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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


die Verwandten versammelt, die auch meiner warteten? Verdiente ich nicht, wenn ich sogar heute fern blieb, mit Recht den Ruf eines entarteten Sohnes, ein Ruf, der schon hier und da unter Seufzen wider den Theilnehmer an der Revolution verlautbart worden? So riß ich mich denn los von den fidelen Brüdern und dachte nur noch auf eine sinnige Geburtstagsgabe. Blühten doch rings um mich die duftenden Kinder des Lenzes. Und so bückte ich mich denn und pflückte, wenn es auch nur eine Schwester war, für die ich mich bückte und für die ich pflückte. Ob dabei noch andere Gedanken in mir erwachten, kann ich nicht mehr sagen. Nur so viel ist mir erinnerlich: ich war in eine außerordentlich weiche und zärtliche, ganz romantisch-schwärmerische Stimmung gerathen und so tief in diese wehmüthig-süße Träumerei versunken, daß ich anfänglich auch die ganz seltsamen Bilder und Klänge nicht für wirklich hielt, die beim Sammeln und Ordnen des Straußes hin und wieder vor mir auftauchten und an mir vorüberschwebten – Bajonnette, in der Sonne blitzend, Commandoworte, das Stampfen wiehernder Rosse. Aber immer deutlicher, lebendiger und geräuschvoller bewegten sich rings um mich her diese Gestaltungen aus der realen Welt, sodaß ich endlich erwachen mußte. Ist heute Manöver? Alle Höhen, alle hervorragenden Punkte gen Spandau mit Infanteriecolonnen besetzt. Und was zieht dort stolz einher, hoch zu Roß, mit strahlendem Küraß und blitzendem, adlergekröntem Helme? Ich hatte die Spandauer Chaussee betreten, dort, wo heute die Halle für die Pferde-Eisenbahn sich erhebt. Da stürzt eine buntscheckige Rotte mir entgegen und hebt Hunderte mit Knitteln und Stangen bewaffnete Arme zugleich.

„Was, ihr verwünschten Studenten, ihr wollt unserer Landwehr die Waffen rauben?“

Die Situation war kritisch und etwas peinlich. Ich trug den Umständen Rechnung, concentrirte mich rückwärts und deckte mich im Rücken durch den Stamm einer Pappel, preßte den Blumenstrauß krampfhaft mit der Linken und zog zur Deckung den noch jungfräulichen Säbel. Doch was half die stumpfe Waffe gegen die hundertfache Uebermacht eines wüthenden und trunkenen Janhagels? Da, in der höchsten Noth, erschien der Retter. Ein Zug Garde-du-Corps, einen Lieutenant an der Spitze, sprengte zwischen die tobende Rotte und trennte mich von meinen Drängern.

„Sind Sie Student?“

„Zu dienen.“

„Haben Sie Ihre Erkennungskarte bei sich?“

„Ja wohl – hier ist sie.“

Er warf einen Blick aus dieselbe.

„Sie sind verhaftet.“

„Ich darf als Student nicht verhaftet werden, es sei denn, ich würde bei Verübung eines Verbrechens betroffen.“

„Sie sind dennoch verhaftet – auf meine Verantwortung.“

An dem Klange der letzten, mit besonderem Nachdruck gesprochenen Worte, die von dem schrillen Beifallsgeheul des Pöbels bewiehert wurden, erkannte ich in der prächtigen Hünengestalt vor mir den Grafen L., an dessen Seite ich zwei Jahre lang in Dombrandenburg die Bänke der Prima gedrückt hatte und der jetzt mit sarkastischen Blicken meine schwarz-roth-gold bebänderte Mütze, den Blumenstrauß und den Säbel fixirte. Vollständig ernüchtert, begriff ich seine wohlmeinende Absicht und den ganzen Ernst meiner vereinsamten Lage, denn von Charlottenburg her drang immer lauter und lauter unheimlich wüstes Geschrei zu meinen Ohren, und neue, immer neue Volkshaufen wälzten sich drohend gegen mich heran. Willig folgte ich nun der schützenden Escorte und fand in der Schloßwache ein willkommenes Asyl. Hier hatte ich kaum Zeit, um über den so ungemein komisch-tragischen Scenenwechsel des heutigen Tages Betrachtungen anzustellen, als ein Hauptmann von der Bürgerwehr sich präsentirte und in einem Verhör mich über die Stellung des Studentencorps, über seinen Angriffsplan etc. auszuforschen suchte. Schwer ward es mir, dem sonst ganz verständigen Manne, mit dem mich in späteren Zeitläuften amtliche Bande und Freundschaft verknüpfen sollten, glaubhaft zu machen, daß sich in meiner einzigen Person die ganze Macht concentrirte, um deren willen zwei Städte ihre gesammte Vertheidigungsmacht aufgeboten und so gewaltige Anstrengungen entfaltet hatten. Im Uebrigen aber unterließ ich auch nicht, ihm im Vollgefühl meiner verletzten Würde zu sagen, daß allerdings die Studenten nicht einen Augenblick anstehen würden, mit ihrer vollen Macht gegen Charlottenburg aufzubrechen, sobald es ruchbar würde, daß einer der ihrigen gegen alles Völkerrecht ohne vorhergegangene „Kriegserklärung“ in Haft gehalten werde. Darauf versetzte er nach einiger Ueberlegung mit einem feinen Lächeln: „Ihrem Verlassen der Wache steht nichts im Wege. Doch zu Ihrem eigenen Besten rathe ich Ihnen, erst die Dämmerung abzuwarten und alsdann auch nicht durch Charlottenburg zu marschiren, sondern Ihren Rückzug ganz still über Moabit anzutreten.“

Der Rath war unbedingt gut, und ich befolgte ihn. Meine Genossen hatten inzwischen allen Freuden idyllischer Waldluft sich hingegeben und waren nicht wenig belustigt, als ich ihnen am späten Abend noch von dem letzten Act der großen Expedition erzählte. Die Charlottenburger und Spandauer schwiegen, so viel wie möglich, über die Affaire, und auch wir hatten kein sonderliches Interesse daran, sie an die große Glocke zu hängen.



Blätter und Blüthen.


Die Harfe der Königin Marie Antoinette. Als die Königin Marie Antoinette in ihrem Cabinet, von welchem ein getreues Bild noch jetzt im Louvre aufbewahrt wird, den Saiten ihrer Harfe fröhliche Klänge entlockte, dachte sie wohl nicht an das traurige Schicksal, welches sie ereilen sollte; sie dachte auch gewiß nicht, daß ihre Harfe, deren Abbild durch jenes Gemälde der Nachwelt überliefert worden ist, dereinst in einer kleinen Landstadt Mitteldeutschlands, unter den „Prussiens“, in einfach bürgerlichen Händen sich befinden würde, wie dieses jetzt, nach beinahe hundert Jahren, der Fall ist. – Der Kammerdiener der Königin, Fleury, nahm die Harfe als ein theures Andenken an seine unglückliche Gebieterin mit sich auf seiner Flucht nach Deutschland; als die veränderten Verhältnisse ihm die Rückkehr in sein Vaterland gestatteten, mußte er leider dieses Andenken in Deutschland zurücklassen, da seine bedrängten Umstände ihn nöthigten, die Harfe zu verkaufen, um sich die Mittel zur Rückreise nach Frankreich zu verschaffen, mit Thränen nahm er von ihr Abschied. Es erstand sie eine Dame aus Braunschweig, dem Aufenthaltsort Fleury’s; von dieser kam sie in die Hand eines dortigen Beamten, der sie für seine Tochter, ein junges Mädchen, das sich mit Eifer des Harfenspiels befleißigte, erwarb. Das junge Mädchen, inzwischen in ihre jetzige Heimath verzogen, ist heute eine Greisin; sie hat das heitere Spiel der Jugend verlernt, sie bewahrt aber die Harfe noch als Andenken an frühere Zeiten und an ihre hohe Vorbesitzerin. Wir gönnen ihr den Besitz, hoffen aber, daß es ihr nicht allzuschwer werden möge, sich von der Harfe zu trennen, wenn es vielleicht gelten sollte, dieselbe, wie sie verdient, einer historischen Sammlung einzureihen.


Spohr und Thibaut.[WS 1] Im Sommer 1832 – ich glaube, er war damals Kapellmeister in Darmstadt – hatte Spohr die Komposition einer Messe vollendet, der er sehr viele Mühe gewidmet und auf die er große Erwartungen gesetzt hatte. Er brachte die Partitur nach Heidelberg, um sie dem berühmten Pandectisten, Geheimen Rath Thibaut, zur Prüfung vorzulegen, der damals, was Kirchenmusik betraf, als erste Autorität anerkannt war. Als Spohr ihn bat, die Messe zu prüfen und ihm sein Urtheil vollkommen unparteiisch abzugeben, lud ihn Thibaut, der ein vortrefflicher Pianist war, ein, sich zu setzen; er wolle sie gleich durchspielen. Dies geschah. Am Schlusse, und als Spohr sein Urtheil erwartete, zog Thibaut ein Notenstück mit dem Bemerken hervor: „Ich will Ihnen noch eine Messe vorspielen.“ Es war die eines der alten italienischen Meister, an deren Werke Thibaut seine enormen Einnahmen (er hatte in dem Sommer in dem Pandectencollegium allein über achthundert Zuhörer) verschwendete. Der Name des Meisters ist mir nicht mehr erinnerlich. Noch während Thibaut spielte, rollte Spohr sein Manuscript zusammen, und als Jener geendet, sprach Spohr: „Ich danke Ihnen bestens, Herr Geheimrath, ich verstehe Sie vollständig. Diese bleibt im Pulte.“ Ich war damals Student in Heidelberg, bei Thibaut eingeführt und Mitglied seines durch ewige Kirchenmusik zu Tode gepeinigten gemischten Gesangvereines; auch weiß ich den Vorfall sowohl aus dem Thibaut’schen Hause, wie durch Mittheilung eines Spohr persönlich befreundeten Studenten dem der Meister ihn sogleich erzählte.

R.


Noch einmal die Jabloschkoff’schen Kerzen. Allen Denjenigen, welche sich in Betreff der Jabloschkoff’schen Kerzen an uns gewandt haben, diene zur Nachricht, daß die Herren Civil-Ingenieure J. Brandt und G. W. von Nawrocki, Mitglieder des Vereins Deutscher Patent-Anwalte, in Berlin (SW. Kochstraße 2) in der allernächsten Zeit die Vertretung dieser Erfindung für Deutschland übernehmen werden. Etwaige Anfragen bezüglich der Jabloschkoff’schen Kerzen sind also an die genannten Herren zu richten.


Erklärung. Auf Wunsch des Herrn Fritz Kühnemann, des Schatzmeisters des „Verein Frauenheim“ in Berlin (Gartenstraße 21), die Mittheilung, daß der Wohnort desselben nicht, wie in unserer Nr. 49 von 1875 fälschlich angegeben, Freienwalde an der Oder, sondern Berlin (Adresse des Vereins) ist.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Louis Spohr (1784–1859), deutscher Komponist, Violinist und Kapellmeister und Anton Friedrich Justus Thibaut (1772–1840), deutscher Rechtsgelehrter, Chorleiter und Musikschriftsteller
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_190.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2019)