie haben den Urlaub, den Sie vor einigen Wochen nahmen, in der Schweiz zugebracht?“

„Ja, Excellenz.“

„Man behauptet, Sie hätten dort gewisse Verbindungen aufgesucht oder doch wenigstens angeknüpft, die mit Ihrer Stellung als Beamter unvereinbar sind. Was ist an der Sache?“

Der Blick des Freiherrn ruhte mit seiner ganzen, von den Untergebenen so sehr gefürchteten Schärfe auf dem jungen Beamten, aber dieser zeigte weder Bestürzung noch Verlegenheit.

„Ich habe einen Universitätsfreund in Z. aufgesucht,“ erwiderte er ruhig, „und bin auf dessen wiederholte, herzliche Einladung im Hause seines Vaters geblieben, der allerdings politischer Flüchtling ist.“

Raven runzelte die Stirn. „Das war eine Unvorsichtigkeit, die ich bei Ihnen am wenigsten vorausgesetzt hätte. Sie mußten sich sagen, daß ein solcher Besuch nothwendig bemerkt und verdächtigt werden mußte.“

„Es war ein Freundschaftsbesuch, nichts weiter. Ich kann mein Wort darauf geben, daß er auch nicht die entfernteste politische Beziehung hatte; es handelte sich um reine Privatverhältnisse.“

„Gleichviel, Sie haben Rücksicht auf Ihre Stellung zu nehmen. Die Freundschaft mit dem Sohne eines politisch Compromittirten könnte allenfalls noch als unverfänglich gelten, wenn sie Ihnen auch schwerlich als Empfehlung für Ihre Carrière dienen dürfte, den Verkehr mit dem Vater aber und den Aufenthalt in seinem Hause mußten Sie unter allen Umständen vermeiden. – Wie ist der Name jenes Mannes?“

„Doctor Rudolf Brunnow.“ Der Name kam fest und klar von den Lippen Georg’s, und jetzt war er es, der das Antlitz seines Chefs unverwandt beobachtete. Er sah, wie etwas darin aufzuckte, unheimlich und gewaltsam, wie eine jähe Blässe die ehernen Züge überflog und die Lippen sich fest auf einander preßten, aber das alles kam und ging mit Blitzesschnelle. Schon in der nächsten Minute siegte die Selbstbeherrschung des Mannes, der gewohnt war, seiner Umgebung stets ein unbewegtes Gesicht zu zeigen und für sie undurchdringlich zu sein.

„Rudolf Brunnow – so?“ wiederholte er langsam.

„Ich weiß nicht, ob Excellenz den Namen kennen?“ wagte Georg zu fragen, aber er bereute sofort seine Uebereilung. Die Augen des Freiherrn begegneten den seinigen, oder vielmehr, wie Gabriele zu sagen pflegte, sie bohrten sich so tief ein, als wollten sie die geheimsten Gedanken aus der Seele lesen. Es lag ein finsteres, drohendes Forschen in diesem Blicke, welcher den jungen Mann warnte, auch nur einen einzigen Schritt weiter zu gehen; er hatte das Gefühl, als stände er an einem Abgrunde.

„Sie sind mit dem Sohne des Doctor Brunnow eng befreundet?“ begann der Freiherr nach einer secundenlangen Pause, ohne die letzte Frage zu beachten, „also auch wohl mit dem Vater?“

„Ich habe ihn erst jetzt kennen gelernt und in ihm einen trotz mancher Schroffheit und Bitterkeit doch durchaus verehrungswürdigen Charakter gefunden, dem meine volle Sympathie gehört.“

„Sie thäten besser, das nicht so offen auszusprechen,“ sagte Raven in eisigem Tone. „Sie sind Beamter eines Staates, der über solche Persönlichkeiten ein für alle Mal den Stab gebrochen hat und sie noch jetzt unnachsichtlich verdammt. Sie können und dürfen nicht in vertraulicher Weise mit denen verkehren, die sich offen zu seinen Feinden bekennen. Ihre Stellung legt Ihnen Pflichten auf, vor denen derartige Freundschafts- und Gefühlsregungen zurücktreten müssen. Merken Sie sich das, Herr Assessor!“

Georg schwieg; er verstand die Drohung, die sich hinter dieser eisigen Ruhe barg; sie galt nicht dem Beamten, sondern dem Mitwisser einer Vergangenheit, die Freiherr von Raven wahrscheinlich längst begraben und vergessen wähnte und die sich jetzt so urplötzlich vor seinen Augen erhob. Jedenfalls vermochte die Erinnerung daran den Freiherrn nicht länger als einen Augenblick zu erschüttern, und als er sich jetzt erhob und entlassend mit der Hand winkte, lag wieder der alte unnahbare Stolz in seiner Haltung.

„Sie sind jetzt gewarnt. Was bisher vorgefallen ist, mag als eine Uebereilung gelten; was Sie in Zukunft thun, geschieht auf Ihre Gefahr.“ –

Georg verbeugte sich schweigend und verließ das Gemach. Er fühlte wieder, wie so oft schon, daß Doctor Brunnow Recht gehabt, als er ihn vor der dämonischen Macht des einstigen Freundes warnte. Der junge Mann mit seinem hohen Ehrgefühl und seinen reinen Grundsätzen hatte sich nach jener inhaltschweren Eröffnung berechtigt geglaubt, den Verräther seiner Freunde und seiner Ueberzeugung aus tiefster Seele zu verachten, aber das wollte ihm nicht mehr gelingen, seit er wieder in den Bannkreis jener mächtigen Persönlichkeit getreten war. Die Verachtung wollte nicht Stand halten vor jenen Augen; die so gebieterisch Gehorsam und Ehrfurcht heischten; sie schien abzugleiten an dem Manne, der das schuldige Haupt so hoch und stolz trug, als erkenne er überhaupt keinen Richter über sich. So wenig sich Georg von der hohen Stellung und dem herrischen Wesen seines Vorgesetzten imponiren ließ, so wenig vermochte er sich dessen geistiger Ueberlegenheit zu entziehen. Und doch wußte er, daß ihm früher oder später ein erbitterter Kampf mit dem Freiherrn bevorstand, der mit der Entscheidung über die Zukunft Gabrielens auch sein Lebensglück in der Hand hielt. Auf die Dauer konnte das Geheimniß ja doch nicht bewahrt bleiben – und was dann? Vor den Augen des jungen Mannes tauchte das Bild der Geliebten auf, die seit gestern mit ihm unter demselben Dache weilte, ohne daß es ihm möglich gewesen war, sie auch nur zu sehen, und daneben das eiserne, unerbittliche Antlitz dessen, den er soeben verlassen – er ahnte erst jetzt, wie schwer der Kampf war, mit dem er sich seine Liebe und sein Glück erobern mußte.




Einige Wochen waren vergangen. Die Baronin Harder und ihre Tochter hatten die nöthigen Besuche zur Anknüpfung des gesellschaftlichen Verkehrs gemacht und empfangen, und Erstere bemerkte mit Befriedigung die große Rücksicht und Aufmerksamkeit, die man ihr um des Gouverneurs willen überall erwies. Noch mehr befriedigte sie die Entdeckung, daß ihr Schwager in der That nichts weiter von ihr verlangte, als die Repräsentation seines Hauses; es wurden ihr keinerlei lästige und unbequeme Pflichten zugemuthet, wie sie im Anfange gefürchtet. Die Sorge und Verantwortlichkeit für das große, streng geregelte Hauswesen lag nach wie vor in den Händen eines alten Haushofmeisters, der schon seit langen Jahren dieses Amt verwaltete und Alles ordnete und leitete, während er nur seinem Herrn selbst Rechenschaft darüber ablegte. Der Freiherr mochte zu tiefe Einblicke in den Residenzhaushalt seiner Schwägerin gethan haben, um ihr in dieser Hinsicht irgend eine Selbstständigkeit zu gestatten. Sie vertrat der Gesellschaft gegenüber die Dame des Hauses, war aber eigentlich nur Gast in demselben. Eine andere Frau hätte die Stellung, in die sie dadurch gedrängt wurde, als eine Demüthigung empfunden, der Baronin aber lag eigentliche Herrschsucht ebenso fern, wie der Begriff von Pflichten; sie war viel zu oberflächlich, um beides zu kennen. Ihre Lage gestaltete sich weit angenehmer, als sie nach der Katastrophe, die dem Tode des Barons folgte, hoffen durfte; sie lebte mit ihrer Tochter in glänzenden Umgebungen; der Freiherr hatte ihr eine ziemlich bedeutende Summe für ihre persönlichen Ausgaben zugesichert; Gabriele war seine anerkannte Erbin – da ließ sich schon der Zwang ertragen, den das Zusammenleben nun einmal unvermeidlich mit sich brachte.

Auch Gabriele hatte sich schnell mit der neuen Umgebung vertraut gemacht. Der vornehme, großartige Zuschnitt des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_192.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2016)