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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

seiner Mutter verkehrten Männer wie der Philosoph Schelling und der Geograph Ritter; der Letztere wurde des Knaben Lehrer und trug viel zur Erweckung seiner kühnen Unternehmungs- und Reiselust bei.

Sturz widmete sich zuerst dem Kaufmannsstande und ging früh in geschäftlichen Aufträgen nach Mexico. Auf dieser ersten großen Reise bestand er ein Abenteuer, welches am besten seine Energie und rasche Entschlossenheit zu illustriren vermag. Nach einer beschwerlichen Seereise landete Sturz in Vera Cruz und wurde, da ihm ein Empfehlungsschreiben vorausgegangen, von dem Träger eines berühmten spanischen Namens empfangen. Der Mexicaner führte ihn in seinen alten Palast und ließ, trotz allen Widerstrebens, auch das Gepäck des Reisenden dahin nachbringen. Vor den Augen des gefälligen Wirthes schloß Sturz seinen Koffer auf, entnahm daraus einen Theil seiner Baarschaft, um Zurüstungen für die Reise nach dem Innern des Landes zu treffen und schloß denselben wieder. Bei einem Gange durch die Stadt machte der junge Deutsche die Wahrnehmung, daß das gelbe Fieber unter der mexicanischen Bevölkerung furchtbar aufräume, denn ein Leichenwagen nach dem andern begegnete ihm auf den Straßen. Kein Wunder, daß er sich bei der Rückkehr in das Haus des Gastfreundes empört fühlte, als er sah, daß dieser mit einigen Freunden und Freundinnen ein lustiges Gelage feierte.

Seine Empörung aber verwandelte sich in Schrecken, als er aus dem Zimmer, das man ihm angewiesen, die Entdeckung machte, daß sein Koffer erbrochen und sein Reisegeld gestohlen sei. In wenigen Augenblicken wurde es dem Beraubten klar, daß der Mexicaner mit dem altadeligen Namen, welcher die Gefühlsrohheit besaß, im Angesicht aller Schrecken der Epidemie sich Ausschweifungen hinzugeben, der Dieb sei. Ohne Zögern trat Sturz in den Speisesaal, richtete die Mündung seines Pistols plötzlich nach den Kopf des Schuldigen und rief, daß er ihn niederschießen werde, wenn er nicht sofort den Raub aushändige oder wenn einer seiner Freunde Miene mache, ihm beizustehen. Der kühnen Entschlossenheit des jungen Deutschen gegenüber gab sich der Mexicaner gefangen und legte die geraubte Summe, so weit er sie noch besaß dahin, wo er sie hergenommen.

Nach dieser mexicanischen Reise schon dämmerte in Sturz die Erkenntniß auf, daß die Abkömmlinge der spanischen und portungiesischen Eroberer unfähig seien, in Amerika die Träger einer Culturmission zu werden. Er kehrte nach Europa zurück, wo er sich in kurzer Zeit zum Techniker ausbildete, dann wandte er sich nach Brasilien, dessen weite Territorien und großer Bodenreichthum ihn mächtig anzogen. Hier hoffte er das geeignetste Arbeitsfeld für seine rüstige Thatkraft zu finden. Schon im Jahre 1825 befand sich Sturz in Brasilien, und das Schicksal der deutschen Ansiedler, welche vergebens bemüht waren, in Rio und anderen Provinzen mit heißem Klima sich eine behagliche Existenz zu erringen, ging ihm sehr zu Herzen.

Im Alter von dreißig Jahren stand der Unternehmungslustige als Chef-Ingenieur an der Spitze eines großen Silberbergbau-Betriebs, bei welchem etwa fünfhundert Negersklaven beschäftigt wurden. Ein großer Erfolg stand hier seiner Wirksamkeit zur Seite; er trug unendlich viel zur Entwickelung der industriellen Thätigkeit in Brasilien bei und erlangte Einfluß in den Regierungskreisen. Jene Periode seines Lebens ist bereits durch die philanthropischen Bestrebungen ausgezeichnet, welche später einen so großartigen Charakter annahmen. Er erleichterte nicht nur das Loos der Schwarzen, welche unter seiner Obhut standen, soviel seine Kraft es irgend vermochte, sondern er setzte auch eine lebhafte Agitation für die Abschaffung der Sclaverei in’s Werk, die leider an dem fanatischen Widerstand der Großgrundbesitzer und Klerikalen scheiterte.

Als der Strom deutscher Einwanderung sich immer mächtiger über die weiten Territorien Brasiliens ergoß, suchte Sturz denselben nach Kräften in die südlich gelegenen Provinzen mit gemäßigtem Klima zu lenken. Er hatte die Ueberzeugung gewonnen, daß in den heißen Länderstrichen Brasiliens nur der Neger die harten Arbeitslasten in den Pflanzungen, ohne Schaden zu nehmen, bewältigen könne, während der Deutsche nach kurzer Zeit zu Grunde gehe. Mit allen Mitteln, die ihm zu Gebote standen, wirkte er dahin, daß seine deutschen Landsleute sich in den gesunden Provinzen Rio Grande do Sul und Santa Catarina niederließen, wo denn auch in kurzer Zeit unter seiner Anleitung und Hülfe viele deutsche Ansiedlungen entstanden und zu hoher Blüthe gelangten.

Die brasilianische Regierung erkannte wohl den gewaltigen Einfluß, welchen Sturz auf ihre wirthschaftliche und industrielle Entwickelung ausübte, und damit derselbe noch energischer wirken könne, sandte sie ihn in den vierziger Jahren als Generalconsul nach Deutschland. Er hatte die Aufgabe erhalten, deutsche Auswanderer und namentlich wichtige Techniker nach Brasilien zu senden. In derselben Zeit jedoch, als Sturz in der alten Heimath seine Thätigkeit entfaltete, fand in Brasilien ein großer Umschwung der Verhältnisse statt. Die Engländer, welche dem Sclavenhandel in den eigenen Colonien ein Ende machten, gestatteten es auch nicht mehr, daß fremde Nationen Neger von den afrikanischen Küsten fortführten. So schnitten englische Kriegsschiffe auf der atlantischen See die Zufuhr von schwarzen Arbeitskräften für brasilianische Sclavenmärkte ab, und die Pflanzer der heißen Länderstriche sahen sich in der Ausbeutung ihrer großen Ländereien gehindert. Diese Großgrundbesitzer verfielen nunmehr auf den Gedanken, deutsche Arbeiter durch Landversprechungen in ihre Districte zu locken und sie dann durch harte Sclavenarbeit auszubeuten. Sie ließen durch deutsche Agenten freie Ueberfahrt anbieten und stellten den Auswanderern durch die sogenannten Parceria-Verträge Landbesitz in Aussicht. Die Unglücklichen, welche solchen Verlockungen folgten, gingen fast alle auf den heißen Plantagen des Nordens zu Grunde. Zur Schande des deutschen Namens müssen wir bekennen, daß es in den freien Hansestädten Schiffsrheder und Senatoren gab, welche diesen ruchlosen Absichten der brasilianischen Sclavenbarone den mächtigsten Vorschub leisteten, ja es fanden sich sogar unter den deutschen Gelehrten – einer von ihnen ist heute Professor der Staatswissenschaften – Männer, welche durch lügenhafte Berichte ihre armen Mitbürger in’s Elend locken halfen.

Einer aber duldete es nicht, daß man die deutschen Auswanderer durch die Schlinge der Parceria-Verträge in’s Sclavenjoch spannte, und das war der brasilianische Generalconsul. Sturz versuchte erst die Regierung seines Adoptivvaterlandes zu bewegen, daß sie dem Treiben der Sclavenbarone ein Ziel setze, allein die Letzteren hatten sich indessen thatsächlich der Gewalt bemächtigt, und seine Bemühungen waren fruchtlos.

Jetzt stand der Generalconsul mit einem Male vor der Alternative, entweder das abscheuliche Treiben ungehindert seinen Lauf nehmen zu lassen und seine einträgliche Stellung zu behalten, oder die letztere in die Schanze zu schlagen und sich für das Recht gegen die eigene Regierung zu stemmen. Sturz zauderte keinen Augenblick; das Recht mußte siegen, und sollte er selber darüber zu Grunde gehen. Er nahm sofort den Kampf gegen die Sclavenbarone auf und wurde von der brasilianischen Regierung aus seiner Stellung entlassen.

Der Kampf, auf den er sich eingelassen, war ein verzweifelter: er stand allein und verfügte über geringe Hülfsmittel; ihm gegenüber befand sich ein Heer von gedungenen Preßagenten und anderen Werbern, welche aus den reichen Fonds der brasilianischen Regierung die freigebigste Unterstützung fanden. Sturz zeigte, daß einem starken Herzen nichts unmöglich ist. In einer Unzahl von Broschüren und Zeitungsartikeln legte er die Lügen der brasilianischen Preßagenten bloß, warnte in beredten Worten vor der entsetzlichen Gefahr, welche dem deutschen Auswanderer durch den Parceria-Vertrag drohe, zählte die Auswanderer auf, welche in den Zucker- und Kaffeeplantagen zu Grunde gegangen, und schreckte so Tausende vor einem Schritt zurück, der sie unfehlbar dem größten Elend und sicheren Untergang entgegengeführt hätte.

Der glühende Eifer, welcher Sturz beseelte, riß auch Andere mit fort. Bald fanden sich einzelne, dann mehrere Journale, welche seine Sache zu der ihrigen machten, und endlich trat die deutsche Regierung für ihn ein. Den brasilianischen Agenten wurde das Handwerk gelegt, und seit zehn Jahren gelingt es nur in seltenen Fällen, deutsche Arbeiter in die Netze brasilianischer Großgrundbesitzer zu ziehen.

Dieser Kampf kostete Sturz nicht nur die beste Kraft seines Lebens, sondern auch ein bedeutendes Vermögen. Mit etwa neunzigtausend Dollars bezahlte er das Bewußtsein, Tausende von deutschen Landsleuten vor Elend, Schmach und sicherem Untergang bewahrt zu haben. Es währte lange, bis die deutsche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_182.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)