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verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


„Ich habe die Rückkehr so viel wie möglich beeilt,“ entgegnete er. „Excellenz wissen ja, daß ich den Urlaub nur erbat, um meine Tochter aus dem Kloster abzuholen. Ich hatte bereits die Ehre, sie vorzustellen, als wir Excellenz gestern in der Gallerie begegneten.“

„Mir scheint, Sie haben das junge Mädchen zu lange in der geistlichen Obhut gelassen,“ warf Raven hin, „sie macht ja jetzt schon den Eindruck einer Nonne. Ich fürchte, die Klostererziehung hat sie vollständig verdorben.“

Der Hofrath zog die Augenbrauen in die Höhe und blickte mit dem Ausdrucke starren Entsetzens seinen Chef an. „Wie meinen Excellenz?“

„Ich meine, für die Welt verdorben,“ verbesserte der Freiherr, auf dessen Lippen ein kaum bemerkbares Spottlächeln erschien, als er dieses Entsetzen gewahrte.

„Ah so! Ja freilich, da haben Excellenz Recht –“ der Hofrath ließ nie eine Gelegenheit vorbei, den Titel seines Chefs zu nennen, und wenn er ihn dreimal in einem Satze hätte wiederholen sollen. „Aber der Sinn meiner Agnes war von jeher dem Weltlichen abgewendet, und in Kurzem wird sie sich vollständig davon lossagen. Sie hat sich entschlossen, den Schleier zu nehmen.“

Der Freiherr hatte einige Papiere zur Hand genommen und durchflog dieselben, während er zugleich ruhig das Gespräch mit dem Beamten fortsetzte, der sich allein von allen übrigen einer größern Vertraulichkeit bei ihm zu erfreuen schien.

„Nun, das ist gerade nicht überraschend, bemerkte er. Wenn man ein junges Mädchen vom vierzehnten bis zum siebenzehnten Jahre im Kloster läßt, muß man auf solche Entschlüsse gefaßt sein. Sind Sie denn damit einverstanden?“

„Es wird mir schwer, mein einziges Kind für immer zu entbehren,“ sagte der Hofrath feierlich, „aber fern sei es von mir, einer so heiligen Bestimmung hindernd in den Weg zu treten. Ich habe eingewilligt, meine Tochter wird noch auf einige Monate in mein Haus und in die Welt zurückkehren, um dann ihr Noviziat in dem Kloster anzutreten, wo sie bisher Pensionärin gewesen ist. Die hochwürdigste Frau Aebtissin wünscht, daß auch der geringste Schein des Zwanges vermieden wird.“

„Die Frau Aebtissin wird ihres Zöglings wohl sicher sein,“ meinte der Freiherr, mit einer Ironie, die seinem Zuhörer zum Glück entging. „Wenn es übrigens der eigene Wunsch und Wille des jungen Mädchens ist, so läßt sich nichts dagegen einwenden. Ich bedauere nur Sie, der Sie in der Tochter eine Stütze Ihres Alters zu finden hofften und sie nun den Nonnen abtreten müssen.“

„Dem Himmel!“ berichtigte der alte Herr mit einem frommen Aufblick, „und davor müssen die Rechte des Vaters natürlich zurücktreten.“

„Natürlich! – Und jetzt zu den Geschäften! Liegt irgend etwas von Bedeutung vor?“

„Die Meldung des Polizeidirectors –“

„Ich weiß. Man erhebt in der Stadt unglaublichen Lärm über die neuen Maßregeln. Man wird sich fügen. Was giebt es noch?“

„Den bereits besprochenen ausführlichen Bericht an das Ministerium. Wen bestimmen Excellenz dazu?“

Raven dachte einen Augenblick nach. „Den Assessor Winterfeld.“

„Assessor Winterfeld?“ wiederholte der Hofrath in sehr gedehntem Tone.

„Ja, ich wünsche ihm Gelegenheit zu geben, sich auszuzeichnen oder doch wenigstens bemerkbar zu machen. Er ist trotz seiner Jugend einer der fähigsten und tüchtigsten Beamten.“

„Aber nicht loyal, Excellenz, durchaus nicht loyal genug! Er hat eine ausgesprochen liberale Richtung und neigt sich der Opposition zu, die jetzt –“

„Das thun die jüngeren Beamten alle,“ fiel der Freiherr ein. „Die Herren sind sämmtlich Weltverbesserer und halten es für charaktervoll, hin und wieder zu opponiren, aber das giebt sich mit der Beförderung. Schon mit dem Rath pflegt es gewöhnlich aufzuhören, und Assessor Winterfeld wird darin keine Ausnahme sein.“

(Fortsetzung folgt.)



     Der Christbaum im März.

Rings umhaucht von Frühlingslüften
In des Gartens fernstem Winkel,
An den Bretterzaun gelehnt,
Steht im März der alte Christbaum.

Der vordem in Weihnachtstagen
Hell gestrahlt im Lichterscheine,
Kahl nun längst und bar des Schmuckes
Trauert er im Sonnenlichte.

Seltsam fremd schaut hin der Arme
Auf das junge Blüthenleben;
Knospen schon treibt der Hollunder;
Ihm zu Füssen blüh’n die Primeln.

Die ihn fröhlich einst umtanzten
Im Decembermond, die Kinder,
Würd’gen spielend keines Blick’s ihn,
Und der Gärtner stößt ihn seitwärts.

Selbst die Spatzen, die im Winter
Schutz gesucht in seinen Zweigen,
Schau’n verächtlich auf ihn nieder,
Und wie Hohn erschallt ihr Zwitschern.

Und er denkt: o ständ’ ich wieder
Einmal noch im grünen Walde,
Dürft’ ich blühen mit den Brüdern
Und wie sie im Winde rauschen!

Eitler Wunsch! Erkenntniß sagt ihm:
Seine Zeit ging längst vorüber,
Ueberflüssig und vergessen,
Ist er längst sich selbst zur Last.

Und er wünscht: Mitleid’ge Hand
Machte rasch der Pein ein Ende,
Bräch’ ihn ganz und ließ in Flammen
Ihn empor zum Himmel lodern.

     Albert Moeser.




Auf vulcanischem Boden.
Von Ferdinand Hey’l.

Von kräftigen Ruderschlag getrieben, flog der leichte Rheinkahn am Städtchen Andernach vorüber. Der oft irrthümlich als Römerwerk bezeichnete Rundthurm am oberen Ende des Ortes warf seinen Schatten über den Spiegel des gletscherblauen Wassers und ließ jenes Meisterstück mittelalterlicher Befestigung, dem, wie leider fast allen älteren rheinischen Bauwerken, die Spuren der Sprengversuche französischer Kriegskunst anhaften, noch gewaltiger erscheinen. Die Spitzen und Thürme der Pfarrkirche zur heiligen Maria, jener ganz aus Tuffstein erbauten spätromantischen Pfeilerbasilikia, die Reste der ehemals erzbischöflichen Burg, der schon im sechszehnten Jahrhundert erbaute, nicht uninteressante Rheinkrahnen vervollständigten das charakteristische, oft durch Stift und Pinsel wiedergegebene Bild des malerischen, wenn auch wenig belebten Rheinstädtchens. Unsere Fahrt galt dem Brohlthale und dessen Endziel: dem größten der rheinischen Maare, dem Laacher See.

Hinter uns durchfurchte die Fluth der majestätische „Wilhelm, Kaiser und König“, einer der stattlichsten Dampfer des Rheines. Stolz und gebietend beschrieb er seinen Weg, wie sein Taufpathe gewaltig den „deutschesten“ Strom beherrschend. Gegenüber der ehemaligen Reichsfeste Hammerstein, die droben am rechten Stromufer auf dunklem Grauwackegestein

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