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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

thront, kam das mächtige Schiff uns zur Seite. Welch’ eine Wandlung der Zeit! Auf eben jener Burg Hammerstein, wohl einer der ältesten am Rhein, suchte der fliehende Kaiser Heinrich der Vierte ein Asyl; hier verwahrte sein Sohn die Kleinodien des deutschen Reiches, und heute – trägt unten das stolze Schiff, wie ein sichtbares Merkmal neuerer und besserer Reichszustände, den Namen des Herstellers deutscher Reichsherrlichkeit durch die klaren Wellen hinunter zum Meer. Links gesellt sich der kleine Brohlbach – im Frühjahre nicht immer ein sanfter Geselle – dem Hauptstrome, und nahe der Mündung desselben, dicht am malerischen Rheindörfchen Brohl, lenkt unser Steuer dem Ufer zu.

Unsere Wanderung beginnt. Schon am Gestade des Stromes bemerken wir hochaufgestapelte Tuffsteine, Erzeugnisse der nur diesem kurzen Landesstriche eigenthümlichen Montan-Industrie. Unser Fuß berührt ausgedehnte Lager des als Bimsteintuff bekannten und des unter dem Namen Traß nicht minder gesuchten Baumaterials.

Das ganze Brohlthal setzt sich aus jenem eigenthümlichen vulcanischen Gebilde zusammen. Die Gegend, bis hoch hinauf auf die Eifel ist bezüglich ihrer geognostischen Verhältnisse eine der merkwürdigsten Landesstrecken am ganzen Rheine. Erloschene Vulcane, abenteuerlich geformte Bergspitzen und die in den ausgebrannten Kratern zusammengelaufenen Gebirgsseen, Maare genannt, sind Ursache, daß dieser Landesstrich, nach einem Ausspruche Leopold’s von Buch, „seines Gleichen nicht auf der Welt hat“. Aus dem hier gewonnenen seltsamen Baumateriale, den Tuffsteinen, sind die Kirchen zu Sinzig, Andernach, Laach, Bonn und anderer Orte am Rheine errichtet, und weit stromab nach Holland führen die schwer befrachteten Schiffe den gemahlenen Tuffstein, jenes hellgelbe und weißgraue, ausnehmend poröse, häufig mit Bimstein gemischte Gestein, welches unter dem Namen Traß (holländisch Tyras-Kitt), mit einer Mischung von Kalk versehen, dort unten im Niederlande vornehmlich zu Wasserbauten verwendet wird. Zu beiden Seiten der Straße stehen die Mündungen der Tuffsteinbrüche an. Traßmühlen klappern, vom Brohlbach getrieben, unverdrossen ihren melancholischen Tact.

So erreichen wir, an der Netzermühle vorbei, die alte Schweppenburg, ein vielfenstriges, nicht eben baulich interessantes Burghaus aus dem Anfange des vorigen Jahrhunderts, ehedem im Besitze derer von Metternich. Auf kleinem Bergkegel erhebt sich inmitten des Thales jenes Feudalschloß, das zu dem tapferen Kriegsführer Schweppermann indessen – trotz der Meinung Einzelner – niemals in Beziehung gestanden. Und doch hatte die vor dem Jahre 1680 auf demselben Platze stehende Winneburg später auch ihren Schweppermann. Um 1794 vertheidigte ein Burgwart ganz allein die Burg gegen mehrere andringende französische Mordbrennerhaufen. Er verrammelte die Thür, warf Steine auf die Andringenden herab, feuerte, soviel er allein vermochte, in die stürmenden Haufen und mußte sich freilich wohl endlich der Uebermacht ergeben. Vor den General Lefèbre als Gefangener geführt, rettete er sein Leben durch die einfachen Worte: „General, ein guter Commandant verteidigt seine Festung, so lange er kann.“ –

Hinter der Schweppenburg, die im Jahre 1630 in ihrer jetzigen Gestalt erbaut wurde, verengt sich das freundliche und ziemlich belebte Thal. Ueppige Waldungen krönen die Höhen zu beiden Seiten. Mineralquellen (Säuerlinge) finden sich hin und wieder. Leichte Bimsteinstaubwolken kennzeichnen an heißen Sommertagen die sonst treffliche Straße. Zwei Wege stehen uns zur weiteren Wanderung offen. Der unten im Thale führt dicht an den Tuffsteinbrüchen vorbei; der links abzweigende leitet zunächst nach den Heilbrunnen – einer medicinisch angewendeten Quelle, nun welche sich in neuerer Zeit einige Gebäulichkeiten angesiedelt haben – und führt dann unter einem Laubdache von Buchen hin nach dem Bade Tönnistein.

Schon im 16. Jahrhundert als Heilquelle bekannt, erwecken hier die Reste eines ehemaligen Carmeliterklosters Antoniusstein nebst einer Brunneninschrift mittelalterliche Erinnerungen, während wir schon an der Schweppenburg Gelegenheit hatten, durch einen dort aufgefundenen römischen Altar und einzelne Votivsteine der einstigen Römerherrschaft in diesen Gegenden zu gedenken. An den freundlichen Restaurationsgebäuden des Bades vorüber, steigt unsere Straße leicht bergan. Links oben grüßt der spitze Kirchthurm des Dorfes Kell, und bald sind wir im Dörfchen Wassenach. Tief sinkt der Fuß in den Bimssteinsand ein, und ermüdend wird der Weg. Der vulcanische Kegel des Veitskopfs, mit einem noch heute erkennbaren breiten Lavastrome, winkt rechts herüber. Wie die Sanddüne der Meeresküste liegt ein Wall von vulcanischen Gebilden, zerbröckelt in die verschiedensten und wunderlichsten Formen, vor uns. Ein Kranz von Bäumen umgiebt den hier noch immer unsichtbaren See, bis plötzlich ein freier Durchblick die Rundschau auf die stille, unheimlich schwermüthige Wasserfläche freigiebt.

Im Hintergrunde spiegelt sich die stattliche Abtei mit ihrem umfassenden Gebäuden in dem dunklen Gewässer, und das Hôtel „Maria-Laach“ – ein Gasthausname, den die fromme Nachbarschaft entschuldigen mag – liefert zur ideellen Beschauung den irdischen Gegensatz. Keine Bewegung zeigt sich auf dem weitgestreckten eirunden Seebecken; tief dunkel erscheint die Wasserfläche; kein Kahn durchfurcht den wunderlichen Spiegel dieses Eifelmaars. Alle jene Seebecken der Eifel – und hierhin zählt auch der Laachersee – führen den Namen Maar im Volksmunde, nur Laach (lacus, und darum eigentlich richtiger: Lach genannt) hat sich die Bezeichnung „See“ bewahrt.

Entstanden durch vulcanische Thätigkeit, zeigt der Laachersee nirgends einen natürlichen Zu- oder Abfluß, und man vermuthet deshalb, daß sich Quellen in seinem Boden finden, da aber der Spiegel desselben oft bedenklichen Schwankungen unterworfen und die Klosterkirche häufig Ueberschwemmungen ausgesetzt war, ließen schon im 12. Jahrhundert die Mönche der Abtei einen Stollen zum Abfluß des Wassers in die südliche Uferseite treiben. Auch später noch (1845) wurde seine Wasserfläche künstlich verringert und beschränkt. Trotzdem erreicht keines der anderen Eifelmaare die Ausdehnung des Laachersees, der über drei Quadratkilometer groß, immerhin seine zwei Stunden im Umfange mißt. Seine Tiefe wird in der Mitte auf zweihundert Fuß angegeben; die Tradition im Volke behauptet: er habe überhaupt keinen ergründlichen Boden. Der tüchtige Forscher von Dechen bezeichnet dieses Seebecken als den Mittelpunkt der vulcanischen Thätigkeit der ganzen Gegend. Das Wasser des Sees ist kalt und hart, von Geschmack widerlich und der Uferrand von einem schwärzlich flimmernden Sande bedeckt, der zum Theil von Magnet angezogen wird. Selten friert der ziemlich fischreiche See zu. Alle rheinischen Dichter haben dem romantisch-ernsten Wasserspiegel ein Weihelied gesungen. Friedrich Schlegel, Simrock, Stolterfoth, Wolfgang Müller, J. B. Rousseau und viele Andere flochten ihm ein poetisches Erinnerungsblatt zum Ehrenkranze. Und er verdient es. Wo breitet anderwärts eine duftigere Sage, als jene der heiligen Genoveva, ihren romantischen Schleier über eine ganze Gegend, und wo schließt sich die Landschaft, in gleicher Weise der Sage entsprechender an? In friedlicher Waldeinsamkeit erhebt sich eine überraschend stattliche Abteikirche, dicht am Ufer einer unheimlich stillen und mächtigen Wasserfläche, ein Bild, welches dem Geisterglauben volle Nahrung giebt.

„Wahr ist’s, es hausen Geister da unten wundervoll,“ singt Friedrich Schlegel, und mag der Forscher hier ein noch so reiches Gebiet finden, dem Wanderer wird’s fast noch weniger an poetischem Eindrucke fehlen.

„Bei Andernach am Rheine liegt eine tiefe See;
Stiller wie die ist keine unter des Himmels Höh’. –
Da find’t nicht Grund und Boden der Schiffer noch zur Stund’,
Was Leben hat und Odem, ziehet hinab der Schlund.“ –

Wenn wir auch der naheliegenden Versuchung widerstehen, den eigenthümlichen mineralogischen Verhältnissen des ganzen Seegebietes und der Eifel einen größeren Raum zu widmen, so darf doch die unfern unseres Weges liegende Mofette (Bergschwadem) nicht ganz übersehen werden, vielleicht gerade vornehmlich deshalb nicht, weil ihr mehr nachgesagt wird, als sie verdient. Aus einer kleinen Vertiefung in der Nähe unseres Weges entsteigen dem Boden kohlensaure Gase, welche Insecten zu betäuben und wohl auch zu tödten vermögen. Weiter bringt’s die Mofette nicht, und die Erzählungen von getödteten größeren Vögeln, Eichhörnchen etc. gehören, wie manches Andere dieser Gegend, der Sage an. Wir haben weder jetzt noch jemals früher jene Behauptung als Thatsache erweisen können.

Wir aber wandern „weiter die Straße entlang“ – links

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_180.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)